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Bariton Aris Argiris: Meine Familie gibt mir Kraft

Titelbild: Nabucco 2022/Oper im Steinbrich/St. Margareten :
FotoCredits: Jerzy Biń Photography & Film Productions (jerzybinphotography.com)

Not macht erfinderisch!“  So heißt ein altes Sprichwort. Es „Not“ zu nennen,  dass ein persönliches Treffen letztendlich doch nicht zustande kam,  ist übertrieben. Doch mein heutiger Interviewpartner, der griechische Bariton Aris Argiris fand eine wirklich kreative Lösung. Er beantwortete meine Fragen sehr persönlich  per Voicemail. Und gab mir so die Möglichkeit, den Dialog-Charakter, der mir so wichtig ist, zu erhalten. Wir führten sozusagen ein Gespräch in Absentia, in dem ich  kurze, passende Einwürfe meinerseits einfügen konnte. Vielen Dank dafür! Und auch, oder vor allem, dafür, dass der sympathische Sänger wirklich die gesamte lange Liste meiner Fragen  per Voicemail beantwortete. Eigentlich waren die Fragen nur als Auswahlmöglichkeiten, Leitfaden und Brainstorming für mich während eines persönlichen Gesprächs gedacht. Doch nun …
Nun wird es halt ein zweiteiliges Interview geben,  denn Aris Argiris ist ein Sänger, der viel zu sagen hat.

PhotoCredits: Aris Argiris

Hier also Teil 1.

Birgit Kleinfeld (BK): Du hast nicht nur Marketing und Sprachen studiert, aber auch Saxophon und Musiktheorie, bist ein absoluter Familienmensch und auch politisch interessiert. Magst du einen kleinen Abriss über Karriere und Leben geben?

Aris Argiris (AA): Klar, gerne.  Meine Kindheit war recht unspektakulär, ich bin ganz normal  in Downtown Athen auf gewachsen.  Ich habe früh Interesse an Musik gehabt, Saxofon und Musiktheorie studiert und auch sehr erfolgreich Basketball gespielt. In der Nationalmannschaft, aber das ist eigentlich nicht wichtig.  Als ich im Chor des Konservatoriums  sang und Verantwortliche der Griechischen Nationaloper auf mich mich aufmerksam  wurden, infizierte ich mich mit dem Virus  „Gesangsleidenschaft“.  Neben dem Gesangsstudium habe ich auch Marketing studiert und ich war auch schon immer sehr an Sprachen interessiert. Ich spreche natürlich Griechisch, aber auch Deutsch, Italienisch, Englisch.

BK:   Und wahrscheinlich auch Spanisch, denn schließlich ist deine Frau Lupe Larzapal Argentinierin.

PhotoCredits: Aris Argiris

AA: Meine Diplome in Englisch und Italienisch habe ich in Griechenland gemacht, mein Deutschdiplom hier  am Goetheinstitut. Und ja, Spanisch habe ich mir sozusagen bei Lupe abgehört.  Sie ist übrigens ebenfalls Musikerin. Lupe  komponiert, ist Dirigentin, Opernsängerin und, wie ich auch, Gesangslehrerin. Ich habe wirklich großes Glück mit dieser tollen Frau, wir verstehen und  ergänzen  uns sehr gut. Was nur klappt, weil wir immer ganz offen kommunizieren obwohl wir berufsbedingt oft einige Wochen oder mehr getrennt sind.

Und  wie ich ist auch Lupe politisch interessiert, wir engagieren uns in vielen sozialen Projekten und Organisationen, nehmen an vielen sozialen Aktivitäten teil. Und für mich als Grieche ist politisches Interesse eine Selbstverständlichkeit, liegt in der Natur der Sache.

BK: Warum?

AA: Griechenland bildet  sozusagen die Grenze zwischen Ost und West. Es  gibt neben den inneren Konflikten auch die   mit den Amerikanern wie auch den Russen. Und wir haben manchmal den Ruf des „bösen Süden, der faulen Griechen.“ Vielleicht kommt es daher, dass  zum Beispiel soziale Gerechtigkeit für immens wichtig halte. Und  darum beobachte ich alle, alles. Jeden Tag..

