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OG (Operngestalten): Herzlich Willkommen Tanja Ariane Baumgartner. Vor zwei Jahren, zu Beginn der Pandemie, führten wir das erste Interview für meinen Blog operngestalten.de via e-mail. Nun sprechen wir -endlich- persönlich miteinander. Nur wenige Stunden vor Ihrem 5. Auftritt als Venus in Richard Wagners Tannhäuser. Herzlichsten Dank, darüber freue ich mich besonders.
TG (Tanja Ariane Baumgartner): Gerne, ich freue mich auch.
OG: Im Jahre 2019 standen Sie als Ortrud (Lohengrin) und Kundry (Parsifal)auf der Bühne der Staatsoper Hamburg und beweisen nun als Venus in Tannhäuser, einer dritten Oper von Richard Wagner, Ihre herausragenden Fähigkeiten als Sängerdarstellerin. Doch lassen Fotos und Berichte auf Social Media vermuten, dass Sie daneben eine Lehrerin sind, die mit viel Empathie und Herzblut unterrichtet und die das Lehren als ein Geben und Nehmen empfindet.
TG: (lachend) Ja, es stimmt, ich unterrichte wirklich gerne. Und man lernt ja von jeder Person, der man begegnet, etwas dazu, umso mehr im Gesangsbereich. Die jungen Künstler aus dem Opernstudio sind ja auch keine Studierenden mehr, sondern junge Kollegen. Ich habe ihnen gegenüber, wie soll sagen, einen Vorlauf an Erfahrungen. Aber auch sie wissen Dinge, die ich nicht weiß, in ihrem Training oder auch im Umgang mit Social Media wie Instagram. Darum musste ich mich in meiner Karriere nie kümmern. Gott sein Dank, ich konnte mich einfach nur aufs Singen konzentrieren. Aber ich finde diese Entwicklungen sehr spannend. Ich habe es sehr genossen da gewesen sein zu dürfen. Ich danke der Leiterin Gabriele Rosmanith. Sie macht es einfach großartig, weil sie Theater von oben nach unten von vorne nach hinten kennt und das mit viel Güte und Freude an die jungen Leute weitergibt. Und man merkt, die jungen Künstler sind dankbar für diesen Input. Sie respektieren, schätzen und lieben sie. Meine Zeit da war kein dozieren sondern ein –wirklich- ein gegenseitiges Hin und Her. Ein Gespräch: Wie singt ihr euch ein. Wie sing ich mich ein. Oder wie geht ihr an dies oder das heran, wie ich… Dies ist wirklich toll und es fließt da eine ganz besondere Energie, dass ich mich freue etwas zu geben, aber auch etwas mitzunehmen.
OG: Natürlich freue auch ich mich, wenn namentliche Gesangsgrößen wie Sie, Klaus Florian Vogt, Jennifer Holloway, Gregory Kunde und andere hier singen. Doch das Internationale Opernstudio empfinde ich als einen wunderbaren Ort für künftige Ensemblemitglieder hier an der Staatsoper. Denn im Grunde ist ein starkes Ensemble doch die Stütze eines Hauses. Aber auch die Stütze für die Sänger.
TG:. Ja, in einem festen Ensemble zu singen hat viele Vorteile. Sie wissen es ja sicher, dass ich ungefähr 17 Jahre festes Ensemblemitglied an der Oper Frankfurt war, was sich erst änderte als ich anfing an der Universität zu unterrichten. Wäre diese Arbeit nicht, wäre ich sicher noch immer im Ensemble, denn da konnte ich alles singen, ob nun Barock oder zum Beispiel die Eboli oder andere Verdi Opern, die Moderne oder oder… Hätte ich von Anfang an als freie Sängerin gearbeitet, wäre dies sicher nicht so möglich gewesen und ich nun nicht an einem Punkt wo ich sagen kann, eigentlich habe ich wirklich alle Rollen meines Fachs gesungen. Außer vielleicht die Delilah aus Samson und Delilah von Camille Saint-Saëns.
OG: Die kommt ja aber vielleicht noch…
TG: Wer weiß,…
OG: Im Vergleich zu früher sind Sänger, auch dank der Social Media, wirklich nahbarer geworden und auch die Optik hat sich sehr geändert. Wichtiger aber noch, meiner Meinung nach, gilt dies aber auch für Gesangstechnik und Klang. Ganz laienhaft ausgedrückt und voller Respekt und vor allem Begeisterung für die darstellerischen Leistungen ihrer Kollegen im Tannhäuser: Für mich waren Sie die Einzige, die die Power in der Stimme hatte, die ich aus den Besuchen von Wagneropern in meiner Jugend kenne. Wie ich ja auch in meiner Rezension zur Premiere schrieb.
