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Voyeur – Verbrechen lohnt sich -manchmal- doch



Mehr als hundert Frauen waren schon vor Fabians Augen gestorben. Immer leidvoll, meistens gewaltsam, immer in der Blüte ihrer Jahre. Und manchmal, manchmal, so wie Lucy damals – war es nicht Glasgow gewesen? -, waren sie es, die mordeten. Und immer war verschmähte Liebe im Spiel, egal in welchem Land, egal in welcher Kultur.
Denn wirklich überall auf der Welt schon – einmal sogar im fernen, exotischen Kairo – hat er den unterschiedlichsten Todesarten, Morden, beiwohnen dürfen. Hat alle Tode mit dem Fernglas beobachtet, immer unentdeckt von ihnen, ihren Mördern, oder den anderen in ihrer Umgebung. Die ergreifendsten Tode und Frauen hat er in seinem Herzen verschlossen, dort hält er die Erinnerung an sie fest, wie einen wertvollen Schatz, den er erweitert wann immer sich ihm die Möglichkeit dazu bietet. 
Und welch großartigen Schatz von erlebten Toden er schon jetzt sein Eigen nennt macht ihn immer wieder stolz: Floria, die sich in ihrer Verzweiflung von einem hohen Gebäude stürzte. Violet, die erst in Luxus lebte, um dann, nur aus der Ferne beobachtet, ganz einsam und verlassen dahinzuscheiden im Alter von nur knapp 20 Jahren. Mona, die im Schlafzimmer erwürgt wurde, oder auch A’Dee‘Me, die sogar ihre Kinder mit in den Tod nahm! Drama pur! Und das Beste ist, dass er immer unbeteiligt und vor allem unbehelligt bleibt.
Aber da ist ja noch Sonja, seine Freundin. 
„Du kommst noch mal in Teufelsküche, wenn du so weiter machst, Fabian.“
Sie sieht schon seit langem rot – oder schwarz? Ob sie recht behält? Egal, es passt ihr nicht, das weiß Fabian sicher. Eigentlich ist sie eine tolle Frau, hat kurzes schwarzes Haar, arbeitet in einem Bücherantiquariat, unten an der U-Bahn Haltestelle Stephansplatz, in dem kleinen Pavillon, mit seinen großen Fenstern in dem immer muffig riechenden Verkaufsraum. Sie kleidet sich meist schick, so wie heute. Sie trägt ein dunkles Kostüm und ein trägerloses Seidentop – burgunderrot.
Ja, sie ist eine schöne Frau, nur ein bisschen langweilig und zu gradlinig, zu vorschriftentreu – falsch herausgegebenes Wechselgeld behalten? Unmöglich!

Ware, die jemand anders im Einkaufskorb vergessen hat, einfach mitnehmen – niemals! Oder gar ein gefundenes Portemonnaie, in dem nichts als Geld ist, nicht abgeben – das gehört sich nun wirklich nicht!
Ihre Beziehung ist nicht schlecht, aber manchmal fehlt Fabian eben der gewisse Kick – den holt er sich dann bei seinen anderen Frauen – mit seinem Fernglas. Manchmal sind es auch Männer, die ihm aufregende Momente aus der Ferne bescheren. Aber Frauen sterben – oder morden – meistens einfach hingebungsvoller, dramatischer, nehmen schwerer Abschied vom Leben. Aber wirklich eifersüchtig sein, nein, das muss Sonja doch nun wirklich nicht auf sein „Hobby“. 
„Irgendwie erinnerst du mich ja an James Stewart in „Fenster zu Hof“, wie du hier so die Weiber beim Sterben beobachtest. Nur, dass du dafür auch noch zum Verbrecher wirst.“

Verbrechen hin oder her, es lohnt sich besonders heute. Gerade in diesem Moment wird es da unten so richtig spannend. Dieser Kerl bedrängt Agnes, er schreit sie an, packt sie am zarten, mit Silberreifen behängtem Handgelenk.
Was für eine Frau! Fabian ist wieder einmal vollkommen hingerissen, als er Agnes durch sein Fernglas beobachtet: lange, lockige, dunkle Haare, ein klassisch griechisches Profil und Augen strahlend wie der hellste Stern des Universums. Der Typ da bei ihr ist dieser Roberto, dieser Latinoververschnitt. Ach egal! Fabian hat sowieso nur Augen für Agnes, ihre Qualen, ihre Wut.
Der Platz, auf dem alles stattfindet, ist leer, an Wänden von verkommenen Häusern kleben halb abgerissene Werbeplakate, aus Fenstern, mit und ohne Gardinen, hängen die verschiedensten Wäschestücke auf Leinen. Außer Agnes wirkt alles öde. Aber die lässt sich nichts von diesem Typen gefallen.
Fabian stellt die Schärfe an seinem Glas besser ein. Irgendwo in der Nähe hört er vorsichtige Schritte, leises Flüstern, das Ende eines Satzes: „… erwischen ihn schon noch!“

