Titelbild: Georgiy Dubko, Stephan Bootz, Nadezhda Pavlova, Florian Panzieri, Björn Bürger, Daniel Kluge /PhotoCredits: Monika Ritterhaus
Mit der Premiere von Richard Strauss‘ Ariadne auf Naxos an der Staatsoper Hamburg ist die Trilogie Strauss/Tcherniakov nun vollständig. Zum letzten Mal führten Dmitri Tcherniakov und sein Team uns in die Welt problembeladener Familien des (Wiener) Großbürgertums, anstatt in die Welt der griechischen Mythologie, in der im Original Elektra, Salome und zum Teil auch Ariadne auf Naxos spielen. In seiner Gesamtheit ist dieser Zyklus vollkommen gelungen und, wie man so schön sagt, eine runde Sache. Die Ariadne ist der krönende, äußerst berührende, ohne hörbare Ablehnung angenommene, Abschluss. Das übliche Buhkonzert beim ersten Vorhang, für den bald scheidenden GMD Kent Nagano, gleicht für mich inzwischen einer nicht wirklich ernstzunehmenden Angewohnheit einer Gruppe von enthusiastischen Störenfrieden. Denn alle künstlerischen Leistungen auf der Bühne besonders von Anja Kampe in der Titelrolle und Nadezhda Pavlova( Zerbinettew), wie auch aus dem Graben verdienten den anhaltenden Applaus und den Jubel des begeisterten Publikums voll und ganz.
„Tragödie vs. Komödie, große Oper vs. Unterhaltungsmusik“
Diese Unterschiede, ja den „Kampf“ von Bildungsbürgertum (Ariadne) und Proletariat (Zerbinetta) in einer Oper zu vereinen, war die Absicht von Komponist Richard Strauss und Librettist Hugo von Hoffmannsthal. So entwickelten sie eine Geschichte um eine von einem Grafen finanzierte private Aufführung einer tragischen Oper und einer Komödie, die zugunsten eines Feuerwerks im Garten, nicht nacheinander, sondern gleichzeitig aufgeführt werden sollen. So sollen das Leid der von Theseus verlassenen Ariadne, die auf einer „wüsten Insel“ den Todesgott erwartet und die sinnliche Lebenslust der Komödiantin Zerbinetta und ihrer Liebhaber vermischt werden. Entstanden ist dann ein turbulentes Vorspiel, das voller Ironie die Eitelkeit und Befindlichkeiten der Beteiligten ins Visier nimmt. Im zweiten Teil wird das dramatische Leid der Ariadne immer wieder frech von Zerbinetta und Konsorten unterbrochen, auffordert den einen Mann halt durch (einen) andere(n) zu ersetzen und „hingegeben stumm zu sein“. Diesen Rat befolgt Ariadne, mehr oder weniger, indem sie Bacchus folgt, den sie fälschlicherweise für Hermes hält, der auch für die Überführung sterblicher Seelen in den Hades verantwortlich zeichnet.
Ein dritter Blick auf zeitlose (Familien-/Gesellschafts)probleme
Alle drei Opern, Elektra, Salome und eben Ariadne ließ Regisseur Dmitri Tcherniakov, der auch die Bühnenbilder schuf, in ein und derselben eleganten Altbauwohnung der obersten Preisstufe spielen, mit den Situationen angepassten, wechselndem Mobiliar. So und mit seinen durchweg intelligenten und schlüssigen Interpretationen, seiner intensiven Personenführung und Elena Zaytsevas Kostümen macht Tcherniakov uns passend zu der Dynamik von Strauss‘ Musik deutlich, wie zeitlos griechische Dramen und Sagen sind. Orest in Elektra wird zu einem Serienkiller wird, statt jemand, der den Mord an seinem Vater rächen will, war mir zu exzessiv, aber keinesfalls zu unglaubwürdig dargestellt. Herodes als pädophiler Misshandler seiner Stieftochter Salome überzeugte jedoch absolut. Die Idee, alle Beteiligten in einem Familienverband zu vereinen (siehe Schaubild), macht subtil deutlich, dass gesellschaftliche Unterschiede auch in der Familie liegen können und geben besonders dem zweiten Teil einen tieferen, verständlichen Sinn. Denn Ariadne trauert um ihren Ehemann Theseus (Rolle sonst: Haushofmeister), der einem Herzinfakt erlag. Zerbinetta und alle anderen bemühen sich, auch mithilfe der beiden nie aufgeführten Stücke, die Trauernde einfühlsam und endlich mit Erfolg ins Leben zurückzuholen.
