Titelbild: Elena Zhidkova / FotoCredits Hans Jörg Michel (2017)
Die Staatsoper Hamburg wählte den Karfreitag für die Wiederaufnahme der beiden Opern „Cavalleria Rusticana“ von Pietro Mascagni und Ruggero Leoncavallos „I Pagliacci“. Anders als zu Ostern oft übliche Stücke, wie zum Beispiel Bachs Matthäuspassion, Wagners Parsifal oder auch Ben Beckers überaus eindringlicher und auch provokanter Monolog „Ich – Judas“, haben weder „Cavalleria“ noch „Pagliacci“ die Leiden Christi, sondern die von uns selbst geschaffenen als Hauptthema. Und doch ist zumindest „Cavalleria rusticana“ und in erster Linie das wunderbar emotionale Zwischenspiel für mich persönlich mit diesem für uns Christen wichtigen Fest, verbunden. Dank der hervorragenden Besetzungen in beiden Opern, versetzte dieser Abend nicht nur mich in eine besondere Stimmung, die sich in Jubel und langanhaltenden Applaus äußerte.
„.. und wem sie just passieret, dem bricht das Herz entzwei.“
So lautete die Überschrift meiner letzten Rezension (2017 auf Opernmagazin.de) zu Giancarlo del Monacos Inszenierung zu dieser Produktion, Heinrich Heines Gedicht „Ein Jüngling liebt ein Mädchen“ zitierend.
Weiter schrieb ich schon damals: „In beiden, im Italien des ausgehenden 19. Jahrhunderts spielenden Stücken, geht es um tödliche Rache, ausgeübt im Namen verratener Liebe.
So ist in „Cavalleria Rusticana“ die verzweifelte Santuzza, die, von Turiddù für seine alte Liebe Lola verlassen, diesen an Alfio, deren jetzigen Ehemann, verrät. In einem Duell unterliegt der Geliebte dem Gatten und stirbt. In „I Pagliacci“ wird aus der Geschichte, die eine Wanderbühne allabendlich humoristisch aufführt, bittere Realität: Nedda, die ihren Mann Canio mit Silvio, einem Dorfbewohner, betrügt, wird von Tonio, einem Mitglied der Truppe, verraten, nachdem sie ihn abgewiesen hat. Der betrogene Ehemann tötet seine Frau, wie auch deren Geliebten.
Giancarlo del Monaco (Regie) und Michael Scott (Bühne, Kostüme) setzten im Jahre 1988, als Regietheater, wie wir es heute kennen, gerade mal in den Kinderschuhen stand, auf „klassisch“. Und es funktioniert. Weitgehend. Das Bühnenbild entführt den Zuschauer optisch in ein Dorf südeuropäischen Stils, wie man es auch heute noch kennt: sandfarbene Fassaden, umgitterte Balkons, hölzerne Fensterläden. Die Farbe der Kostüme ist in „Cavalleria“ festliches Schwarz und in „Pagliacci“ Straßenkleidung, die vor ca. 60 Jahren zu sehen war und auch heute noch auf den Straßen zu sehen ist. Del Monaco und Scott setzen ganz auf die Wirkung der Geschichten und vor allem auch der Musik und der Darsteller. Ein Konzept, das aufgeht, auch wenn einige Abgänge und plötzlich auf der anderen Seite der Bühne stattfindenden Auftritte oder das etwas unkoordiniert wirkende Hin- und Herlaufen des Chores im „Pagliacci“ für Verwirrung sorgen.“
Zuerst die Emotionen – Prima l‚Emozione
Beide Stücke sind Beispiele für den Verismo, den Opernstil, der sich mit alltäglichen Sorgen und Problemen von normalen Menschen beschäftigen, die man nicht als Held*innen im eigentlichen, heroischen Sinne bezeichnen kann. Vielleicht ist, und vor allem war zur damaligen Zeit die Macht von Kirche, (eigenem) Glauben und männlicher Ehre im Süden Italiens, dem Handlungsort, wichtiger und intensiver als heutzutage und hierzulande, doch ich denke, große Emotionen, ob offen gezeigt oder verborgen, ist niemanden fremd. Das gilt für die verzweifelte und durch Turiddus gebrochenes Eheversprechen entehrte