Er traut sich nicht, sich umzudrehen. Ein Verdacht steigt in ihm auf; sollte Sonja ihn wirklich angezeigt haben? 
Kommen sie jetzt, um ihn zu holen, ihn mitzunehmen? Ist dann für immer alles aus? Würde er gar im Knast landen? `
Nein, die Schritte verklingen im dunklen Nichts hinter ihm. Es ist ja auch egal. Er konzentriert sich wieder auf den Kampf, der sich ihm bietet.
Agnes hat sich von Robertos Griff befreit, unerhört aufreizend und selbstsicher tänzelt sie um ihn herum. Lacht ihm ins Gesicht, diesem Schwächling, der sie immer wieder mit seiner Eifersucht verfolgt.
Ja, Fabian fühlt Erregung. Sieht der Mann denn nicht, was für eine Frau er da vor sich hat? Die braucht doch ihre Freiheit, die kann man nicht an die Kette legen wie einen Hund.
Der Kerl versucht inzwischen nun wirklich, Agnes zu würgen. Sie tritt nach ihm, kräftig und gezielt, er lässt ihren Hals los und packt dann – Mist! -erneut ihre Hand. 
Und jetzt – Fabian kann den Blick nicht abwenden – genießt er das, was sich ihm da darbietet, wäre da bloß nicht immer Sonjas Stimme in seinem Innern: „Du bist ein Verbrecher, Fabian!“ 
Ach, zum Teufel mit Sonja! Da! Da tobt das Leben! 
Agnes zieht sich etwas mit den Zähnen von ihrem linken Finger – einen Ring. Den spuckt sie dem Kerl ins Gesicht, lachend, ihre Haarpracht selbstbewusst schüttelnd. 
Wow! Wow! Wow!
Und dann geschieht es: Roberto hat plötzlich ein Messer in der Hand und sticht zu. Immer und immer wieder sticht er zu!
„Ist d a s spannend!“, denkt Fabian, echt Wahnsinn! Fernsehen und Film ist nichts dagegen! 
Mit weit aufgerissenen Augen, stumm vor Schreck, gleitet Agnes anmutig zu Boden. Sie ist sofort tot, das ist deutlich.
So’n Schlappschwanz! Bricht heulend über ihrer Leiche zusammen, rührt sich nicht, wehrt sich auch nicht, als von überall her plötzlich Leute kommen und ihn festhalten. Er ist nur apathisch und verzweifelt.
Dann ist es vorbei. Fabian kann sich nicht rühren, so ergriffen ist er. Seine pickelige Stirn und seine schlanken Hände, die sich um das Fernglas verkrampfen, sind nass von Schweiß. Der Vorhang fällt. Das Publikum rast. Fabian jetzt auch, er schreit „Braaaavoooo!“, klatscht und ist sich – was auch sonst? – sicher: für eine so tolle – natürlich schon seit Wochen ausverkaufte – Aufführung von Bizets „Carmen“ mit Marcelo Puente in der Rolle des eifersüchtigen José und Elina Garanca als heißblütige Carmen lohnt es sich, das Verbrechen sich ohne Ticket auf den Stehplatz zu schleichen, wirklich und wahrhaftig. Und für andere tolle Opern tut es das auch. Sogar die sonst so vernünftige Sonja sieht das ein. 

Endlich!

Diese Geschichte erschien 1999/2000 etwas gekürzt in der Kategorie „Leser-Minikrimis“ in der FUNK UHR
und 2009 in der Anthologie „Un-patho-logisch“(Buchverlag Krefeld, ISBN- 10:3941026240)
Birgit Kleinfeld, Anmerkung zur Geschichte

Birgit kleinfeld/Leonie Lucas um 2000

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