TG: Oh, danke, Nun ja, ich denke man muss a bisserl darauf achten, dass die Oper nicht zu sehr ins optische gezogen wird. Denn man „sieht“ die Oper mit den Ohren. Ja, ich bin eine Sängerdarstellerin. Ich liebe Regie. Aber das Hören steht im Vordergrund und wenn schlecht gesungen wird, bleibt alles als „schlecht“ in Erinnerung, unabhängig davon, wie schön es aussieht. Allerdings ist es heute oft so, dass von Sängerinnen Modellmaße erwartet werden. Okay, auch zu Verdis Zeiten gab es schon gewisse Vorstellungen wie eine Traviata auszusehen hat. Doch ich denke es ist heutzutage etwas, das immer mehr ins Extreme getrieben wird.
OG: Ja, auch Wagnersängerinnen sind längst keine klischeehaft gewichtigen Walküren mehr …
TG: Nein, stimmt, aber wir haben noch Glück, dass unsere Stimmen auch einen gewissen Körper dazu brauchen. Und dann die Schnelllebigkeit, weil jeder die nächste Anna Netrebko oder Joan Sutherland entdecken will statt die Leute langsam wachsen zu lassen. Die Karriere fängt an und ist ganz schnell, vielleicht schon nach fünf Jahren, wieder vorbei, wenn die ersten Fehler kommen. Und die Fehler passieren dann auf einem Level wo jeder sie mitbekommt. Ich hab meine Fehler in Luzern gemacht. Da habe ich 25 Vorstellungen von einer Aufführung gesungen und da darf man auch einmal Fehler machen. Es gibt viele gute junge Sänger, aber lasst sie Ihre Fehler und Erfahrungen machen. Gebt ihnen die richtigen Rollen. Lasst sie die Bühnenfiguren langsam begreifen, eine nach der anderen. Man lernt ja auch von jeder Figur. Und mit Mitte 20 hätte ich zum Beispiel gar keine komplexe Partie wie die Ortrud singen können. In dem Alter fehlen Lebens- aber vor allem Bühnenerfahrung für bestimmte Partien. Sänger müssen sich, ihre Stimme, ihre Persönlichkeit und ihr Gefühl für die Rollen einfach langsam entwickeln dürfen
OG: Das bringt mich auf eine Idee. Es gibt Inszenierungen, die mich, egal aus welchen Gründen, noch lange beschäftigen und die ich dann, nach mehrmaligem Sehen, ganz anders beurteilen würde als ich es in meinem Premierenbericht tat. Wie geht es Ihnen da während einer Vorstellungsserie? Entwickelt sich die Rolle, zum Beispiel nun die Venus, von Mal zu Mal weiter, verändert sich etwas für Sie?
TG: Wir sind ja so zusagen im Inner circle, bekommen die Ideen vom Regisseur, müssen unsere Empathie nutzen um in seine Welt einzutauchen. Dadurch erscheint uns auf der einen Seite natürlich einiges schlüssiger als vielleicht dem Publikum, doch andererseits können wir uns selbst nicht von außen sehen. Mir fällt es ganz schwer zu sagen: Wie wirkt das, wie wirkst du.“
Und Veränderungen werden oft eher vom Graben bestimmt. Dann kommt ein neues Tempo oder irgendwas und dann spielt man auch irgendwie lyrischer oder dramatischer, energischer oder weniger energisch. Also ich nehme schon immer das auf, was von unten (Graben) kommt. Ich bin zum Beispiel davon beeinflusst, wenn eine Phrase plötzlich langsamer daherkommt.
OG: Ich denke immer, dass wir als Publikum auf diese Energie, die von euch ausgeht, unterschwellig reagieren und umgekehrt.
TG: Das stimmt.
OG. Worauf ich hinaus möchte ist, dass mich besonders die Wagnerianer mit Ihren oft extremen Reaktionen- wie zum Beispiel die Buhs für Nagano bei der Tannhäuser Premiere, verunsichern. Sind sie kompromissloser als zum Beispiel ich selbst, gebildeter und – bin ich naiv, wenn ich finde, vieles ist doch Geschmackssache?
TG: Das ist sehr schwierig zu beantworten. Ich bin davon überzeugt dass die Wagnerianer, wie Sie sie nennen, besonders viel Hörerfahrung haben. Sie wissen, wer wo wann was mit wem gesungen hat. Ich glaube aber auch, dass es dann mit der Zeit eine gewisse Erwartungshaltung gibt. Und wenn jemand neu und anders daher kommt, denkt man erst mal „hmm ..“ und ist skeptisch. Chereau Ring in Bayreuth zum Beispiel. Damals wurde ohne Ende gebuht, aber inzwischen ist es zu einer Art Heiligtum, einer Ikone geworden.
