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Nomen ist nicht immer Omen - Oft reicht er nicht allein-Dahinter kann noch viel mehr "wohnen"! -Kommt! Schaut doch einfach rein!

Eine Begegnung

Das Gelächter und Geschäker meist junger Leute, der sanfte Duft von falschem Jasmin (europäischer Pfeifenstrauch), die sanfte Brise, die nach Sommer schmeckt: Alles Hinweise auf Leichtigkeit und Frohsinn. Und eine willkommene Abwechslung und auch Ablenkung nach diesem beeindruckenden, nachdenklich machenden Theaterbesuch im Hamburger Ernst Deutsch Theater. Die Ballettrevue Die Unsichtbaren  erzählt von der Intoleranz und Gewalt gegen Künstler/Tänzer die den Normen der nationalsozialistischen Regierung Deutschlands nicht entsprachen. Kopf und Herz gefüllt mit schönen Erinnerungen an den Abend, deren Tiefsinnigkeit und Authentizität den Entschluss verstärken, noch achtsamer mit anderen umzugehen, steige ich in die U-Bahn, die ich an der Haltestelle Berliner Tor wechsele: Treppe hochhumpeln dann geht es mit Hilfe des Fahrstuhl am anderen Bahnsteig wieder runter. Wie auch mit der, zwar besinnlichen doch guten, Laune …

„Das ist ja wohl eine  bodenlosen Unverschämtheit“, beschwert sich ein alter Mann, von der Statur her ein Männlein, sich bei seiner ebenso zarten Frau. Der Stein des Anstoßes  bin  anscheinend ich, die mit knapp 115 Kilo mehr wiegt als die beiden gemeinsam. Ist ja sonst auch niemand da.

Ich  schalte meinen Alltagsbegleiterinnen–Modus ein, lächle gewinnend: „Aber warum denn?“
Die Antwort kommt unisono: „Nur Personen sind erlaubt.“  Mein Lächeln wird noch eine Spur professioneller: „Aber das ist nicht mehr so. Sehen Sie es steht nirgends mehr dran.“

„Dann müssen Sie halt mal die Augen aufmachen,“ keift das mausgesichtige Weiblein, unüberhörbar diejenige, die, zumindest sprichwörtlich, die Hosen anhat.
Also lasse ich meine blauen, mich aber nicht  blauäugig machenden, Augen noch etwas weiter aufgehen. Blicke, wie die Mutter vom Zappelphilipp aus dem Buch  Der Struwwelpeter, nicht um den ganzen Tisch herum, aber betrachte jeden Winkel des Fahrstuhls. Das verkünde ich dann auch und drehe mich dann mit dem Rücken zu den beiden. Um guten Willen zu zeigen? Ja  vielleicht auch das. Aber eigentlich, weil mein nicht sehr reißfester Geduldsfaden am Ende seiner schwachen Kräfte ist. Denn man fordert mich erneut auf, die Augen aufzumachen und auch dazu doch mal abzunehmen. Liebe Leser, glauben  Sie mir, eine Fahrstuhlfahrt vom Fußgängerübergang zum Gleis kann lang sein. Lang genug für ein paar weitere Beleidigungen aus den Mündern dieser Leute, die ich unter normalen Umständen respektvoll  „alte Herrschaften“ nennen, und auch so behandeln würde. Aber in dieser Situation,  kann ich nicht anders. Ich rempele das Weiblein beim Hinausgehen an

Den Bruchteil einer Sekunde, fürchte ich sie fällt hin, den nächsten bin ich froh, dass sie es nicht tut. Ich haste die bereitstehende Bahn  entlang um bloß nicht im selben Wagen mit diesen beiden Streithähnen zu landen. Das gelingt mir auch. Allerdings erst, nachdem die Frau mir kräftig- ja wirklich K-r-ä-f-t-i-g auf den Arm schlug.

Entkommen, atme ich erleichtert auf, überzeugt: “Ach die steigen bestimmt nicht auch Hammer Kirche aus.“ Ja, schon gut, ich höre Ihr Lachen, sehe das überlegene Grinsen eines Menschen, der sich über die eigene Kombinationsgabe freut oder  die kennt, all diese Horrorfilme in denen jemand durch Sätze wie „Das ist doch ein Zuckerschlecken für mich!“ oder vielleicht auch nur ein „Geschafft!“, das Unglück geradezu heraufbeschwört.

Und tatsächlich,  ein Blick zurück noch ohne Zorn, noch voller Gleichmut, lässt-  um im Genre zu bleiben- das Blut in den Adern gefrieren, wo es doch eben noch warm und wohlig floss. Hören Sie sie, die kreischenden Geigen, die In Hitchcocks „Psycho“ den in ein Kleid gewandeten Norman Bates ankündigen? Oder irgendeine andere Musik, vielleicht aus moderneren Filmen,   nahende Schrecken und  drohende Brutalität körperlich spürbar machen? Dann wissen Sie, was in mir vorgeht als ich die beiden, rachedurstigen Persönchen entdecke, deren schlichte, dezente Kleidung  so gar nicht zu ihrem Gebaren passt. Mein Versuch, mich hinter einer Säule zu verstecken oder, um es weniger dramatisch auszudrücken, mich dem Blick der beiden Alten zu entziehen, schlägt fehl. Sie erhöhen ihr Tempo beginnen zu laufen, damit ich ihnen ja nicht entkommen. Also zwinge ich mich stehen zu bleiben um am Ende nicht doch noch für einen Sturz verantwortlich zu sein.

