Titelbild: Madoka Sugai, Aleandr Trusch
PhotoCredits: Kiran West
Die 49. Balletttagen des Hamburg Balletts stehen im gewissen Maße im Zeichen literarischer Vorlagen wie John Neumeiers „Romeo und Julia“, „Die Kameliendame“, „Die Glasmenagerie“, „Endstation Sehnsucht“ und am vergangenen Samstag, dieses Mal aus der Feder von Cathy Marston
: Jane Eyre.
Marstons Interpretation des berühmten Romans von Jane Austen begeisterte als die Geschichte einer an sich wachsenden Frau und eines eigenbrötlerischen Mannes -sie ist Gouvernante seines Mündels Adele, er ein reicher Gutsbesitzer- die am Ende auf Augenhöhe zusammen finden.
Cathy Marston verzichtet in ihrer Version auf Details, wie Janes Erbschaft oder ihre Verwandtschaft zu den Geschwistern Rivers die Jane ja nach ihrer verhinderten Hochzeit mit Rochester retten und pflegen. Ihre Entscheidung gegen den recht übergriffig vorgebrachten Antrag von St. John Rivers für ein Leben mit Rochester zeigt so noch mehr ihre innere Stärke und Entscheidungskraft. Zumal es im letzten Pas deux deutlich wird, dass es wirklich Liebe ist, was die beiden verbindet. Liebe auf Augenhöhe, nicht aus Mitleid, da Rochester in der Zwischenzeit erblindet als seine erste, geistig verwirrte Frau Bertha Mason Mason Thornfield Hall, das Gutshaus, aus Eifersucht niederbrannte.
Es ist immer wieder inspirierend und spannend, das Hamburg Ballett in Werken von anderen Choreografen zu sehen. Marston setzt sehr auf Gestik, auf „Handspiel“, zum Beispiel das stereotype rhythmische Hände und Gesicht Waschen der Mädchen im Waisenhaus, das aufgeregte im Takt auf den Knien wippen von der kleinen Adele, oder die Geste, mit der Jane sich selbst zu Ruhe ruft oder vieles mehr.
Das Hamburg Ballett lässt uns auch hier in gewohnt mitreißender Weise die Entwicklung, Leiden, Träume und auch Eigenarten aller Figuren miterleben. Da sind zum Beispiel die unleidliche Tante Reed (Haley Page) und ihrer intriganten Kinder (Paula Iniesta, Madeleine Skippen und Francesco Cortese), die der jungen Anna das Leben schwer machen und sie dann ins Waisenhaus zu Mr. Brocklehurst abschieben. Matias Oberlin, so elegant in seinen Bewegungen, wie unangenehm streng in seiner Darstellung, weckte die Vorfreude auf die Vorstellung von Endstation Sehnsucht, wo er als Stanley Kowalsky, den Bösen spielen darf und wird.
Eindrucksvoll auch Christopher Evans als sich gar nicht so sanftmütig herausstellender „Gutmensch“ St. John Rivers. „Gutmensch“, statt guter Mensch, weil ich (erst?) an diesem Abend den Eindruck hatte, dass hinter der Maske des Wohltäters, ein besitzergreifender Mensch steckt. Seine Schwestern Diana und Mary (Olivia Betteridge, Charlotte Larzelere) umsorgen Jane hingegen mit Charme und viel tänzerischer Anmut.
Immer wieder einfach kindlich bezaubernd ist Lormaigne Bockmühl als Adele, so wie Silvia Azzoni als nervöse Mrs. Fairfax hier und da zum Schmunzeln verleitet. Xue Lin bezaubert als anmutig selbstbewusste Blanche Ingram, mit der Rochester Jane erfolgreich eifersüchtig macht. Ida Stempelmann als wahnsinnige Bertha Mason, die von Rochester versteckt gehalten wird, fasziniert mit losgelöster Wildheit, hohen Sprüngen und authentischer Intensität.
Intensiv in Ausdruck Spiel und Tanz ist auch Ana Torrequebrada, die als junge Jane auf beeindruckende Art und Weise Janes Gefühle bei den unleidigen Verwanden und im Waisenhaus deutlich macht. Wunderschön berührend gestaltet sie zusammen mit Carolin Inhoffen die Szene mit Bessi, ihrer einzigen, aber todkranken Freundin dort. Aber überhaupt gehört auch Torrequebrada zu den Tänzer*innen, die man noch oft und in vielen unterschiedlichen Partien sehen möchte.
Er hat schon lange und immer wieder seine Vielseitigkeit unter Beweis gestellt: Alexandr Trusch. Noch am Abend vor Jane Eyre verkörperte er die anspruchsvolle Titelpartie in John Neumeiers Odyssee, dennoch sprühte sein Edward Rochester vor Energie, Selbstironie, Leidenschaft und faszinierte durch tänzerisches Können, an dem einfach alles zu stimmen schien.
Madoka Sugai ist Trusch stets in allen Partien eine wunderbare Partnerin, so auch in der Titelrolle der Jane Eyre. Technisch äußerst versiert, ohne dass dies auch nur einen Moment auf Kosten von ihrer Ausstrahlung oder Überzeugungskraft geht, verkörpert sie diese Rolle auf allen Ebenen, als wäre sie für sie kreiert worden.
In allen Pas de deux und Szenen gelingt es Trusch und Sugai uns mitfühlen zu lassen, lassen sie in harmonisch schönen Bewegungen teilhaben an der Entwicklung ihrer Liebe inklusive aller Querelen und Schwierigkeiten.
Fazit: Jane Eyre ist ein Ballett, dass mit in die neue Spielzeit, die neue Ära übernommen wird, was mir die Möglichkeit gibt, Ihnen dann viel zu mehr berichten über all die Details zwischen den Schritten/Zeilen und vieles mehr. Für heute schließe ich, wie eigentlich immer, mit einem Dank an das Hamburg Ballett. Möget ihr auch weiterhin stets umjubelt werden!
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 6.7.2024