BK: Gerade hast du  in Chemnitz  Amonastro (Verdi, Aida)  und dann Nabucco (Verdi) in St. Magarethen gesungen. Zwei Opern, in denen es  neben Liebe  auch um  verschiedene gesellschaftliche Konflikte geht. Auf den Bildern wirken beide Inszenierungen sehr traditionell. Aber  bergen nicht beide Stücke viel Potential für moderne, aktuelle Interpretationen?

AA:  Ja, Gerade die Geschichte von Verdis Aida ist vielschichtiger als man denkt. Es geht nicht nur um eine äthiopische Prinzessin, die sich in einen ägyptischen Feldherrn  verliebt. Aida ist ein Auftragswerk für Verdi gewesen, aber er war ein großer Demokrat und Antirassist. Und so  hinterlässt er immer wieder politische Statements.  Es geht oft um Macht, Rassen und andere gesellschaftliche Verhältnisse und Probleme, zum Beispiel in Othello, Nabucco und eben Aida… Radames und Aida sind beide Afrikaner, aber sie hat als Äthiopierin eine dunklere Hautfarbe als er als Ägypter. Es gibt keine Sklavin, keinen Eroberer/Herrscher, Hautfarbe, Rasse, keinen unterschiedlichen gesellschaftlichen Status. Diese Liebe  war stärker als all dies und gewinnt, auch wenn beide am  Ende sterben. Und Verdis Blick auf solche Situationen war immer sehr intensiv. Im Endeffekt ist es immer die Liebe die zählt, auch ohne Happyend wie in Othello. In Nabucco ist es die Vater/Stieftochter Liebe um die es geht.

FotoCredits: Jerzy Biń

BK: Apropos Nabucco. Wie war es für dich in einer so faszinierenden und ungewöhnlichen Atmosphäre wie dem Steinbruch von St. Magarethen in dieser recht aufwendigen Inszenierung zu singen?

AA: Die Emotionen, wenn man  in dieser Kulisse, dieser fast pompösen Produktion, Verdis Musik und seine Intentionen 4500-5000  Menschen vermittelt, sind einfach fantastisch.
Die religiösen Elemente in Nabucco oder auch die Themen in Aida sind auch heute aktuell.  Inwiefern der Umgang  mit diesen Themen auf der Bühne das Kunstwerk Oper populärer macht und ihm doch auch schadet, ist allerdings eine Frage, die eine längere Diskussion verlangt

BK: Ab Oktober singst du in einer Neuproduktion von Rheingold den Wotan am Staatstheater Braunschweig und momentan bist du als Cover Wotan/Wanderer in  Bayreuth. Was für eine tolle Chance, oder?

AA: Ja, ich habe das  große Glück in Bayreuth zu covern. Bisher bin ich nur in der Kinderoper (Lohengrin) als Telramund eingesprungen, als Bayreuth-Debüt. Ich bin auch als Cover für Wotan/ Wanderer auf der großen Bühne engagiert, in der Ring Inszenierung diesen Jahres.

BK: „Eine Welt vergeht, eine neue entsteht. Menschenschicksale in all ihrer Tragik, Komik und mit ihren Träumen, die an der Wirklichkeit zerschellen,“ umschreibt der Regisseur Vincent Schwarz seine inzwischen recht umstrittene Produktion. Magst du deine Meinung sagen?

Als Wotan (Walküre)/ Theater Chemnitz/ PhotoCredits: @ Kirsten Nijhof

AA: Ja, die Inszenierung… Ich kenne alle Teile und finde, es wurde wohl etwas zu heftig reagiert. Vergessen wir nicht den Skandalring von Patrice Chéreau (1976). Damals aber wurde so stark gebuht, dass es (laut Wikipedia)  zum Beispiel bei der Götterdämmerung fast  zu einem Abbruch kam. Und heute gilt diese Produktion als Jahrhundert-Ring.  Also, ich nenne es „die Werkstatt Bayreuth“ funktioniert, damals wie jetzt: Die Welt spricht über Bayreuth.

BK: Werkstatt?

AA: Ja, also sicher gibt es noch einiges, das verbessert und korrigiert werden könnte  und das wird in den nächsten Jahren, bei den Wiederaufnahmen, passieren. Darum „Werkstatt“.   

