Titelbild: Brinkhoff-Mögenburg
Die Premiere von Giuseppe Verdis Il Trovatore an der Staatsoper Hamburg liegt noch nicht einmal drei Wochen zurück, wird jedoch seit dem 3.4. unter anderer musikalischer Leitung und mit einer anderen Azucena aufgeführt. Besonders Rollendebütantin Kristina Stanek beeindruckte und begeisterte das Publikum, doch auch alle anderen, inklusive der wahrhaft spannenden Inszenierung von Immo Karaman und Team, fanden großen Anklang und sorgten für einen wirklich schönen Opernabend, mit nur einigen kleinen „Aber…“ und nicht ganz so wenigen „Wows“.
„Prima le emozioni“
So lautete die Antwort eines Tänzers, Choreografen und Regisseurs , ob er an dem Satz festhält: „Prima la Musica“. Ich bin da vollkommen bei ihm, denn Oper ist doch (auch?) Musikertheater, erzählt eine komplexe Geschichte, in der Einheit aus Libretto, Partitur und den Interpretationen von Produktionsteam und Darsteller*innen. Alles zusammen bildet eine Einheit, ein Ganzes. Natürlich hier getragen von Giuseppe Verdis wunderbaren Melodien, die beim „Il Trovatore“, wie mir erst durch Immo Karamans Inszenierung so wirklich klar wurde, hier und da eine Leichtigkeit oder auch etwas Unbestimmbares verströmen, was so gar nicht zu der Dramatik oder gar Grausamkeit im Text passen will.
Ist dies als eine Verherrlichung vom Soldatenleben, der Macht der Kirche und des Adels zu verstehen? Oder eine subtile, fast ironische, satirische Kritik an der Gewalt, die im damaligen Königreich Aragón und auf der Welt überhaupt, herrschte? Denn die Originalhandlung des Librettos von Salvadore Cammarano und des zugrunde liegenden Theaterstücks aus der Feder von Leone Emanuele Bardare spielt zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Egal, das sind einfach nur Gedanken einer, die sich nicht nur gerne von schöner, mit Können und Gefühl dargebotener Musik bezaubern lässt, sondern gerne in gut erzählten (Opern/)Geschichten versinkt, die nicht nur dahin plätschern sondern Botschaften in sich zu tragen scheinen. Botschaften, die die Musik völlig respektieren und reflektieren. Botschaften, die nicht wirklich verborgen sind oder durch komplizierte Deutungen entschlüsselt werden müssen.
Die neue Produktion der beliebten Verdi-Oper der Staatsoper Hamburg spielt im zeitlosen Hier und Jetzt. Bühnenbildner Alex Eales schuf das Foyer samt Treppenaufgang in die Belle Etage eines Herrenhauses oder Palais als einzigen, sich wenig wandelnden Handlungsort. Der Putz fällt von den Wänden und im weiteren Verlauf der Handlung zeigen sich Schäden und Zerstörung durch Feuer, aber auch die „Flammen“ von Gewalt aus Verzweiflung, Rachsucht oder anderen, alles verzehrenden Emotionen. Herbert Barz-Murauers Kostüme und natürlich Karamans Regie, verzichten auf die Einteilung Soldaten und Zigeuner*innen. Es gibt die feine Gesellschaft, Bedienstete, zu denen unerkannt auch Azucena gehört, und Geister aus der Vergangenheit.
Dank wirklich eindrucksvoller Personenregie, ebensolcher Choreografie (Fabian Posca) und den äußerst geschickt eingesetzten Licht- und Videoeffekten von James Farncombe und Philipp Contag-Lada herrscht vom ersten bis zum letzten Moment große Spannung. Eine etwas abstruse Geschichte bekommt eine Bedeutung, die nicht nur fesselt, sondern einem Spiegel gleicht, in den wir nur mit Widerwillen schauen
„O welche Lust, zur Rabenmutter /In die Hölle sie zu senden!„*
Ursprung aller Leiden ist die Verbrennung einer Frau, die den alten, inzwischen verstorbenen Grafen mit einem Fluch belegt hatte. Deren Tochter Azucena warf, um die Mutter zu rächen, ein Neugeborenes, den vermeintlich zweiten Sohn des alten Luna, ebenfalls ins Feuer.
