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Staatsoper Hamburg – Eugen Onegin: „Wohin, wohin, wohin wird sie entschwinden?“

Titelfoto: PhotoCredits: Hans Jörg Michel 2023

Am 14.4. feierte Peter I. Tscbaikowskys Oper Eugen Onegin an der Staatsoper Hamburg Wiederaufnahme mit einer leider nur drei Termine (14., 18., 20.4) umfassenden Aufführungsserie in Hausbesetzung. „Hausbesetzung“ ein Begriff vor dem nur allzu oft ein „nur“ steht und den ich dieses Mal einfach mit einem: „Und das ist gut so!“ ergänzen möchte. Der lange anhaltende Jubel bestätigte meine hohe Meinung von dem inzwischen in diesen Partien wunderbar eingespielten Team Alexey Bogdanichikov und Dovlet Njurgeldiyev als Onegin und Lenski und Kristina Stanek als Olga. Dass Elbenita Kajtazi, die als Tatjana debütierte, auch hier glänzen würde, überraschte nicht, ist sie doch einfach eine wunderbare Sängerdarstellerin. Was, zum Glück für sie selbst und irgendwann sicher zum Pech der Besucher*innen der Staatsoper Hamburg auch die anderen Opernhäuser weltweit registrieren werden oder bereits registriert haben. Darum meine an Lenskis Arie (Kuda, Kuda/ Wohin seid ihr entschwunden) erinnernde Überschrift.

Elbenita Kajtazi Schlussapplaus
PhotoCredits: Privat (E. Kajtazi)

Von Liebe, Überheblichkeit, Eifersucht und zu später Reue

Die Inszenierung von: Adolf Dresen (Regie), Karl-Ernst Herrmann (Bühne), Margit Bárdy (Kostüme) und Rolf Warter (Choreografie) wurde bei der Premiere am 11.2.1979 als „Ikea-Produktion“ verschrien, sicher wegen der recht reduzierten Bühnenbilder, was damals noch Neuerung war. Und doch gelang dem gesamten Team eine Szenerie und ein Ambiente, das heute noch einen zeitlos klassischen Eindruck vermittelt, jenseits von allzu (über)interpretierendem Regietheater oder altmodisch überladenen Pomp.

Auch die Geschichte der Oper, die auf dem Versroman von Alexander Puschkin basiert, ist klassisch zeitlos-irgendwie. Die junge, auf dem Land lebende Tatjana gesteht dem arroganten Dandy Onegin in einem Brief ihre Liebe und wird von ihm auf väterlich überhebliche Art abgewiesen. Um der Langeweile auf dem Land zu entgehen, flirtet Onegin stattdessen mit Tatjanas Schwester Olga, der Verlobten seines Freundes Lenski. Es kommt zum Eklat, Duell und Lenskis Tod. Onegin flieht vor seinen, aus Schuldgefühlen geborenen, inneren Dämonen ins Ausland. Als er zurückkehrt, findet er Tatjana reich und angesehen verheiratet, wieder. Nun ist er es, der um Liebe bettelt, aber abgewiesen wird und daran verzweifelt.

PhotoCredits: Hans Jörg Michel 2023

Wiederkehrende Melodien weisen Weg zu Emotionen

Tschaikowskys wunderschöne, mal melancholische, mal leicht folkloristisch anmutende Musik berührt immer wieder, wie es auch stets fasziniert mit welcher Leichtigkeit und Intensität Tschaikowsky uns durch immer wiederkehrende Melodien auf die Verbindungen von Personen oder auf ähnliche Emotionen aufmerksam macht. Als Beispiel für diese Leitmotive sei nur das kurze Duett Onegin/Lenski vor dem Duell genannt und Onegins Ausbruch, wenn er seine Liebe zu Tatjana erkennt. Das erste Motiv findet sich im Final-Duett Onegin Tatjana wieder, zweiteres ist dem Anfang der berühmten Briefszene entliehen.

Finnegan Downie Dear und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg erweckten diese Melodien auf begeisternde Weise zum Leben und so ambivalent wie es klingen mag, gerade die kleinen, wenigen Ungenauigkeiten in den Bläsern sorgten dafür, dass man die Orchester-Gesamtleistung so genießen konnte.

PhotoCredits: Hans Jörg Michel 2023

Allen Dank für Ihre Leistungen

Die Qualität einer Aufführung liegt meines Erachtens nicht unbedingt nur an der Leistung einer einzigen Person, sondern im Zusammenspiel aller oder zumindest aller Protagonisten. An diesem Abend stimmte alles. Ob die Damen und Herren des Chors der Hamburgischen Staatsoper, Mateusz Ługowski als schnittiger Hauptmann, Liam James Karai als Lenskis Sekundant Sareski, Peter Galliard als launiger Monsieur Triquet, Katja Pieweck als Mutter Larina oder Janina Baechle als liebevolle Amme Filipjewna, sie alle überzeugten auf ganzer Linie.

Dies gilt auch für den Bass Alexander Roslavets, der als Tatjanas Ehemann Fürst Gremin mit dessen Arie  „Ein jeder kennt die Lieb‘ auf Erden“ sofort das Publikum für sich gewann. Auch hier gibt es übrigens einige musikalische Ähnlichkeiten zu einer früheren Szene der Oper, nämlich jener, in der er Tatjana für Ihr Liebesgeständnis zurechtweist. Rosvalets Stimme strahlt Wärme in allen Tonlagen aus und er überzeugt auch darstellerisch vollkommen in dieser kurzen aber doch so wichtigen Partie.

