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Nomen ist nicht immer Omen - Oft reicht er nicht allein-Dahinter kann noch viel mehr "wohnen"! -Kommt! Schaut doch einfach rein!

Staatsoper Hamburg – Norma: zwei (stimm)starke Frauen

Titelbild: Marina Rebeka, FotoCredits http://www.foto-drama.com/

Vor fast exakt vier Jahren (8. Februar 2020) hatte Vincenzo Bellinis Oper Norma an der Staatsoper Hamburg in der eigenwillig interessanten Inszenierung von Yona Kim Premiere. Am 13.2.2024 gab es erneut eine Art Premiere, denn Olga Peretyatko gab ihr Rollendebüt, hier an dem Haus, wo sie einst Mitglied des Internationalen Opernstudios Hambuirg war, bevor sie weltweite Bekanntheit erlangte. Besonders sie und auch ihre Kollegin Angela Brower (Adalgisa) wurden zu Recht mit dem Löwenanteil des Jubels bedacht, der aber auch Marcelo Álvarez (Polione) und allen anderen galt die Begeisterung des Publikums.

Olga Pretyatko nach ihrem Rollendebüt
Alle FotoCredits: @Olga Peretyatko

Verzicht auf Freude hemmenden Vergleich

Norma – jeder Opernliebhaber und sicher auch viele andere assoziieren mit diesem Paradebeispiel für Belcanto, sicher das berühmte „Casta Diva“ und zwingend auch an Maria Callas. Nein, ich werde nun und nicht Callas mit Peretyatko vergleichen. Warum auch? Beide Sängerinnen zeichnet etwas ganz Eigenes und Besonderes aus, das uns beide auf andere Weise beeindruckende, schöne Aspekte von Bellinis Musik nahebringen. Und geht es Ihnen nicht auch so, dass der Vergleich mit Vergangenem, die Freude an oder auch nur die Konzentration auf das, was jetzt ist, beeinträchtigt oder gar zerstört?

Mir geht es darum, zu zeigen, dass Norma so viel mehr ist, als diese eine unter die Haut gehende Arie. Die gesamte Oper besteht aus in sich abgeschlossenen Bildern, von denen jedes einzelne angefüllt ist, mit, für alle Protagonisten herausfordernden und für das Publikum mitreißenden, berührenden Melodien. Die Interpretation des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg unter der Leitung von Maestro Paolo Arrivabeni an diesem Abend brachte die Emotionalität, das bildmalerische jeden Tons zum Klingen, die Sänger auf der Bühne unterstützend, ohne sie zuzudecken und ihnen ihre beeindruckende Arbeit noch zu erschweren.

Marina Rebeka; Kinderkomparserie
FotoCredis: @Hans Jörg Michel (2020)

Viel zum Nachdenken – zu viel um alles zu verstehen

Dann ist da die etwas komplizierte Geschichte der gallischen Priesterin Norma, die schon Jahre vor Beginn der eigentlichen Handlung ihr Keuschheitsgelübde mit dem römischen Prokonsul Polione brach und seitdem die gemeinsamen Kinder versteckt hält. Zurückgerufen nach Rom will Polione aber nicht Norma, sondern die Priesterin Adalgisa mit sich nehmen. Es entsteht ein Auf und Ab von Gefühlen, wie Verständnis, rasende Eifersucht, Selbstzweifel, Verzweiflung, Frauensolidarität, Wut und letztendlich Selbstaufgabe. Denn statt der verliebten, doch noch unschuldigen Adalgisa verurteilt Norma sich selbst zum Tode auf dem Scheiterhaufen.

