Titelbild: Gregory Kunde/ FotoCredits: http://www.foto-drama.com/ (Hans Jörg Michel)
Endlich einmal „einfach so“ einen Opernabend genießen, ohne irgendwelche Verpflichtungen, war der Plan gewesen. Eigentlich. Denn ach, auch wir „Schreiberlinge“ sind ja nicht vor einer gewissen Eitelkeit gefeit, die sich in Mitteilungsbedürfnis zeigt. Darum hier doch kurz einige Gedanken zu der Vorstellung von Benjamin Brittens Peter Grimes an der Staatsoper Hamburg, die in allen Bereichen wirklich unter die Haut ging und begeisterte. Allen voran, der eindringlich spielende Gregory Kunde. Sein Tenor zeigt in Stimmführung und Klang, dass der richtige Umgang mit dem sensiblen Instrument „Stimme“ das Alter im Pass (69) irgendwie Lügen straft.
Der Mann, die Jungen, das Dorf und das Meer
Wie Brittens Opern Albert Herring und Billy Budd ist auch sein Peter Grimes eine Geschichte, in der das Meer mit all seiner auch Tod bringenden Faszination eine große Rolle spielt. Der Fischer Grimes ist in Verruf geraten und auch angeklagt, für den Tod von mindestens einer seiner kindlichen Lehrjungen verantwortlich zu sein. Dennoch besteht er immer wieder auf ein Kind als Lehrling. Ob es dabei um sexuellen Mussbrauch oder gefährliche Kinderarbeit (1830) geht, scheint mir persönlich nicht ganz deutlich. Von allen Dorfbewohnern, abgesehen von Lehrerin Ellen Orford, die auf ein gemeinsames Leben mit ihm hofft, und dem ehemaligen Marinekapitän Balstrode, wird Grimes gemieden und verurteilt. Als auch sein neuester Junge (durch Unfall) stirbt, rät Balstrode Grimes sich samt seines Bootes zu ertränken. Grimes folgt diesem Rat, sodass das Leben der Dorfbewohner wie gewohnt weitergehen kann, von denen wirklich jeder den berühmten „Dreck am Stecken“ hat.
Spannung in der Musik, doch nicht wirklich in der Inszenierung …
Die 26 Jahre alte Inszenierung von Sabine Hartmannshenn verbreitet ohne Zweifel die zur Geschichte passende bedrückende Stimmung. Denn sie und Bühnen- und Kostümbildner Wolfgang Gussmann setzen auf Schwarz- und Grautöne und auf eine, größtenteils in der Spielfläche eingeschränkte Bühne, was besonders in der Gerichts- und in der Kirchenszene, bei denen alle Protagonisten und der Chor sich auf der Bühne befinden, für Enge und Bedrängnis sorgt, auch im übertragenen Sinne. Dennoch, so ganz kann sie mich nicht erreichen, vielleicht weil man gezwungen ist, während der Umbaupausen auf einen schwarzen Prospekt/ festen Vorhang zu blicken. Warum das stört? Weil währenddessen das Philharmonische Staatsorchester unter der souveränen Leitung Kent Naganos, die wunderbaren Zwischenspiele Britttens mit Verve und Empathie zum Leben erwecken. Zwischenspiele, die deutlich machen, wie gekonnt Britten, seine Affinität, sein Verständnis vom unberechenbaren, auf gefährliche Art faszinierenden Meer in Töne kleidet, die Wildheit des Ozeans verdeutlicht. Natürlich bringt er uns aber auch die Emotionen, und den beginnenden Verzweiflungswahn Grimes‘ nahe. Diese Brüche zwischen den Bildern, sind sicherlich so gewollt, doch mich bringt es aus der Handlung, hemmt die Fantasie, die Bilder, die die Musik doch hervorruft. Stilisierte Prospekte/ Vorhänge von Meer und Dorf, wären in meinen Augen unterstützender gewesen. Und ganz im Ernst? So ganz auf eine Mischung auf Dramatik und Kitsch verzichtet das Produktionsteam, zu dem auch Lichtdesigner Hans Toelstede gehört, zumindest am Ende nicht, wenn Grimes mit dem toten Jungen im Arm dem Sonnenuntergang, dem eigenen Tod und somit der Erlösung von allen irdischen Qualen entgegengeht. Ja, das gefällt mir, doch ich bleibe dabei, so ganz wird die Inszenierung der Spannung in der Musik nicht gerecht.
Beeindruckende Leistung nicht nur von Gregory Kunde
Es war meine Ambivalenz Sabine Hartmannshenns Inszenierung gegenüber, die mich zum „Schreiben ohne Verpflichtung“ veranlasste, denn die Gedanken kreisten und wollten zumindest zum Teil heraus. Doch es soll bei diesem Text bei einem Intermezzo bleiben, einem, für meine Verhältnisse, kurzen Text.
Das geht dieses Mal leider auf Kosten der Künstler*innen, die jeder, sei es im Graben oder auf der Bühne, all die Ankerkennung, die sich im Schlussapplaus widerspiegelte, mehr als verdient haben.
Doch ich möchte heute neben den Hauptdarstellern nur Clare Presland als quirlige Pubbesitzerinnen Auntie, Rosie Aldridge in der wunderbaren „Absahnerolle“ der Opiumabhängigen Mrs. Sedley, und vor allem den jungen Tenori und Mitglied des Internationalen Opernstudios Hamburg Florian Panzieri, der als Fischer und Methodisten-Prediger Boles nicht nur stimmlich überzeugte, sondern auch darstellerisch glänzte.
Sie begeistert mich durch ihre Ausstrahlung und ihren klaren wandlungsfähigen Sopran in jeder Rolle, so auch als Ellen Orford: Jennifer Holloway. Durch Stimmmodulation und intensives Spiel, porträtiert sie eine Frau, die auf der einen Seiten zu dem Mann stehen will, mit dem sie sich eine Zukunft erhofft, die aber gleichzeitig die Augen nicht verschließen kann, vor den Indizien, die gegen ihn sprechen.
Gregory Kundes Leistung zwingt mich dazu, wieder einmal den so Klischee besetzten Begriff „er scheint die Partie zu leben“ zu verwenden, da er den beginnenden Wahn, die Selbstzweifel, die Wut auf die Dorfbewohner und viele andere Emotionen mehr als glaubhaft darstellt. Und stimmlich? Reicht es, wenn ich sage, dass ich mich nach seiner gesanglichen Darbietung als Peter Grimes noch mehr als vorher auf seinen Calaf in Turandot ( 31.3,4., 10. und 12.4.) und – natürlich – auf das Nessum Dorma freue?
Birgit Kleinfeld (18.2.2024.)