Titelbild: Gaderobenbild La Traviata, Staatsoper Hamburg 2023
PhotoCredits: Privat/ E . Kajtazi,
Bereits im Februar faszinierte sie bei Ihrem Debüt als Manon in Jules Massenets gleichnamiger Oper und jetzt riss sie das Publikum bei ihren beiden Vorstellungen als Violetta in Giuseppe Verdis La Traviata nicht nur im übertragenen Sinne von den Stühlen: Elbenita Kajtazi begeistert mit Stimme und Ausstrahlung auf der Bühne und mit Charme und Natürlichkeit in dem Gespräch, das ich für Operngestalten mit ihr führen durfte.
Operngestalten (OG): Danke für Ihre Zeit und wie schön, dass wir unser Gespräch auf einen Zeitpunkt nach Ihrem Hausdebüt als Violetta verlegten. Erst einmal möchte ich Ihnen herzlich zu diesem fantastischen Erfolg gratulieren. Ich habe schon viele Vorstellungen von La Traviata mit vielen fantastischen Violettas gesehen, auch in den letzten Jahren. Aber selten hat mich jemand so umgehauen, wie Sie in dieser Partie. Sie scheinen die Rolle zu leben.
Elbenita Kajtazi (EK): Ja, es ist eigentlich so. Ich habe immer sehr viel Angst, bevor ich auf der Bühne stehe. Ich habe immer das Gefühl, dass ich die Rolle nicht kenne, alles vergessen habe. Ich scheine ruhig zu sein habe aber sehr viel Stress. Aber wenn ich dann auf der Bühne stehe, vergesse ich alles um mich herum, ich bin dann nicht mehr Elbenita, sondern Violetta oder Manon oder … Ich muss diese Frau sein um dem Publikum ein Gefühl von der Person zu geben. Ich kann dann nicht an meine Technik denken, an die Höhen oder Linien. Nein, ich singe einfach und bin für diese 3 Stunden einfach Violetta. Selbst in der Pause rede ich mit niemandem, denn sonst bin ich für einen Moment wieder raus aus der Rolle, bin wieder Elbenita. Aber ich denke, damit das Publikum Violettas Liebe und Schmerz spürt, muss ich sie sein. Also ja, ich lebe meine Rollen.
OG: Meiner Meinung nach übertrug sich diese Einstellung, diese Spannung, die von Ihrer Darstellung ausging, nicht nur auf das Publikum, das dann Standing Ovations spendete, sofort, spontan und wie um diese , sicher unbewusste, Spannung loszuwerden. Sondern auch auf Ihre Kollegen Stephen Costello und Artur Rucinski, die ich beide noch nie so intensiv in Darstellung und Ausstrahlung erlebt habe.
EK: Ja, die beiden waren toll. Mit Artur Rucinski hatte ich überhaupt keine Probe, sondern traf ihn erst auf der Bühne und auch Stephen Costello traf ich erst am Tag der Vorstellung. Sie wussten, dass ich die Violetta noch nie in Hamburg gesungen hatte. Ich hatte nur eine Regieprobe auf der Bühne und fragte mich, wie ich denn die große Arie Sempre Libera singen soll, wenn sich die Bühne die ganze Zeit dreht. Aber alle, auch die Technik, waren so nett zu mir und Stephen und Artur sind wirklich fantastisch. Gerade bei der zweiten Vorstellung … Artur ist sowieso eine ganz andere Liga (Welt), aber da war er doch noch viel intensiver, anders als bei der ersten oder?
OG: Oh ja! Er wirkte auf mich viel energischer bei seinem Madamicella Valerie und das ist einer der Gründe, warum ich überzeugt bin, dass Sie Ihre Partner mitreißen. Das war schon bei Ihrem Manon Debüt mit Enea Scala ähnlich, so wirklich zu schätzen, richtig wahrgenommen habe ich ihn und seine wunderbare Leistung erst in der Klosterszene, die ich ja in meinem Bericht als „Krimi“ bezeichnete
EK: Dankeschön.
OG: Was mir sehr spannend scheint ist, dass Sie diese beiden Rollen so kurz hintereinander sangen. Alexandre Dumas lässt in seinem Roman die Kameliendame, Marguerite, eine Seelenverwandtschaft zu Prevosts Manon fühlen. Das fehlt in Verdis La Traviata, aber Johannes Erath hat für seine Inszenierung hier die rückblickende Erzählweise des Buchs übernommen. Darum kam ich auf diese Frage: Ziehen Sie für sich da auch Parallelen?
EK: Ja, es gibt eine Verbindung, allerdings wird Manon von einem Mädchen zu einer Frau, stirbt dann als Geliebte, aber nicht allein. Violetta ist bereits eine Frau, eine Kurtisane. Doch am Ende ist sie ein Mädchen, das alleine stirbt. Ich kenne das Buch auch und dachte, als ich bemerkte, dass Erath auch mit Alfredos Besuch an Violettas Grab beginnt: „Oh wie schön!“. Aber das Ende ist dann doch etwas kompliziert. Ich sterbe allein, dann kommt Alfredo und ich lebe doch wieder… Ich denke es ist Violettas Traum. Vom Parkett aus sieht man es nicht besonders, vor der Spielfläche der Drehbühne gibt es einen Graben. Die ganze Zeit blickt Violetta darauf, sieht ihren eigenen Tod. Das berührt mich so sehr, dass ich mich wirklich wie ein Geist fühle. Ich habe viele Fragen zu dieser Inszenierung, aber ich gebe mein Bestes und hoffe, ich habe es (verbessert sich), ich denke, ich habe es gut rübergebracht.