Ich persönlich mag die  Statements, die Ecken und Kanten an dieser Produktion. Ich finde Valentin Schwarz ist konsequent geblieben und ist ein großes Risiko eingegangen, sich nach zwei Jahren Pandemie an ein solches Projekt  zu wagen. Und wirklich alle  Kollegen mit denen ich gesprochen habe sagten, sie hätten eine wunderbare Arbeitszeit gehabt. Ich denke wirklich, wenn die Dinge, die zu bearbeiten sind, geändert wurden, könnten wir einen zweiten Kultring  erleben in den nächsten Jahren.

Und zu Braunschweig: ich freue mich total, dass ich Den Wotan in Rheingold (Szenisch) singe und später auch in Walküre (konzertant). Ja, die Wagner-Reise geht voran. Es ist eine Musik, die mich sehr anspricht, mit der ich mich total wohl fühle.  Man hat mich schon gefragt, wie das denn geht, dass ich als Grieche, als Südländer, so verliebt bin in diese Musik.

Weißt du, ich weiß es  nicht, aber ich lebe mein halbes Leben hier in Deutschland und habe die Musik  quasi immer im Ohr. Früher traute ich mich nicht Wagner zu singen. Inzwischen reagiert meine Stimme wirklich positiv  auf Wagner. Die Musik sitzt wirklich gut im Hals, wenn ich neue Rollen lerne. Ich bin absolut begeistert davon, denn ich hoffe meine Wagnerreise geht weiter. Gerne noch ein paar Jahrzehnte. Ich habe ja noch Zeit und möchte mein Wagner-Repertoire ergänzen und hoffe,  bald auch auf der großen Bühne von Bayreuth zu stehen.

BK: Da drücke ich von Herzen die Daumen. Welche Rollen in deinem Fach, von Wagner oder anderen Komponisten möchtest du noch singen?

AA: Ich würde gerne den Ring vollständig auf der Bühne singen. Den Walküre-Wotan habe ich ja bereits gesungen, nun kommt wie gesagt Rheingold dazu. Jetzt fehlt mir nur noch der Wanderer in Siegfried. Alle Rollen sind bereits musikalisch einstudiert. Holländer und Telramund – dann im normalen Lohengrin, sind zwei Rollen von denen ich träume. Aber auch Richard Strauss reizt mich sehr, den Jochanaan (Salome) habe ich bereits gesungen aber ich träume von Barak in Frau ohne Schatten und hoffe, es kommt bald, Natürlich mache ich mit dem  dramatischen Charakterfach in italienischen Opern weiter. Das heißt, ich singe Jago, Macbeth, Falstaff, Scarpia, Rigoletto, Nabucco, Amonastro.

BK: Egal ob  deutsches oder italienisches Fach, du sagst es ja selbst, das sind alles Charakter-Rollen. Also ist dir,  wenn du auf der Bühne stehst, nicht nur der Gesang  wichtig, sondern auch die Darstellung, die Möglichkeit dem Publikum eine Figur nahezubringen?

AA: Wenn ich auf der Bühne stehe, muss ich meinen was ich singe, was ich spiele, was ich bin. Ich muss es von innen fühlen um es nach außen zu zeigen. Das klappt nicht immer und das ist  ja auch menschlich, doch ich persönlich kann dem Publikum meine Partien einfach nicht oberflächlich präsentieren. Es  ist nicht einfach und kostet immer ein winziges oder etwas größeres Stück der Seele, je nachdem wie viel  man investiert.

BK: Was für eine schöne Aussage. Das sollten wir Zuschauer*innen nie vergessen.

AA: Für mich ist es nicht denkbar auf der Bühne nichts zu sagen zu haben. Schauspiel und Gesang müssen kompatibel sein,  sich ergänzen.  Die feine Balance im Musiktheater ist, das Schauspiel nicht  auf Kosten des Gesangs zu übertreiben oder den Gesang als reines Show-off zu präsentieren.  Durch die musikalische Komposition sind wir begrenzt und  können nicht so frei wie Schauspieler  mit unserer Stimme umgehen. Darum ist es für uns umso wichtiger, immer mit Leib und Seele dabei zu sein.