Wer sagte noch in einem seiner Filme so etwas wie „Mächtig falscher Fehler!“?  Ich weiß es nicht, aber er trifft mit seiner Aussage den Nagel genau auf meinen armen Kopf.
„Gehen Sie gerne einfach weiter. Ich warte bis sie gegangen sind. Also, alles gut.“, sage ich als sie mich erreicht haben. Ruhig und freundlich.
Doch besonders sie ist einfach aus: „Nein!  Jetzt setzt es was du Schlampe! Du hast mich geschubst!!
„Ja, das tu mir auch leid, aber sie haben mich die ganze Zeit beleidigt.“
„Gib mir gefälligst einen Zehner!“
„Warum?“  ich setze mich nun doch langsam in Bewegung in Richtung Ausgang.
„Na, Schmerzensgeld. Du hast mich geschubst! „Sie hält  ihren verbundenen Arm hoch, den sie schon vorher hatte.
„Und Sie haben mich geschlagen. Bitte lassen Sie mich in Ruhe!“
„Auf keinen Fall…“  Sie versucht mich zu treten. Also bleibe ich wieder stehen. Wie gesagt eine gefallenes altes “Mädchen“… Nee, das würde nur echten Ärger geben.
„Lasst mich bitte in Ruhe und geht weiter.“ Ich passe mich ihrem Wortschatz an ohne auch den Tonfall zu übernehmen.
„Du Hexe!“ fällt nun ihr Göttergatte ein, hebt seinen Einkaufsbeutel um mir den Inhalt – Gott sei dank nur eine leere Bierdose – auf den Kopf zu schlagen.
Allmählich empfinde ich die Situation als sehr skurril, spüre Lachen in mir aufsteigen, aber auch mehr und mehr hilfloses Unbehagen. Denn da es später Abend ist, ist der Bahnhof zwar hellerleuchtet, aber halt fast menschenleer. Die Tunnel am Ende sind völlig dunkel und still, keine Chance auf eine U-Bahn, die eventuelle- ja was? Retter oder gar Rüstungslose Ritter ausspuckt? Mal ehrlich, wie sieht das denn aus? Ich, ein Wonneproppen, um es nett auszudrücken, die sich bedroht fühlt von zwei halben Persönchen, die sie  umpusten könnte wie der Wolf die Häuser der drei kleinen Schweinchen? Lächerlich?  Also, ich bleibe bei skurril! Klar ich könnte sie erneut schubsen, aber am Ende wäre ich dann dran mit Körperverletzung.

Fotoshooing für Careflex (2012)

Ja,ja, lachen Sie ruhig-schon wieder!  Bei mir überwiegt die Hilflosigkeit! Aber da-da vorn! Eine Familie! Gleich haben die Eltern mit ihren beiden Kindern, ganz klassisch Junge und Mädchen, die Treppe erreicht und dann? Dann bin ich alleine mit diesen beiden merkwürdigen Gestalten, die immun sind gegen Freundlichkeit und Vernunft. Was also nun? Was also tun?
Und kommen Sie mir jetzt nicht mit der blöden Notrufsäule…Die wäre ja auch nur die Stimme der Vernunft, wenn ich Glück hab, oder würde mich für hysterisch  erklären.

Darum, ja darum, auch wenn ich mir  äußerst bescheuert vorkomme, schreie ich: „Hilfe! Hilfe kann mir bitte jemand helfen! Und tatsächlich, die vier bleiben stehen.   „Danke, aber die beiden Herrschaften, lassen mich einfach nicht in Ruhe!“ Ich bin mir der Situationskomik, die irgendwo tief hinter all dem Stress  lauert, wohl bewusst, folglich beginne ich zu erklären.
„Hauptsache du erzählst die Wahrheit!“ keift das Weiblein und für einen kleinen Moment, tauchen Bild und Stimme meiner, ebenfalls sehr zierlichen oft zickigen Mutter vor mir auf.  Aber wie heißt es oft so schön in russischen Märchen? Das ist eine andere Geschichte und will ein anderes Mal erzählt werden.

Diese hier ist zu Ende. Das alte Ehepaar entschwindet Richtung dunklem Park und dahinter liegender Heimat. Die Familie begibt sich, glaube ich, ins nahe  Hotel, verwundert  und vielleicht auch befremdet über uns Hamburger.
Und ich? Ich gehe den Lichtern der Hauptstraße entgegen und kann nun endlich lachen. Jo! Auch über mich selbst!

Birgit Kleinfeld/LeonieLucas, Juni 2022

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