Die Kraft schöner, mystischer und fröhlicher Klänge
Nicht nur bei seinen sinfonischen Dichtungen wie zum Beispiel „Also sprach Zarathustra“, „Tod und Verklärung“ oder auch „Josephs Legende“ zeigt sich Richard Strauss‘ Fähigkeit, seinen Melodien ein mystisches Flair zu verleihen. Auch in einigen seiner Opern hört man die Mystik und das kraftvoll Geheimnisvolle, das den Inhalt ausmacht. (z.B.: Frau ohne Schatten, Elektra, Salome). In Ariadne auf Naxos gelingt es ihm vor allem im zweiten Teil Mystik, und Ariadnes Leidenschaft und Leid oder auch die Leidenschaft zu leiden, mit Zerbinettas Lebensweisheit -freude zu einem hör- und fühlbaren Ganzen zu vereinen. Gehen Bacchus‘ „Circe“Rufe auch ebenso tief unter die Haut, wie Ariadnes „Es gibt ein Reich. …“, so ist es doch Zerbinettas „Kommt der neue Gott gegangen, hingegeben sind wir stumm!“, das noch vor Bacchus letzten Worten, die finale, nach Erlösung klingende Melodie einleitet und schon vorher in der großen Arie:„Großmächtige Prinzessin …“ eine unumstößliche und irgendwie bodenständige Wahrheit ausdrückt: Egal welcher gesellschaftlichen Schicht wir angehören für schöne Klänge Worte, Gefühle haben wir alle eine Schwäche, die uns dennoch Halt gibt.
Berührend-überzeugend in Darstellung, Gesang – und Musik
Was die musikalische Umsetzung von Strauss‘ Vorgaben angeht, gelang es GMD Kent Nagano und seinem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg, das Publikum mitzunehmen in die vielschichtige, mitreißende Klangwelt dieser Oper und auch das Miteinander Bühne/Graben harmonierte.
Mitreißend und auf lebendige Art harmonisch war auch das Zusammenspiel der zahlreichen Figuren. Jede Person wirkte glaubhaft und authentisch, hatte einen ganz eigenen Charakter. Das gilt für die eher kleinen Partien von Hubert Kowalczyk (Betrunkener Gast), Grzegorz Pelutis (Perückenmacher), Michael Heim( Ein Offizier) und Peter Tantsits (Tanzmeister) benso wie für Zerbinettas Herrenquartett Florian Panzieri (Scaramuccio), Daniel Kluge ( Brighella), Stephan Bootz (Truffaldin).
Der Freiburger Martin Gantner überzeugt als geduldiger Musiklehrer,der auch Ariadnes liebender Vater ist und besticht stimmlich durch seinen gut und sicher geführten Bariton, der neugierig macht, ihn in anderen Strauss-Rollen zu erleben, wie Barak (Frau ohne Schatten) oder Jochanaan (Salome).
Schauspieler Wolfram Koch, der auf verschiedenen Bühnen steht und unter anderem auch als Hauptkommissar Paul Brix (Tatort Frankfurt) viel Bekanntheit erlangte, ging geradezu auf in der Rolle eines charmanten Egozentrikers, der gerne im Mittelpunkt steht und die Fäden in der Hand hält. Ist er es doch, der fast schadenfroh mitteilen darf: „ … für Punkt neun Uhr ist ein Feuerwerk im Garten anbefohlen.“. Einfach eine herzerfrischende Leistung!
Jamez McCorkle, als von Zerbinetta, im Kleidungsstil zu Theseus‘ Ebenbild stilisierter Bacchus füllt die Partie mit viel darstellerischem Gefühl und einer an Resignation grenzender Ergebenheit, der selbstsicheren Weiblichkeit seiner Zerbinetta gegenüber, deren Freund er im wahren Stückleben ist. Und ja, seine „Circe“-Rufe gehen unter die Haut, wie er überhaupt auch durch gesangliche Emotionalität besticht. Doch ein wenig fehlt(e) mir das Heldentenor-Strahlen, dass andere Tenöre in dieser Partie besitzen.
