„Weniger ist viel“, diese Abwandlung des Spruches „Weniger ist mehr“ passt eigentlich auf alles, was in der Opera stabile der Staatsoper Hamburg geboten wird. So auch auf die neueste Produktion, Händel’s Factory, die am 12.11.2023 die lange umjubelte, aber leider letzte Vorstellung der einzigen Aufführungsserie hatte. Vorlage für dieses Stück von Christoph Klimk, mit der Händel nachempfunden Musik von Johannes Harneit ist Stefan Zweigs Händels Auferstehung. Herausgekommen sind 75 Minuten grandiose, informative und abwechslungsreiche Unterhaltung, der eine sich oft wandelnde Festtafel als einziges Bühnenbild dient. Faszinierend, innovativ, fantasievoll – anders kann man das Konzept von Adriana Altaras (Regie) und Eva-Maria Henschkowsk und Lolita Dolores Hindenberg (alias Georg & Paul /Bühne/Kostüme) nicht nennen.
Gustav Peter Wöhler, brillierte in der Titelrolle. Die sehr intime Atmosphäre der Opera Stabile ermöglicht(e) es dem Publikum seine hervorragende Leistung aus nächster Nähe zu erleben, wie auch die seiner Kolleg*innen. Einigen mag diese Formulierung vielleicht ähnlich abgegriffen scheinen, wie die berühmten drei magischen Worte, mit denen man tiefe Zuneigung ausdrückt, aber …
Aber es ist einfach so, Wöhler scheint Rollen wirklich zu „leben.“ Seine Mimik, seine Gestik und vieles mehr verleiht seinem Händel Authentizität und hilft dabei, dass man sich in dieses Genie und seine „Macken“ einzufühlen konnte.

Alle Fotorechte: H.J. Michel
Berührend auch seine Stimme, wenn er „Lascia ch’io pianga“ anstimmt, das „Leitmotiv“ dieses Abends. Aber auch Andreas Seifert, wie auch Wöhler auf Bühne gleichermaßen wie auf TV- und Filmleinwänden zu Hause, überzeugt in der Dreifachrolle als die beiden Händel Schüler Johann Christoph Schmidt (der Ältere wie auch der Jüngere) und als Andy Warhol. Warhol, wie Händel ein außergewöhnliches, gefeiertes Genie, taucht am Ende in einer Art Utopie auf, in der beide aufeinander treffen und zusammen mit den anderen Darstellern im Finale das „Hallelujah“ anstimmen.

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Jene „anderen“ sind zum einen Gabriele Rosmanith als Händels omnipräsentes Alter Ego, dem ernsthaften Persönlichkeitsanteil Händels, die in seinem Inneren seine Noten zum Klingen bringt. Rossmaniths Stimme bezaubert durch ihre klare Schönheit, die der Sängerin ebenso leicht gelingt wie ihr ernstes überzeugendes Spiel. Herrlich überdreht, als Altistin in der Barrockzeit wie auch als Popstar im Heute, gibt sich Ida Aldrian, deren besondere unverkennbare Stimmfarbe wie stets in den Bann zieht,

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Celine Mun (Sopran), Aaron Godfrey-Mayes (Tenor) und Grzegorz Pelutis (Bariton) stellten, wie auch Aldrian, verschiedene bekannte Sänger*innen mit denen Händel zusammenarbeitete und namenlose Popstars der heutigen Zeit dar. Besonders Mun begeistert mit ihrem federleicht geführten glockenhellen Sopran , der ein Ton zu hoch zu sein scheint. Bedauerlich, dass sie im Gegensatz zu den beiden jungen Herren nicht auch in anderen Partien und im großen Haus zu hören sein wird. Godfrey-Mayes und Pelutis sind viel versprechende Neuzugänge des Internationalen Opernstudios Hamburg, deren Stimmen und Spiellust neugierig machen auf mehr. Auch hier, um neue junge Stimmen kennenzulernen, ist die Opera stabile ein wunderbarer Raum, da die Nähe eher einen stimmigeren, ehrlicheren ersten Eindruck vermittelt, als die Distanz in einem fast 2000 Personen fassenden Saal.

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Auch die Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchester Hamburg unter der Leitung von Johannes Harneit spielten mit viel Verve, Vergnügen und einer guten Portion Humor. Eine außergewöhnliche Rolle fiel hier der Schlagzeugerin /Perkussionistin Lin Chen zu, die nicht nur ihren Trommeln sondern auch dem Bühnenboden, den Schuhen Händels und anderen Gegenständen mit viel Charme und Taktgefühl Töne entlockte.
Fazit: ein wirklich wunderbar kurzweiliger Abend, den ich gerne noch ein zweites Mal auf mich hätte wirken lassen. Denn der Genuss war zwar groß, aber es gab/gibt sicher noch viel mehr zu entdecken und damit zu (be)schreiben, musikalisch wie auch szenisch! Aber: Es hat Spaß gemacht, soviel ist sicher!
Birgit Kleinfeld (12.11.2023)