Eigentlich ist es trügerisch, dieses 51 Jahre alte Bild von Luciano Pavarotti und mir, denn ich war nie ein großer Pavarotti Fan. Es war nämlich ein anderer der Drei Tenöre, der aus einem „Flirt“ mit der klassischen Musik eine große Liebe machte, die bis heute hält, ohne auf andere Genres von oben herabzublicken. Ich erinnere mich noch heute an den 30.6.1971. Damals sah ich zum ersten von vielen, vielen Malen George Bizets Carmen mit Placido Domingo als Don José und von da an gesellten sich Bilder von ihm zu jenen von Carlos Santana und Brian Connolly von The Sweet. Die beiden letzteren wurden nach und nach von Fotos von Giuseppe Verdi, Giacomo Puccini und vielen damaligen weiblichen und männlichen Opernstars, von denen heute viel Legenden sind und die ich hier an der Staatsoper oft erleben durfte.
Vielleicht sind es die all die Erinnerungen an schöne Vorstellungen und Begegnungen oder auch ein unterschwelliges schlechtes Gewissen darüber, dass ich die Stars mehr zu schätzen wusste als weniger bekannte Sänger, dass mir heute beim Schreiben von Rezensionen Wertschätzung aller Künstler*innen sehr wichtig ist.
„Ich/ wir verreiße(n) nie!“, ist ein Credo von mir/uns von Operngestalten, das sehr ernst genommen wird. Das bedeutet keinesfalls, dass ich nicht kritisiere. Doch ganz nach dem Motto „Was du nicht willst, das man dir tu‘ …“ ist Fairness mir wichtig. Oh, nicht weil ich so ein guter Mensch bin, nein, aber einer, der sich bemüht, ehrlich auch sich selbst gegenüber zu sein. Wie kann ich mir/kann man sich herausnehmen, etwas zu verurteilen, von dem man weniger Wissen und Erfahrung hat als jene, die auf der Bühne stehen oder anderweitig an einer Aufführung beteiligt sind, wenn ich keine Gesangs- oder Musikausbildung habe? Muss ich da nicht mir und auch meinen Leser*innen eingestehen, dass meine Meinung zum größten Teil auf Geschmack und Vorlieben beruht? Ich finde schon.
Dennoch stehe ich hinter diesem Oscar Wilde Zitat, ist das Wort „erziehen“ doch in viele Richtungen auslegbar. Es muss nicht „belehren“ bedeuten, oder „alles was du weißt, das weiß ich sowieso viel besser“. Nein, „Erziehung“ sollte von Kritiker zu Publikum bedeuten, aufmerksam machen, anleiten und vor allem Mut machen. Mut machen, die Hemmung vor der „Hochkultur“ Oper zu verlieren und sich dann von Berichten anregen zu lassen sich eine ganz eigene Meinung über Musik, Stück, Inszenierung und Leistungen der Sänger*innen zu bilden.
Und wir Kritiker? Klar, wie all die, die das Bedürfnis verspüren,sich durch Ihre Talente, ihre Kunst der Öffentlichkeit zu stellen, um Freude zu verbreiten, zum Nachdenken anzuregen, (womit ein wenig Provokation ja ab und an einhergeht) und wie alle Künstler*innen wollen wir natürlich gesehen, gehört und ernst genommen werden. Aber ich finde es falsch, eitel und arrogant, wenn die eigene, wenn auch auf langjähriger Erfahrung und angelesenes Wissen beruhende Meinung, als allgemein gültige Weisheit “verkauft“ wird, die sich oft genug allein in abwertenden Bemerkungen zeigt. Genau so oft frage ich mich, ob dahinter nicht die Weigerung steckt, Neues verstehen zu wollen. Damit meine ich neue unbekannte Sänger*innen, aber noch viel mehr modernes Regietheater.
Und hier kommt nun der zweite Teil des obigen Wilde Zitats ins Spiel: Ja, wir Kritiker sollten uns von den Künstler*innen, dazu „erziehen“ lassen, indem wir uns einlassen auf eine „kunterbunte“ Carmen oder Cosi fan tutte Inszenierung, eine Produktion von Wagners Der Fliegende Holländer oder all die anderen, auf den ersten Blich eher verstörenden Werke.
Wir sollten auf junge Sänger*innen neugierig sein, sie nicht mit den Favoriten unserer Jugend und deren Gesangstechniken vergleichen. Und warum darf ein Weltstar nicht auch einmal einen schlechten Tag haben oder den Höhepunkt seiner Karriere hörbar überschritten haben.
Auch sollten wir uns die Mühe machen, über den Tellerrand unserer Gewohnheiten und Erwartungen hinwegzuschauen und, selbst wenn uns eine Inszenierung sogar nicht zusagt, dieses zumindest konstruktiv begründen oder/ und uns bemühen, einen Sinn zu finden, eine Idee zu entwickeln, die wir an unsere Leser weitergeben.
Auch auf diesem wertschätzenden Weg können wir Aufmerksamkeit und Anerkennung erlangen, was doch das Ziel aller ist, die sich der Öffentlichkeit, wie auch immer darstellen/zeigen.
Ach ja, Sie merken es, zu schreiben ist meine Art auf Aufmerksamkeit, Zuspruch und so weiter zu hoffen. Schon das Schreiben an sich birgt eine gewisse Erfüllung, es über das, was ich liebe, zu tun tut das Seinige dazu. Und darum ist meiner langen Rede kurzer Sinn das, was schon früher hier gesagt wurde: Operngestalten möchte natürlich informieren, aber vor allem neugierig machen, in der Hoffnung auch andere für all die schönen Genres, die uns die Kulturwelt (Musik, Theater, Literatur, Kunst….) zu bieten hat, zu begeistern.
Zum Schluss dieses ganz persönlichen Artikels, möchte ich Sie auffordern, immer mal wieder hier auf Operngestalten vorbeizuschauen. Bald ist Altes wieder da und auch an Neuem, nicht nur aus meiner Feder, wird es nicht mangeln!
Also bitte, bleiben Sie geduldig, neugierig und vor allem begeisterungs- und wertschätzend kritikfähig!
Ihre
Birgit Kleinfeld