Regisseurin Yona Kimwill, laut Programmheft mit ihrer Interpretation den Krieg, der im Innern und im Außen aller handelnden Personen, besonders aber in Norma, Polione und Adalgisa herrscht, verdeutlichen. Ihr aufschlussreiches, ausführliches Interview mit Dramaturgin Angela Beuerle ist an anderer Stelle, unbedingt einer intensiveren Betrachtung wert. Hier sei nur gesagt, dass das Bühnenbild von Christian Schmidt völlig im Gegensatz zu der Erd- und des keltischen/ gallischen Glaubens und eigentlich auch der, durch Polione und seine Soldaten vertretenden römischen Mythologie.  Eigentlich – doch andererseits spielt der größte Teil in einer Art Bunker. So werden Kriegsschauplatz und das innere Eingesperrtsein in die eigenen widersprüchlichen Gefühle, wider. Nur selten, zum Beispiel während des Liebesduettes Adalgisa/Polione oder auch im Finale, verbreitet ein, leicht wie im Wind wehender Video-Vorhang aus Trauerweiden(?)ästen, eine trügerische Leichtigkeit. Vielleicht die bevorstehende Erlösung durch die Hauptgottheit der Kelten/Gallier: Gaia/Mutter Erde?

Marina Rebeka, Diana Haller; FotoCredits @Hans Jörg Michel

Nicht nur die szenischen Details, auch die Kostüme von Falk Bauer, werfen viele Fragen auf. Oder fordern uns mit manchmal von der Musik ablenkenden Intensität, mit Augen und Vorstellungskraft in diese komplexe (von Kim und Team geschaffene) Welt einzutauchen. Ja, das erfordert viel Bereitschaft und Offenheit. Zu viel? Bei mir sorgen Inszenierungen dieser Art immer für einen Nachhall, wecken den beinahe unerfüllbaren Wunsch, wenn nicht alles, so doch vieles verstehen zu wollen.  Eines jedoch gefällt mir an Yona Kims Interpretationen von Opern über starke Frauen, wie eben Norma oder Turandot. Sie bricht damit, dass auch solche Frauen Erfüllung nur in der Liebe eines Mannes finden und nicht allein durch eigene Entscheidungen. Bei ihrer Turandot geschieht dies durch eine völlig unerwartete finale Reaktion Turandots. Bei Norma in Hamburg, gibt es neben der Titelheldin zwar auch ein männliches Opfer für den Scheiterhaufen. Aber es ist nicht der in neuer Liebe zu Norma entflammte Polione, der ihr freiwillig folgt, sondern ein namenloser Soldat.

Marina Rebeka; hinten: Kinderkomparserie
FotoCredits @Hans Jörg Michel

Frauen, wenn nicht an die Macht, so doch in den Mittelpunkt

Oh, denken Sie bitte nicht, dass mir Liebe bejahende Finale nicht gefallen, denn das Gegenteil ist der Fall. Doch mir geht es wie Goethes Faust: „Zwei Seelen wohnen ach, in meiner Brust“ und die andere genießt Neues, zum Nachdenken anregendes sehr. Selbst wenn ich mich ab und zu wirklich durch Handlung und Bilder auf der Bühne vom 100%igen Genuss der Musik ablenken lasse und mich dann bemüßigt fühle, die Augen zu schließen, um mich ganz dem schönen Gesang und nur dem, hinzugeben. Und das gilt für jede Art von Inszenierungen, auch die traditionellen.

An diesem Abend gab es  einige Momente, an denen ich einfach nur lauschen wollte. Gleichzeitig aber zogen mich die Akteure auch durch ihr Spiel in den Bann, das gilt auch für den Chor der Hamburgischen Staatsoper ebenso wie der junge koreanische Tenor Seungwoo Simon Yang.
Yang w
echselte in dieser Spielzeit vom Internationalen Opernstudio Hamburg in das Ensemble der Staatsoper Hamburg und beeindruckte als Flovio in der kurzen Szene mit Marcelo Alvarez auf ganzer Linie, stimmlich wie darstellerisch.   Auch die, ebenfalls junge Anna-Maria Torkel in der Partie von Normas  Bediensteter Chlothilde und der stets engagiert agierende, wohltönende Bass Hubert Kowalcyk.

