Schon ihre Debüt-CD O Luna Mia wies die in Berlin geborene Sopranistin Pia Davila als eine Künstlerin aus, die nicht mit auf der Welle des Mainstream schwimmt und damit zu jenen jungen Künstlern gehört, die neue Wege geht. Neben dem klassischen Konzertrepertoire gehört ihr Engagement und Interesse auch der neuen Musik und innovativen Musiktheater-Projekten. Sie kann mehrere Stipendien verschiedener Institutionen vorweisen, schloss ihr Konzertstudium mit Auszeichnung ab und der Preis für das Projekt „Liedmovies- eine mediale Galerie“, den sie als Darstellerin und Produktionsleitung zusammen mit ihren Team: Luise Kautz, Regie, Simon Janssen, Video und Valentin Mattka, Installation, erhielt, wird sicher nicht der Letzte gewesen sein.
Zwei Frauen für das Außergewöhnliche
Hier in Hamburg bewies sie die Besonderheit und den Wiedererkennungswert ihrer Stimme unter anderem im Herbst 2018 in der opera stabile in der Produktion Ring und Wrestling, einem 4 x circa 1,5-stündigen Stück, das Wrestling mit einer stark gekürzten, sehr zeitgenössischen, absolut unterhaltsamen Adaptation von Richard Wagners Ring des Nibelungen verband. Zum Ende der vergangenen Saison stand sie, ebenfalls in der opera stabile, zusammen mit ihren jungen Kollegen vom Internationalen Opernstudio Hamburg auf der Bühne in der Oper La Luna von dem jungen Komponisten Lorenzo Romano. Es könnte lange so weitergehen mit Hinweisen und Beweisen, dass Pia Davila Kunst im für mich eigentlichen Sinne des Wortes versteht. Nein, nicht unbedingt Kunst kommt von Können, sondern eher Kunst kommt von (etwas tun) müssen, etwas bewegen wollen.
Das gilt auch für diese CD, bei der die Pianistin Linda Leine die zweite im Bunde ist. Auch sie kann auf nicht wenige Stipendien und Preise zurückblicken, auch sie setzt sich, neben dem klassischen Repertoire, für moderne Musik ein. Auch sie glänzt mit Vielseitigkeit, gründete mit Klarinettistin Anna Gāgane und Cellist Kristaps Bergs das Trio Fabel, arbeitet gerne an Projekten, die verschiedene Kunstgenres kombinieren.
Das prädestiniert die beiden Künstlerinnen, die schon einige Zeit eng zusammenarbeiten, für diese CD, die unter anderem den Wunsch hat, die Komponisten der Lieder darauf bekannter zu machen, so dass sie in der Welt der Klassik den Platz bekommen, der ihren Lieder zusteht, wie es im CD-Booklet sinngemäß steht. Statt weiterhin als „verfemt“ zu gelten, teilweise sicher aufgrund eines engen Bezuges zum Judentum, zumal es nicht wenige Parallelen zu der Schaffenszeit der Komponisten und der unrühmlichen „Blütezeit“ des Nationalsozialismus gibt. Der Haupttenor dieser CD, die aus 6 Abteilungen besteht (Zwitschern, 1-7, Rinnen, 8-12, Schnuppern, 13-16, Ruhen, 17-22, Trösten, 23-27 und Hoffen 28), ist daher eher ernst aber nie hoffnungslos und stets getragen von Davilas reiner Stimme und Leines einfühlsamer Begleitung.
Walzer-Blues, Novemberregen, Rufe aus der Einsamkeit
Letztere hat auch drei Solostücke: Georg Kreislers Sonate für Klavier, Waltz, Graceful but not too fast (4), Erich Zeisl, November (9) und Pieces for Barbara/ The lonely Shephard (18). In allen drei Stücken gelingt es Linda Leine die Phantasie des Zuhörers durch ihren leichten Anschlag zu wecken, der eine ähnliche Wirkung hat wie ein Lächeln am Telefon, das einfach in der Stimme den Worten mitschwingt. Und zumindest bei Kreislers Stück werden unsere Erwartungen schon nach wenigen Tönen nicht enttäuscht. Doch in eine andere Richtung gelenkt, denn wo wir fast fröhliche Harmonie wähnen, erklingt ein Ton, der die Walzerseligkeit von Anfang an stört, aber auch durch Leines Interpretation fesselt, Tiefe vermittelt.
In Zeisls Stück November dann, erklingt die eigentliche Melodie in den tiefen Oktaven und somit in der linken Hand, während die Rechte, den Regen auf Kopfsteinpflaster oder Fenster trommeln lässt. Auch hier gelingt es der Pianistin, die Spannung zu halten, die sich bis zum letzten Ton hält wenn die klingenden Regentropfen in immer höheren, die Melodie in immer tieferen Registern nach und nach erstirbt. Auch im zweiten Zeisl Stück scheinen hier und da Regentropfen zu fallen, doch der intensivste Eindruck sind die Rufe, die ungehört verhallen. Gefühlvoll doch ohne Pathos.
Ein eigenes Weltbild mit der Stimme gemalt
Bei jeder Rezension, eigentlich bei jedem Text, den man für die Öffentlichkeit verfasst, ist es wichtig Grenzen zu finden, aber auch schwer, besonders wenn der Akt des Schreibens im selben Maße für Zufriedenheit sorgt wie das Thema für Begeisterung.