Ferrando, der hier eher ein Dandy im weißen Dinnerjacket ist, als der Hauptmann einer militärischen Wache, erzählt diese grausige Geschichte in der Cavantina /Erzählung: „Glücklich lebt‘ einst ein Vater von zwei Söhnen“ (Di due figli vivea padre beato) die nicht nur sehr melodiös und singbar, sondern vom Rhythmus sehr tanzbar klingt, was Karaman nutzt.
So wird in dieser Szene zwar nur verhalten getanzt und auch gelacht, womit deutlich gemacht wird: die feine Gesellschaft berührt das Schicksal von Kind und Frau von damals eher peripher. Und da sie Azucena noch nicht entlarvt haben, setzen sie kurzerhand zur Unterhaltung ein Zimmermädchen in Brand. Ja, das ist einen kleinen Augenblick lang schockierend, doch weder in Bezug auf die damalige Zeit, den Text noch auf heutige, existierende Dekadenz bezogen, frei aus der Luft gegriffen. Ohne wahrhaftige, selbstverliebte Aufdringlichkeit, wie es manchmal in Regietheatern vorkommt, zückt Karaman hier jenen Spiegel, in den niemand auch nur den kleinsten Blick werfen will. Dies gilt umso mehr für die erste Szene des dritten Aktes mit dem bekannten Soldatenchor, der siegesgewiss und überlegen klingt und der Karaman dazu dient, die dunkle Seite der vom Kampf trunkenen Macht zu zeigen, anhand einer Massenvergewaltigung, an der sich auch der unübersehbar wahnsinnig gewordene Luna beteiligt. Böse, provokant aber dennoch auch schlüssig. Selbst, dass die Vergewaltigte, später jetzt hochschwanger, von der kirchlichen Inquisition abgeführt wird, überzeugt und schadet weder Text noch Musik.
Du bist nun gerächt, o Mutter!
Nach der Szene tauchen wir dann ein in Handlungsgegenwart und die eigentlichen Konflikte. Der jetzige Graf Luna umwirbt Leonora, die wiederum nur den Troubador Manrico liebt. Als Luna dies erkennt kommt es zur offenen Feindschaft zwischen den beiden Männern, die verschiedenen gegnerischen Lagern angehören. Diese findet ihren Höhepunkt, wenn Manrico die von Luna inzwischen entlarvte und gefangengesetzte Azucena retten will, obwohl er inzwischen weiß, dass sie nicht seine leibliche Mutter ist. Um den Geliebten zu retten, verspricht sie Luna die Ehe, vergiftet sich aber selbst, obwohl (mutmaßlich durch eine Vergewaltigung Lunas) hochschwanger. Der Betrogene erschießt darauf hin den verhassten Rivalen und als er von Azucena erfährt, dass Manrico sein Bruder war, auch sich selbst.
Immer wieder baut Karaman Kleinigkeiten ein, die dem verwirrenden Inhalt eine Stütze geben und zusammen mit Verdis Klängen, deren Interpretation durch das Philharmonische Staatsorchester unter der Leitung von Leonardo Sini und die Leistungen der Komparserie und des Chors der Staatsoper Hamburg und der meisten Protagonisten in den Bann zieht.
Einmal mehr habe ich mich hinreißen lassen von meiner Affinität zu eindrucksvoller Umsetzung einer Oper (darum bitte ich um Verständnis), dass ich mich entschlossen habe, den Sänger*innen Guanqun Yu (Leonora), Kristina Stanek (Azucena), Olivia Boen (Inez), Aleksei Isaev (Luna), Alexander Rosvalets (Ferrrando) und Gwyn Hughes Jones (Manrico) an dieser Stelle nur von Herzen für ihre Leistungen zu danken. Um ihnen, statt einer kurzen Abhandlung oder eines überlangen Artikels, einen eigenen zeitnah erscheinenden Bericht zu widmen. Was sicher auch im Interesse der Leser liegt.
Birgit Kleinfeld Vorstellungsbesuch 3.4. 2024