Santuzza ebenso wie (zumindest in Ansätzen) für dessen innere Zerrissenheit und sein unüberwindliches Ehrgefühl, mit dem er sich in Duell und Tod stürzt. Auch die Gefühle, die in Neddas betrogenem Ehemann Canio toben oder auch im verkrüppelten Tonio, dem Nedda sein Liebesgeständnis mit Spott und einem Peitschenhieb vergilt. All dies ist in Del Monacos Personenregie spürbar und an diesem Abend Dank des einfühlsamen Dirigats von Daniele Callegari und der Leistung des Philharmonischen Staatsorchester Hamburg auch hörbar, die all die bildmalerische Emotionalität Mascagnis und Leoncavallos zum klingen bringen und meines Erachtens nur hier und da, und das nur in den Chorszenen in „Cavalleria Rusticana“, die stimmliche Durchsetzungskraft der Solisten auf die Probe stellen, ansonsten aber deren Fähigkeiten und Aufgaben unterstützen und untermalen. Ja, dank der Solisten stehen wirklich die musikalischen Emotionen im Mittelpunkt des Abends.
Cavalleria Rusticana: Santuzza – Mittelpunkt von Stück und Bühne
Ihre Rollen sind klein, doch alles andere als bedeutungslos: KS. Renate Spingler überzeugt als gestrenge Mutter Lucia, deren Schmerz umso spürbarer ist, da sie sich während „Mama, il vino…“ auf einem Balkon und nicht bei ihm direkt befindet. Ida Aldrian als verführerische Ehebrecherin Lola fasziniert bereits mit ihrem im Klang so unverkennbaren Mezzosopran, bevor sie noch die Bühne betritt.
Bariton George Petean, einst Ensemblemitglied der Staatsoper Hamburg und nun stets gern gesehener und gehörter Gast, war der einzige Solist, der in beiden Stücken auftrat. Schon in Cavalleria nutzte er die wenigen Gelegenheiten, die ihm die Partie des gehörnten Alfios, um mit, anfangs etwas belegter Stimme, zu zeigen welch hervorragender Gesangs-Darsteller er ist.
Auch Marcelo Puente als Turiddu benötigte einige Momente um zu seiner gewohnten Form zu finden, was aber aufgrund der Tatsache, dass er seinen Auftritt hinter der Bühne, einer an Lola gerichtete Serenade beginnt, Kritik auf sehr hohem Niveau ist. Ansonsten, nämlich schon mit Betreten der Bühne, führte er seine Stimme, der es weder an einschmeichelnden Schmelz noch an dramatischem Metall fehlt, sicher, mit viel Ausdruck und überzeugend bewegendem Spiel. Er zeigte uns einen jungen, leidenschaftlichen, von vielen Sehnsüchten und zu später Reue getriebenen Mann, dem man Verliebtheit, Ungeduld und vieles mehr einfach glauben muss. Ein äußerst gelungenes, von mir mit Freuden erwartetes Rollen Debüt
Ihr aber gehörte die Bühne von Anfang an: Ekaterina Gubanova zieht schon mit den ersten Schritten, wenn Santuzza Turiddu nachzulaufen versucht, völlig in den Bann. In diesem hält sie uns die gesamte Oper über. Egal ob sie in absoluter Demutshaltung vor der Kirche liegt, sich Turiddu zu Füßen wirft oder einfach am rechten Bühnenrand steht, nicht einen Augenblick lang ist sie jemand anderer als die leidend liebende Frau, die uns ihre Qualen offenbart. Sie ist dabei so intensiv und authentisch, dass ihr Spiel auf eine Art berührt, die fast(!!) zu viel ist, da nichts aufgesetzt, sondern alles wie wirklich gefühlt wirkt. Ihr Mezzosopran hat einen auf angenehme Weise eindringlichen, ungewöhnlichen Klang, den ich nur mit einem Vergleich beschreiben möchte, der ernstgemeint und vielleicht das persönlichste Kompliment ist, das ich in diesem Fall verteilen kann: Intonation, Intensität und Dramatik, ließ Gubanova mich immer wieder an Leonie Rysanek, die ich sehr schätze, denken. Brava!