Ella Taylor gibt dem Komponisten, auch Dank Zaytsevas Kostüm, eine ganz andere lebensnähere Ausstrahlung, als man sie von dieser Rolle in klassischen Produktionen gewöhnt ist. Hier steht kein romantisch verträumter, künstlerisch begabter Junge auf der Bühne, sondern ein schüchterner Typ, der auf Grund seiner Erscheinung in bestimmten gesellschaftlichen Kreisen sicher als „Nerd“ gilt und Halt in den edlen Ideen seiner Oper findet. – Und später auch in Zerbinettas überraschenden und übergriffigen Kuss. Kurz: ihre Darstellung lässt im absolut positiven, herzerwärmenden Sinn schmunzeln. Die junge Britin hat einen sehr wandelbaren, warmen aber gleichzeitig kräftigen Sopran, den sie laut ihrer Website, gerne für zeitgenössische oder Werkle von Komponistinnen, wie auch Künstler*innen, die sich keiner Geschlechtstypisierung unterordnen wollen. Zu ihrem Repertoire gehören aber unter anderem auch die Fiordiligi (Così fan tutte), die Donna Anna aus Don Giovanni. Aber egal in welcher Partie es bleibt zu wünschen, dass wir Ella Taylor noch oft und lange wo auch immer (gerne natürlich in HH) erleben dürfen.
Auch Nadezhda Pavlova als Zerbinetta begeistert auf ganzer Linie! Ihr Erscheinungsbild hat etwas von einer unangepassten Künstlerin mit einer Vorliebe für den Hippiestil der frühen 1970er. Sie sprüht über vor unbeschwerter Natürlichkeit, aber auch Empathie versucht sie doch alles Ariadne aus dem Tal der Trauer zu holen. Spätestens in ihrer Arie „Großmächtige Prinzessin...“ zeigt Pavlova wie vielseitig und wenig oberflächlich, wenn auch äußerst lebensbejahend Zerbinetta ist. Stimmlich steht sie all jenen, die ich in dieser Partie bereits erleben durfte nichts nach, im Gegenteil. Jeder Ton in jeder Lage, klingt sicher, strahlend und besonders die umfangreichen Koloraturen sprühen ebenfalls voller natürlicher Leichtigkeit. Wieder bleibt nur zu sagen, dass ich hoffe sie noch oft erleben zu dürfen.
Das gilt, inder Hoffnung, es klingt inzwischen nicht abgedroschen, umso mehr für Anja Kampe ihre intensive Bühnenpräsenz und ihren klangschönen, vielfarbigen und kraftvoll dramatischen Sopran. Beides prädestiniert sie geradezu für die Wagner- oder andere Opernheroinen, die sie ja auch an vielen , internationalen Häusern singt. Ihre Ariadne hier ist im ersten Akt, große Diva, wie auch sehr verliebte Ehefrau. In dem, zum Zwischenspiel eingefügten Bild dann verzieht sich an Theseus‘ offenen Sarg unspektakulär, aber eindringlich der Wandel zur gebrochenen, todessehnsüchtigen Frau. Sie ist wirklich und wahrhaftig eine authentisch tragische Heldin,diesich lange wehrt mit der Heilungihrer verletzten Seele zu beginnen. Erst nach Bachus’/Pseudo Theseus‘ Erscheinen und demDuett der beiden, macht sie langsam einen Schritt zurückins Leben, lächelt, weil sie den liebevollen Betrug durchschaut. Diese nur eine Sekunde dauernde Geste, hat (auf mich) eine große Wirkung, zeigt Kampes darstellerische Fähigkeiten. Aber natürlich besticht sie auch stimmlich, weiß durch Töne Emotionen zu vermitteln, selbst wenn man auf die Worte nicht achtet. Auch bei ihr wirken die anspruchvollsten Passagen wie vonleichter Hand geführt. Brava!
Fazit: Kurz und knapp, ein gelungener Abschluss einer Trilogie und ein ebensolcher Abend!
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 26.1.2025