OG: Auf jeden Fall! Es gab Standing Ovations … Das ist für mich ein unumstößlicher und auch seltener Beweis für den Erfolg einer Vorstellung. Mehr noch als eine gute Kritik. Und ich denke, Ihre Fähigkeit, die eigene Leistung zu reflektieren, wenn auch etwas zu kritisch, ist der Grund für Ihre Ausstrahlung, die überragende Qualität Ihrer Darbietungen. Dafür dass Sie jede Manon, jede Violetta ein klein wenig anders darstellen.
EK: (lachend): Ja, das war wunderbar, ich war so überwältigt. Und es stimmt, die Reaktion des Publikums zeigt mir meinen Erfolg am besten, und mein eigenes Gefühl. Ich lerne wirklich jede Vorstellung etwas dazu, mache es etwas anders.
Ich fühle oft wenn das Publikum ganz konzentriert bei mir ist, die Spannung und die Energie, und nehme das dann auf in mir. Es ist ein- ja ein „Wow“ Gefühl. Später überlege ich immer, ob ich dies oder das nächstes Mal nicht lieber anders machen sollte. Bin nie zufrieden. Ich grübele bis mein Mann sagt: „Du musst runterkommen und dich ausruhen!“ „ Ja, aber….“ Antworte ich dann, analysiere die ganze Zeit- Trotz der Standing Ovations und obwohl mein Mann mir sagte, ich hätte ihn direkt in sein Herz getroffen und er hätte geweint.
OG: Ihr Mann ist der Komponist Ardian Halimi. Wird es gemeinsame Projekte geben? Wie ist es, unterstützen Sie jeweils die Arbeit des anderen?
EK: Ich hoffe es, wir haben schon einige tolle Ideen, aber im Moment hat Ardian seine eigenen Projekte. Er ist einer der zwölf jungen Komponisten, die für ein spezielles Förderungsprojekt von #synergyproject ausgewählt wurden, darum fahren wir im Sommer für zwei Wochen nach Dubrovnik.
Ardian und ich sind nun 13 Jahre zusammen. Wir haben zusammen in Prishtina studiert Er ist die wichtigste Person in meinem Leben, wir haben unseren Traum nach Deutschland zu kommen gemeinsam verfolgt. Er ist ein halbes Jahr nach mir hierhergekommen. Es war keine leichte Zeit am Anfang, denn ich war in Berlin und er in Freiburg. Ich sage immer: Gott sei Dank, dass ich ihn in meinem Leben habe. Er ist sehr ruhig, ich bin voller Energie. Ich brauche diese Balance. Er ist meine Liebe, mein Ruhepol und mein Fels in der Brandung. Beruflich legen wir sehr viel Wert auf die Meinung des anderen. Er fragt mich, wenn er komponiert, was ich von seinen Werken halte. Und ich frage ihn auch zu meinen Rollen. Wir trauen einander da vollkommen. Ich möchte wirklich mit ihm alt werden. Standing Ovations sind schön, aber was nützt es wenn du niemanden hast, mit dem du es teilen kannst, wenn du alleine bist? Ich möchte ihn immer in meinem Leben haben. Wir geben einander Halt.
OG: Sie kamen also aus dem Kosovo, wo es, als Sie Kind waren, auch Krieg gab, nach Deutschland. Wie sehen Sie die jetzige Situation und – wenn Sie dazu etwas sagen mögen, – den Umgang mit russischen Sängern?
EK: Zu den Sängern möchte ich nichts sagen. Aber im Fernsehen wieder etwas von Krieg zu sehen ist sehr schwer. Die Kinder sind mir wichtig. Ich habe als Kind selbst viel Schreckliches erlebt und heut noch Alpträume, wache manchmal weinend auf. Es war und ist schrecklich, wir müssen helfen, wo wir können. Es war für mich keine Frage „Ja“ zu sagen, als man mich bat bei dem Benefizkonzert mitzumachen. Wir sind Künstler und wenn wir singen kämpfen wir für die anderen, die Kinder.