Kristina Stanek, Elbenita Kajtazi
PhotoCredits: Privat /M. Kajtazi

Einen Tag zuvor wurde Rosvalets mit dem Dr. Wilhelm Oberdörffer Preis ausgezeichnet. Neben ihm standen mit Katja Pieweck (2007), Dovlet Nurgeldiyev (2013), Alexey Bogdanchikov (2017) und Elbenita Kajtazo (2022) vier weitere mit dieser Auszeichnung bedachte Sänger*innen auf der Bühne. Nur sie fehlt bei den größeren Partien an diesem Abend – noch?- in der Reihe der Preisträger des Oberdörffer-Preises: Kristina Stanek. Vor knapp zwei Wochen machte sie mit ihrem Rollendebüt als leidende Azucena in Giuseppe Verdis Il Trovatore von sich Reden. Nun zog sie mit großem Register viel Lebensfreude und Liebe für Lenski ausstrahlend, als Olga.

Lenski, ist eine Partie, die ich in Gedanken am liebsten mit Dovlet Nurgeldiyev besetzt sehe, der für mich einfach perfekt ist für diese Rolle. Er hat nicht allein die schauspielerische Sensibilität, nein, er haucht dem schüchternen Dichter authentisch Leben ein, ist schüchtern, verliebt, wütend und verzweifelt bis zur Todessehnsucht, stürzt er sich doch regelrecht in Onegins Schuss. Oder will er sich doch versöhnen? Dies ist eine Frage, die offen bleibt. Ohne Frage jedoch ist Nurgeldiyevs stimmliche Qualität. Mit Leichtigkeit meistert er alle Ton- wie Stimmungslagen und berührt mit seinem „Kuda, Kuda“ tief und nachhaltig.

„Sie ist die perfekte Tatjana

Dovlet Nurgeldiyev, Alexey Bogdanchikov
PhotoCredits: Hans Jörg Michel 2023

So wenig wie ich meine Wertschätzung für die junge Sopranistin Elbenita Kajtazi verhehle, sowenig kann ich diesen Satz als den meinen in Anspruch nehmen, doch ich stimme aus ganzen Herzen zu. Aber auch Alexey Bogdanchikov bewies mit seinem warmen, ausdrucksvollen Bariton einmal mehr, dass der Eugen Onegin eine Rolle ist, der nach eigener Aussage sein Herzblut gehört. Wie Nurgeldiyev, Stanek, Rosvalets und natürlich Kajtazi ist auch Bogdanchikov, einer der Künstler*innen, die ihre Rollen nie auf dieselbe Art und Weise darstellen. Der erste Auftritt Onegins war wie stets raumgreifend, überheblich und arrogant. Doch als er Tatjana ihren Brief zurückgab, fehlte an diesem Abend die aalglatte Kälte, die dem Selbstschutz dient; stattdessen war da in Stimme und Haltung von Anfang an ein väterlich-brüderliches Bedauern.

Elbenita Kajtazi, Alexey Bogdanchikov
PhotoCredits: Staatsoper Hamburg (Probenfoto)

Die letzten beiden Bilder über dann, die im Hause Tatjanas und Gremins spielen, spürte man jeden Augenblick seine Verzweiflung, Zerrissenheit und die Finalszene war ein stimmschöner Opernkrimi, was natürlich auch seiner Tatjana zu verdanken war.

Elbenita Kajtazi brillierte bei diesem Debüt, wie sie es schon als Violetta in Verdis La Traviata, als Liu in Puccinis Turandot und Micaela in Bizets Carmen tat. Bei ihr ist es einfach kein Klischee: Sie taucht stets tief ein in die Figuren, die sie darstellt, lebt sie. Auch hat sie eine große Bühnenpräsenz, sodass man Tatjanas Entwicklung von Anfang bis Ende miterlebt. Am Beginn und auch während Tatjanas Namenstagsfeier, kriecht sie geradezu in sich selbst hinein, so eng schlingt sie die Arme um sich, so unangenehm ist es ihr, Mittelpunkt zu sein. Ihre Briefszene ist voller Hoffnung und Leidenschaft und im letzten Teil der Oper merkt man ihr an, wie schwer es Tatjana fällt, Haltung zu bewahren, sobald Onegin ihr die Hand küsst. Letztlich dann bricht alles aus ihr heraus: Leidenschaft, Liebe und das Wissen um die Unmöglichkeit, ihren angesehenen Ehemann zu verlassen. Ich höre jene, denen Musik und Gesang wichtiger ist als alles andere, das (für mich) eine Opernaufführung ausmacht, nun fragen: Und stimmlich, wie bewältigt sie diese Partie stimmlich? Meine pur emotionale Antwort darauf: „Fantastisch, toll, perfekt!“. Ein wenig professioneller möchte ich ihren Sopran als strahlend, besonders auch in den Höhen bezeichnen und die Leichtigkeit betonen, mit der sie sie führt und moduliert. Sie beherrscht das Crescendo, das Anschwellen der Tonlautstärke ebenso wie das Decrescendo und auch sonst alles, was wichtig ist. Aber wissen Sie, wie ich es ja immer wieder gerne vorschlage, hören Sie nicht nur auf uns, die schreiben, überzeugen Sie sich selbst!

Elbenita Kajtazi
PhotoCredits: Staatsoper Hamburg (Probenfoto)

Fazit: Es war ein besonderer Opernabend und alle Protagonisten haben verdient überall auf der Welt gesehen, gehört und gefeiert zu werden, solange sie uns Hamburger und Auftritte an der Staatsoper Hamburg nicht „vergessen“.

Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 14.4.2024

Links:

https://www.staatsoper-hamburg.de

https://elbenitakajtazi.de

https://www.alexeybogdanchikov.com

https://www.kristina-stanek.de

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