PhotoCredits: Aris Argiris

BK: An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf das Thema Regietheater zurückkommen. Wo sind für dich die Grenzen bei Regietheater? Und warum? Zerstört Regie manchmal auch die Musik?

AA: Das ist  wirklich eine interessante Frage,  auf die man keine allgemeingültige, vollständige  Antwort geben kann. Die Herausforderung ist, etwas Neues zu finden ohne das Stück so zu verändern, dass man es nicht wiedererkennt. Es ist wichtig, dass ein Regisseur  großen Respekt vor der Intention des Komponisten hat. Das heißt aber nicht, dass der Regisseur sich eingeengt oder begrenzt fühlen muss. Denn gerade bei Genies wie Wagner, Verdi, Puccini, Donizetti, Rossini, Strauss sind die Interpretationsmöglichkeiten unendlich. Ich bin kein Fan davon, die Musik zu schneiden oder eine Collage zu machen und ein Stück von Mendelssohn in eine Verdi-Oper einzufügen. Akzeptieren würde ich es wahrscheinlich, denn  oft ist es ja auch eine Karriereentscheidung. Ob ich glücklich wäre damit? Wahrscheinlich nicht und ich würde wohl auch meine Meinung sagen.

BK: Das finde ich gut. Denn ich frage mich immer ob Regisseure nicht auch – zumindest in einem gewissen Maße – die Darsteller mit einbeziehen sollten/könnten in das Konzept. Da ihr ja lange miteinander arbeitet.

AA: Also der Regisseur muss mich von seinem Konzept überzeugen. Ich habe kein Problem damit verrückte Sachen zu machen, aber ich muss wirklich auf jede Frage eine Antwort bekommen, der Regisseur muss also alles wirklich durchdacht haben. Ich bin aber auch  immer bereit zu diskutieren, denn es ist, wie du sagst, ein gemeinsamer Prozess. Während der Probenphase wachsen wir alle zusammen. Ich habe oft erlebt, dass ein Konzept sich  während der Proben auch durch Diskussionen verändert. Dass der Regisseur und auch wir Sänger etwas Besseres entdecken und dann eine andere Linie entwickelt haben. Wichtig ist einfach, dass man nie vergisst, dass der Mensch eine Grenze der Belastbarkeit hat.  Und man alles was man tut immer mit Respekt und Liebe macht.

BK:  Das klingt  auf der einen Seite als wärest du für alles offen. Aber gleichzeitig  sprechen die letzten beiden Sätze sicher nicht nur dir und auch mir aus der Seele

AA: Ich bin ein Kind des deutschen Musiktheaters. Ich habe viel  Komisches – also, wie schon gesagt – Ungewöhnliches gemacht und auch Schräges und Kontroverses. Ich kann nicht sagen, dass ich für traditionelles Theater und gegen modernes Regietheater bin. Es muss stimmig sein. Für mich ist es wichtig, dass der Regisseur weiß, was er tut. Er muss das Stück verstehen, die musikalische Sprache, den Inhalt und die symbolische Wirkung des Textes und der Story.   Und er muss auch die Hintergründe verstehen. Also  wann und warum das Stück komponiert wurde, wie waren die sozialen Verhältnisse damals und welche Intentionen hatte der Komponist. Das gilt für Klassizismus ebenso wie für Barock, Romantik, Verismus und so weiter. Möchte  ein Regisseur etwas Neues machen, so muss er erst all diese strukturellen Hintergründe verstehen. Dann hat er eine bessere Chance etwas Gutes zu machen als jemand, der all dies ignoriert um quasi sein eigenes Stück zu machen.  Und ja, ich bin offen, ich kann nicht sagen Regietheater ist schlecht oder gut.  Es gibt wirklich so tolle Produktionen. Wichtig ist einfach, dass der Regisseur und sein Team das Handwerk verstehen und es darum wirklich mit Respekt und Liebe ausführen.

BK: Mit dieser absolut ehrlichen, und offenen Antwort zu einem Thema, dass mir persönlich immer sehr am Herzen liegt, möchte ich diesen Teil beenden. Im zweiten dann geht es um Zukunftspläne, Termine, die Frage was Erfolg ist und ähnliches.

Birgit Kleinfeld, Sommer 2022

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