Doch was sein muss, muss sein und darum habe ich mich entschlossen, auf die Komponisten allein in Links auf deren Wikipedia Seite aufmerksam zu machen. Obwohl jeder einzelne von ihnen und auch ihre Werke der Beachtung mehr als wert sind. Nicht als Wiedergutmachung für ungerechtfertigte, menschenverachtende Verfemung allein, sondern weil ihre Werke so viel erzählen, mit jedem Wort, jedem Ton.
Leider ist hier nur Platz für Konzentration auf einige wenige Werke/ Komponisten dieser CD. Aber, dank ihrer Ausdrucks- und Interpretationsstärke, malen Linda Leine und vor allem Pia Davila ein so klangfarbenes, buntes Bild, dass weniger Worte vielleicht nicht mehr, aber doch genug sind um diese Produktion zu würdigen und neugierig auf sie zu machen.
Da sind zu einem die beiden, vielleicht bekanntesten, Werke: Das Titelgebende „Irgendwo auf dieser Welt“ (Werner R, Heymann, 28), das besonders die ältere Generation sicher noch in der recht hoffnungsfrohen Interpretation der entzückenden Lilian Harvey im Ohr hat, oder die sehr humorvoll-ironische Version des Liedes: „Mein kleiner grüner Kaktus“ ( Bert Reisfeld 24) von den Commedian- Harmonists. Beiden Stücken verleiht Pia Davila einen weiblich-hintergründigen Touch, und den vom Kaktus gestochenen Nachbarn Herrn Kraus stellt sie einfach wunderbar dar! Doch sie kann noch viel mehr mit ihrer Stimmführung, ihrem großen Stimmumfang, ihrer Leidenschaft zu Musik und Gesang und ihrer stets einwandfreien Diktion. Erwähnen möchte ich hier „nur“ noch jene Kompositionen, die allesamt von Frauen mit jüdischen Wurzeln geschrieben wurden.
Ruth Schönthals Poor Bits of a Wench (5) ist ein kleines Kabinettstückchen bissiger Tragik. Ihr A Woman’s Last Word (22) hingegen von – ich nenne es einfach – todessehnsüchtiger Sinnlichkeit. In Rosy Wertheims Scherzo Nr. 1 aus den 4 Liedern nach niederländischen Gedichten (23) gelingt es Davila mühelos mit klaren Höhen, sauberen Wechseln der Lage die kleinen grotesken Gnome sichtbar zu mache Ilse Weber Und der Regen rinnt (10), drückt Trauer, Verlust und Sehnsucht aus, ihr Wiegala ( 19) ist ein Wiegenlied in dem viel Wehmut mitschwingt. Ach, aber auch Davilas gesangliche Darstellung eines Alkoholkaters (Erich Zeisl Kater (26)) ist einfach nur köstlich. Ebenso wie man ihr bei; Ich bin ein Vamp (aus 100 Meter Glück von Mischa Spoliansky), ursprünglich geschrieben für Die blonde Carmen Annette Konrad, jedes Wort glaubt und sie bildlich züchtig lasziv vor sich sieht.
Aber wie stets sind dies nur subjektiv und exemplarisch gewählte Lieder, aber nicht nur für sie gilt: Pia Davila und Linda Leine treffen nicht nur buchstäblich, sondern auch im übertragenen Sinne stets den richtigen Ton. Die Auswahl behandelt die (menschliche) Natur in all ihren Facetten von Laszivität bis (Todes)Sehnsucht und lässt keinen Moment lang unberührt oder kalt.
Freude am Gehörten, Warten auf Neues
Fazit: Alles in allem ist Irgendwo auf der Welt ideal für diese Jahreszeit, in der die Natur sich langsam etwas Ruhe gönnt, Regen öfter vom Himmel rinnt, während die Vögel immer seltener zwitschern, der eine oder die andere schon fröhlich den ersten Schnee schnuppert. Manch einer findet in dieser dunklen Jahreszeit Trost und Hoffnung, in warme Decken aufs Sofa gekuschelt, bei heißer Schokolade mit oder ohne Schuss. Und natürlich auch beim Hören von Musik, auch solcher, die einmal nicht – oder besser nur hier und da- berieselt und zum Mitsingen einlädt, sondern eher zum wirklich hinhören. Um so das graue Hier und Jetzt zu vergessen, um sich an jene zu erinnern, die in wahrhaft dunklen Zeiten Halt fanden in der eigenen Kreativität, die wir nun genießen dürfen inklusive der von den Komponisten beabsichtigten Dissonanzen. Ganz zu schweigen von der Qualität des Vortrages, der ganz eigenen, teilweise positiv eigenwilligen Interpretation. Einen Kritikpunkt gibt es – naja oder auch zwei: Zum einen freute ich mich einmal über ein, ja ein „Mainstream-Projekt,“ eben doch eines zum Berieseln lassen und Mitsingen halt. Zum zweiten? Was uns wohl das nächste Davila-typische Projekt bringt?
Birgit Kleinfeld n (Originalartikel Oktober 2022)
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