I Pagliacci: Endgültige Begeisterung und eine kleine Abbitte
Beschäftigt sich Cavalleria Rusticana mit einem christlichen Fest, so geht es in I Pagliacci um sinnlichere, wenn auch nicht weniger dramatisch endende Vergnügen: Dem Straßentheater, das im Stil der Commedia dell’Arte beginnt und der Tragödie der Realität endet.
Seungwoo Simon Yang amüsiert und bezaubert als Komödiant Beppo nicht nur das Publikum auf der Bühne mit klarem Tenor und kleinen fast akrobatischen Einlagen. Bariton Nicholas Mogg. wie Yang Absolvent der Internationalen Opernstudios Hamburg überzeugte stimmlich und darstellerisch als Neddas Geliebter Silvio.
Als mädchenhaft verträumte, nach Freiheit strebende Nedda, präsentierte sich die Sopranistin Anna Princeva. Das bekannte Vogellied spricht in ihrer Interpretation von stimmlicher Leichtigkeit, die Höhen kommen, wie die der begleitenden Flöte, sicher und, mir fällt kein anderer Ausdruck ein, „flatterten“ im schönsten Sinne des Wortes, melancholisch fröhlich. Daneben hat Princeva jedoch auch jene volltönende lyrische Dramatik, die sie für Partien wie Mozarts Donna Anna (Don Giovanni) oder sogar Wagners Elsa (Lohengrin) prädestiniert, für die sie 2019 für den renommierten Theaterpreis Faust nominiert wurde.
Mit seinem des Tonio Prolog zu I Pagliacci hat Leoncavallo ein ganz besonderes Stück geschaffen, das nicht wenige spätere musikalische Motive und somit auch Emotionen schon andeutet. Auch wenn mich an diesen Abend so gut wie alles begeisterte, machte George Petean dieses Stück zum absoluten Höhepunkt und wurde mehr als zu recht umjubelt und mit Szenenapplaus belohnt. Er bewies sich ein Mal mehr als Künstler, der viel gibt, sei es vielfältige, warme Stimmfarbe, gut eingesetztes Vibrato, großer Stimmumfang oder auch die Fähigkeit, Bühnencharaktere auch glaubhaft mit Leben zu füllen und die Wut und Trauer Tonios über Neddas Zurückweisung spürbar zu machen.
Kommen wir nun zu der Sache mit der Abbitte. Ich, die sich ja gern rühmt, wenigstens negative Vergleiche zu meiden und auch vorschnelle (Vor)Urteile, sah dem Rollendebüt von Tenor Vittorio Grigolo im Gegensatz zu dem von Narcelo Puentemehr als skeptisch entgegen. Warum? Ich kann es nicht mehr sagen. So ganz warm werden konnte ich mit seinen manchmal allzu vielen Gesten – noch?- nicht. Stimmlich jedoch beeindruckte und ja überraschte Grigolo mich mit leichten strahlenden Höhen und fundierten Tönen auch in den tiefen Lagen. Sein Vesti la Gubba fehlte der von mir gefürchtete Pathos, aber nicht die unter die Haut gehende trauervolle Dramatik. und wie so oft sind es kleine Gesten, kurze Momente, die überzeugen. Hier waren es Grigolos letzte Worte als Canio: „La Commedia é finita„, die er verhalten und darum um so ausdrucksvoller äußerte.
Fazit: Beide Opern behandeln auf unterschiedliche, wunderschön klingende Weise ein Thema, das uns lehrt, was wir Menschen nie lernen werden: Rache befreit niemals. Sie zerstört jeden und alles. Aber beide Opern beweisen auch, dass Musiktheater, dargeboten wie an diesem Abend in der Staatsoper Hamburg, etwas einfach wunderbares ist, das vielleicht nicht schweben lässt, aber lächeln und sich wohlfühlen.
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 29.3.2024