Auf der Bühne steht ein Flügel, ein Vibraphon und ein Kontrabass, die Musiker, (Oliver Potratz /Bass, Sebastian Weiß/Piano, Hauke Renken/Vibraphon), bauen sich auf, alle tragen den gleichen Frack – und stehen auf der Bühne, das Licht im Zuschauerraum geht aus und Tim Fischer rennt von hinten durch den Publikumssaal und stolpert – ebenfalls im Frack – auf die Bühne, er ist da, er ist präsent, er beginnt mit dem „Opernboogie“.
„Tigerfest“ ist ein Programm und eine CD, die Tim Fischer zu Ehren des Meisters Georg Kreisler zu dessen 100-jährigen Geburtstag, der am 18. Juli 2022 gewesen wäre, erarbeitet und herausgegeben hat – und ihm ist etwas wahrhaft Meisterliches gelungen.
Als Kreisler Interpret ist Tim Fischer schon lange bekannt – 1997 hat er auf der CD „aus blauem Glase“ bereits Lieder von Kreisler aufgenommen, es folgten mehrere weitere Aufnahmen sowie Bühnenprogramme. Mit Georg Kreisler verband ihn eine langjährige Freundschaft, die sich auch in künstlerischer Zusammenarbeit ausdrückte. Das Musical „Adam Schaf hat Angst“ wurde 2007 in Berlin uraufgeführt, damals führte Georg Kreisler selber Regie und war auch bei der Premiere in Hamburg im Schmidts Theater zugegen.
Heute aber stellt er sein neues Programm „Tigerfest“ nach der gleichnamigen CD vor, die bereits 2022 erschien. Und dieses Programm hat es in sich und hält wahre Überraschungen auch für Kreisler-Kenner parat. Im ersten Teil singt er, im Frack, bekanntere und weniger bekanntere Lieder, die das reichhaltige Spektrum aus Georg Kreislers Oevre von Sarkasmus, Melancholie und Bitterkeit abdecken. Dabei versucht Tim Fischer gar nicht erst die unverwechselbare Intonation des Meisters nachzuahmen, sondern hat seine ganz eigenen, sehr präzise Art der Interpretation gefunden. Sein „Staatsbeater“ klingt zackig, seine Interpretation von „Ich liebe Dich“ traurig, „Bett Philosophie“ sehr viel proklamatorisch als bei Georg Kreisler, nicht so weich, aber es passt sehr gut. Dieser erste Teil ist wunderbar, weil er an das Werk eines so umfangreichen und vielseitigen Künstlers erinnert, und dennoch etwas ganz Eigenes bietet.

Der zweite Teil nach der Pause aber ist eine wahre Überraschung – nicht weil Tim Fischer jetzt als Diva auftritt, das kennen wir aus zahlreichen anderen Programmen und Abenden von ihm, und man weiß: Er macht es meisterlich: Rote hohe Schuhe, langes aufgeschlitztes Glitzerkleid, so stolziert, bewegt, tänzelt er über die Bühne, spricht, lacht und raucht, stellt seine Musiker vor – und singt! Ein fulminanter Auftritt. Und was singt er da? Auch mir gänzlich unbekannte Lieder, Schlagerhaft, die aber niemals diese Kreisler typische Brechung missen lassen. Das sehr Besondere hier: er singt Lieder, die Kreisler explizit für Frauen geschrieben hat, eines der Bekannteren ist wohl „Erich“ und in einem Interview weist Tim Fischer zu Recht darauf hin, dass es etwas Besonderes ist, dass ein Mann – Georg Kreisler – so einfühlsam und glaubhaft Texte für Frauen erschaffen hat. Einige Lieder in diesem zweiten Teil sind so schlagerhaft, dass man irritiert ist und sich fragt, ob sie wirklich von Kreisler sind, wenn man nicht genau auf die Texte hört, bei denen es ja bei Kreisler besonders ankommt. Nehmen wir das Lied Schmetterling, man hört es zunächst als eine reine romantische Beschreibung der Natur, aus der Romantik finden wir viele Anleihen bei Kreisler. Doch ehe man sich in diesem Lied quasi verliert, wird man aus seinen Träumen herausgerissen, wenn es heißt „lass uns trinken einen Blumenstrauß“ und plötzlich bemerkt man, wie versponnen und verwoben dieser Text ist.

An diesem Abend fällt auf, wie viele Lieder Georg Kreisler über die Liebe geschrieben hat, über die Liebe in all ihren Facetten, mit Sarkasmus oder mit einem Hauch von Romantik. In „Mein Weib will mich verlassen“ geht es um die schon lange zu Ende gegangene Liebe, der man dennoch nicht entkommen kann und in der Hoffnungslosigkeit auch nicht wird – der Mann, der hier singt, begreift sich auch lediglich als Objekt seines Weibes, die er nämlich nicht verlassen wird, weil er sie nämlich braucht und auch bewundert. Auch singt er eines von Kreisler schönsten Liedern, es trägt den ganz simplen Titel „Ich liebe Dich“, in dem es aber genau darum geht, wie schwer es ist, über die Liebe zu reden, wohl weil die Liebe selber so schwierig ist.
Und das absolut bemerkenswerteste Liebeslied von Kreisler singt Tim Fischer an diesem Abend auch: „Verlassen“ – in den der Schmerz der Liebe im Dunkeln gelassen wird und geradezu zu einem Delikt wird, zu verstehen vielleicht als eine Klage darüber, dass in dieser Welt wenig Platz für die Dynamik und die Kontradiktion der Liebe ist.
Den ganzen Abend über merkt man Tim Fischer seine Begeisterung für Georg Kreisler an. Die Arrangements sind wunderbar, die Untermalung mit dem Vibraphon, das auch ein ganz hervorragendes Solo hat, passt hervorragend.
Tim Fischer entlässt uns aber erst nach dem „Tigerfest“, indem die Diva uns alle langsam, ganz langsam, lustvoll alle, nach der Reihe von einem Tiger verspeisen lässt, Applaus – ein unvergessener Abend.
Silke Opfer (Besuch am 12. November 2023