Und was Wagner betrifft, so sind es seine Themen und all die Widersprüche, die ihn so besonders machen. In seinen Geschichten steckt so viel menschliches, natürlich kann sich jeder irgendwo wiedererkennen und man kann mit Wagner inszenatorisch so viel machen, aufgrund der Philosophie, der Metaphorik. Das Darstellen wird dadurch, dass die Figuren a bisserl ambivalent sind, auch sehr spannend, gibt mir die Möglichkeit, auch meine eigene Sicht mit einzuarbeiten..
OG. Diese vielschichtig, metaphorisch menschlichen Geschichten schenken uns, wie Sie schon andeuteten, so gegensätzliche aber auf ihre Art doch schlüssige Interpretationen, wie zum Beispiel den romantisch verspielten Parsifal von Ernst Fuchs und August Everding aus den 1970ern oder dieses, wie ich finde, Gesamtkunstwerk von Achim Freyer.
TG: Ich habe einmal die Kundry in der wirklich spannenden Inszenierung der Regisseurin TatjanaGürbaca gesungen, die eine total weibliche Sicht auf das Werk hatte. Kundry wollte sich nicht taufen lassen und hat die gesamte Männerwelt erlöst.
OG: Dass selbst eine im Spielumfang relativ kleine, wenn auch wichtige, Rolle wie die Venus stimmlich sehr anspruchsvoll ist, steht außer Frage. Ihre Kollegin, die Sopranistin Elbenita Kajtazi, vertrat im Gespräch die Meinung, dass die Musik von Mozart das Beste für eine Sängerstimme sei und sagte auch, Wagner Sänger sollten hin und wieder Mozart singen.
TG: Das sehe ich nicht so. Mozart ist die höchste Form der Gesangkunst und birgt für große Stimmen manche Tücken. Leider ist die Mozartkultur heutzutage auch sehr schlank, sehr schmal geworden. Mozart mochte große Stimme. Doch zu seiner Zeit wurde Mozart, das sollte man bedenken, einen halben Ton tiefer gesungen. Dürfte man auch heute noch einen halben Ton tiefer singen wäre es a bissel anders.
OG: Okay, meine Ungenauigkeit… Sie meinte damit eher, jeder Sänger könnte Mozart daheim als Therapie für Stimme als Übung benutzen.
TG: Aha. Da würde ich lieber Lieder singen oder Verdi. Ja, eigentlich Verdi.
OG: Danke für diese schöne Überleitung. In der nächsten Zeit steht für Sie nun Richard Strauss‘ Capriccio im Residenztheater in München an. Im September dann das spannende Projekt Von der Liebe Tod in Wien, dann dort auch Fricka in Wagners Ring des Nibelungen und ähnliches. Kurz: wieder nur deutsches Fach. Ist auch mal wieder etwas französisches oder italienisches geplant? Wie gern würde ich mal die Carmen sehen oder die Eboli!
TG: Wie erwähnt habe ich ja bereits bis auf die frühen Verdis alles gesungen, auch Puccini oder die Santuzza in Mascagnis Cavelleria Rusticana. Und, wie vor kurzem Kristina Stanek, ebenfalls in Basel die Eboli aus Verdis Don Carlos. Aber ich fürchte, an vielen Häusern besteht in diesem Fach leider keine wahre Nachfrage an Sängerinnen, die einen deutschen Namen tragen. Wagner, Verdi und Strauss sind so meine großen drei und zwei davon singe ich ja wirklich oft und fast überall.
Außerdem freue ich mich sehr auf Der Liebe Tod. Ein Projekt bei dem Calixto Bieito Das klagende Lied und Die Kindertotenlieder von Gustav Mahler in Szene setzt..
OG :Ich werde meine Hoffnung, Sie vielleicht doch einmal als Eboli , Carmen oder Delilah zu sehen, nicht aufgeben und mich einfach freuen, wenn Sie hoffentlich bald an die Staatsoper Hamburg zurückehren.
TG: Wir werden sehen.
OG: Gibt es noch etwas, das Sie sagen möchte und ich nicht fragte?
TG: Nein. Obwohl doch. Kommt alle wieder in die Oper!
OG: Danke für diese schöne Aufforderung und das Gespräch! Ansonsten toi toi toi für alle Ihre Pläne.
TG: Gerne! Wird schon schiefgehen!
Birgit Kleinfeld (Wiederherstellung des Gespräches von März 2022)