Marina Rebeka. Kinderkomparserie
FotoCredits: Hans Jörg Michel

 

Egal, wie man zu der Person des Poliones steht, der ja oberflächlich gesehen erst eine Priesterin dazu bringt seinetwegen eidbrüchig zu werden und es dann auch bei einer zweiten fast schafft. Bellini schrieb für diesen Tenorpart wunderschöne Melodien, als Arie, Duette, Terzette oder großen Szenen mit Chor. Marcelo Alvarez‘ fehlt der Stahl in der Stimme, den man in dieser Partie zum Beispiel von Franco Corelli kennt. Alvarez klingt eher lyrisch. Er schien nicht selten auf seine Kopfstimme zu setzen, was der Partie eine gewisse Sanftheit und damit einen nicht unangenehmen Reiz verleiht,

Doch wie der Titel dieses Abschnittes schon sagt: Die Frauen des Polione stehen absolut im Mittelpunkt. Bei Bellini wie auch bei Yona Kim und an diesem speziellen Abend auch noch durch die faszinierende Ausstrahlung von Angela Brower und Olga Peretyatko. Die Mezzosopranistin Angela Brower füllt die Partie der jungen, durch Liebe zu einem Mann in sich zerrissenen Adalgisa mit viel Innigkeit  im Spiel und Dramatik in der sauber und sicher geführten Stimme. Sie harmoniert zu 100% in Ausdruck und auch Stimmfarbe mit Olga Peretyatko.

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Marcelo Puente, Marina Rebeka
FotoCredits Hans Jörg Michel (2020)

Ich vermag nicht zu bestimmen ,was mehr faszinierte, die Leidenschaft und Authentizität mit der beide Künstlerinnen die Gefühle der eigenen Partie zum Ausdruck brachten,  ihre Intensität im Umgang  miteinander  als Priesterinnen, Rivalinnen, Verbündete , Frauen oder die schlicht bewundernswerte Harmonie und Schönheit ihrer Stimmen. Browers Mezzo strahlt in jeder Tonlage, ebenso wie Peretyatkos Sopran. Selbst im Terzett mit Alvarez, sind es die Frauen, die mehr faszinieren, die im Mittelpunkt von der Absicht des Komponisten und der Aufmerksamkeit des Publikums stehen. Erlauben Sie mir meine Begeisterung mit einem unartikulierten, an einen Seufzer erinnernden „Boaaah“ auch hier noch ein Mal Ausdruck zu verleihen. Denn anders und natürlich durch Applaus. Konnte ich der Spannung, die sich während der großen Szenen der beiden Frauen aufbaute, nicht wirklich Herr werden. Übersetzung: Welch tolle Leistungen! Die beiden schienen teilweise sogar zusammen zu atmen.

FotoCredits@Olga Peretyatko

Gefühlt bestreitet die Sopranistin der Titelheldin mindestens 80%, womit Norma sicherlich eine der herausfordensten Partien für einen Sopran überhaupt in der Opernliteratur. Dass mich Töne, die ein Sopran, nicht allein Peretyatko im tiefsten Register singt, oft  ein wenig irritieren oder unangenehm berühren, ist etwas , das mit meinen Hörvorlieben zu erklären. Denn auch in diesem Bereich singt Olga Peretyatko so sauber, wie sie es in der Mittellage und den Hörern tut. Diese Leichtigkeit in den Koluraturen, ihr wunderschönes Piano, die Wandlungsfähigkeit in Stimme und Spiel zeichnen sie als eine ganz besondere Künstlerin oder sogar „Norma“ aus. Und nein, ich weigere mich immer noch sie mit Maria Callas zu vergleichen.

Olga Peretyatko  gehört zu den Künstler*innen, die ihrem Publikum im Hier und Jetzt immer wieder schöne Opernabende bescheren und mein Fazit gilt dieses Mal alleine ihr, denn mit Vehemenz zerstreute sie mit einem Schlag an diesem Abend die Zweifel, die ich zeitweise an ihr hegte.

Birgit Kleinfeld, 13.2.2024

Links:
https://www.staatsoper-hamburg.de/

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