Ich wünsche mir Frieden, aber auch mehr Gerechtigkeit und noch mehr Verständnis füreinander unter den Völkern. Wissen Sie, der Kosovo gehört zu Europa, auch wenn wir nicht zur EU gehören. Ich liebe mein Land, die Sonne scheint immer. Es ist warm, die Leute sind freundlich, das Essen ist toll, ich glaube, irgendwann möchte ich dort wieder leben und weiter überall arbeiten. Aber es geht doch nicht an, dass meine Familie – ich habe fünf Schwestern – ein Visum braucht um zu reisen. Es dauert mindesten sechs Monate bis es genehmigt wird. Meine Mutter kann nicht spontan zur Traviata kommen oder einer anderen Vorstellung. Das macht mich traurig. Wenn ich Zeit habe, zum Beispiel am Weltfrauentag, fahre ich nach Hause und wir setzen uns gemeinsam für die Rechte der Frauen und gegen Gewalt gegen Frauen ein. Ich denke, wenn mehr Frauen die Welt regieren würden, würde es keine solchen Kriege geben und keine so schreckliche Situation wie in der Ukraine. Krieg ist einfach – auf der ganzen Welt – nur schrecklich.
OG: Da gebe ich Ihnen Recht.
In Ihrer Biografie ist zu lesen, dass „Das Leben eine große Wende nahm, als ich nach Deutschland kam“. Mögen Sie einen kleinen biografischen Abriss geben, erzählen was dieser Satz bedeutet?
EK: Ich war eine gute Studentin, wollte aber nicht dort bleiben. Hier studiere ich seit zwölf Jahren mit der Opernsängerin Caroline Merz. Der Kosovo ist klein und nach dem Krieg dort braucht unser Land Zeit sich zu erholen. Wir haben kein Opernhaus, keine U-Bahn. Das sind Kleinigkeiten, aber ich musste alles lernen. Ich kam als Stipendiatin des Young Artist Program (Opernstudio) der Deutschen Oper Berlin. Es war am Anfang nicht leicht für mich, denn ich hatte noch nie in meinem Leben auf einer Bühne gestanden. Ja, ich hatte viele Konzerte gegeben, aber noch nie eine Rolle in einem Stück gespielt. Meine erste Rolle war Frasquita aus Carmen. Das ist schwierig für jemanden, der nur wenig Rollenstudium gehabt hat. In Prishtina an der Universität habe ich nicht gelernt, wie man auf der Bühne spielt oder wie man den Dirigenten beobachtet. Ich sage immer gerne, dass es mich 10 Jahre meines Lebens gekostet hat, wenn ich Frasquita spielte. Aber ich hatte Glück und immer die richtigen Leute um mich. Ich konnte mir erlauben, mir Zeit zu lassen und in kleinen Rollen Erfahrungen zu sammeln. Die Pamina war meine erste große Rolle und die einzige, die ich in Berlin gesungen habe. Nach Berlin war ich im Young Artist Program (Opernstudio) bei den Salzburger Festspielen, wieder eine tolle Zeit, in der ich viel lernte. Danach bekam ich am Aalto Theater in Essen einen Festvertrag und habe viele verschiedene Rollen gesungen: Musetta (La Bohème), Adele (Fledermaus), Annina (Eine Nacht in Venedig).Dort gab ich auch mein Rollendebüt als Violetta und ich habe auch die Gretel und die Turandot dort gesungen.
OG: Seit der Spielzeit 2018/ 19 nun leben Sie in Hamburg und sind Ensemblemitglied der Staatsoper. Doch ich bin sicher, gerade jetzt, nach dem immensen Erfolg als Manon und als Violetta, können Sie bald wirklich „überall“ singen.
EK: (lächelnd) Mal sehen … Ich habe einen neuen Vertrag, der mir Gastspiele erlaubt, doch ich möchte Teil der Staatsoper Hamburg bleiben. Ich liebe diese Stadt, das Opernhaus und die Kollegen sind toll. Ich werde unterstützt und bekomme sehr gute Rollen. Ich möchte hier bleiben.
OG: Gibt es eine Traumrolle?
EK: Dvoraks Rusalka! Aber ich singe auch immer wieder gerne Mozart. Pamina (Zauberflöte), Susanna oder Comtessa (beides Figaros Hochzeit). Nach einer Partie wie Violetta und auch für Sänger, die Wagner singen, ist Mozart wie eine Therapie. Ich liebe Mozart. Er hat sehr sängerfreundlich komponiert. Die Musik des Orchesters wird leiser bei Arien. Mozart ist der perfekte Komponist für die Stimme.
Vielleicht werde ich irgendwann, später einmal, auch eine moderne Oper singen, aber nicht im Moment, und ich werde immer zu Mozart zurückkehren.
OG: Als nächstes steht nun die Adina in Donizettis Liebestrank auf dem Plan in Hamburg. Mögen Sie uns zum Abschluss noch verraten, was uns nächste Spielzeit hier in Hamburg erwartet?
EK: Ich werde nächste Spielzeit mit Benjamin Bernheim als De Grieux Manon singen. Mein nächstes Debüt ist in Dresden die Mimi (La Boheme), aber die singe ich dann auch hier und ich debütiere als Michaela in Carmen, mehr kann ich momentan noch nicht sagen.
OG: Das sind ja wirklich schöne Rollen, auf die wir uns freuen dürfen. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Zeit und freue mich darauf, sie als Adina zu sehen und Ihre Stimme nun auch einmal in einem Stück zu hören, dass nicht zu Tränen rührt aber berührt, auch weil es schmunzeln lässt. Also: In bocca al lupo!
EK: Crepi! Und vielen Dank für das Gespräch