Die Straßenlaterne, die nachts das Dunkel des Zimmers, in dem ich liege und auf den Tod warte, mit ihrem sanften Licht erfüllt, ist für heute erloschen. Nun ist es die Sonne, die den Baum vor meinem Fenster einhüllt in sanftes, wärmendes Licht. So kann ich ihn also wieder sehen, den letzten Apfel an diesem Baum. Dort ist er, allein wie ich, sterbend wie ich und ebenso dem Schicksal trotzend.
„Halte durch!“, rufe ich ihm zu, als ich sehe, wie der Wind an ihm zerrt, „Halte durch!“

Denn ich weiß, wenn er fällt, dann sterbe auch ich. Ein tröstlicher Gedanke – irgendwie – zu wissen, ich gehe nicht allein von dieser Welt, noch etwas anderes wird mit mir zusammen zu Erde werden. Zu Erde, die neuem Leben Halt und Nahrung sein kann, sein wird. Doch noch möchte ich am Leben festhalten. Einen Moment noch, einen kurzen. Auch der Apfel wehrt sich gegen den Wind. Wie zwei Soldaten, die getrennt voneinander – sich dem Feind nicht geschlagen geben wollen, ringen wir um jeden Atemzug. Jede Sekunde, die wir es schaffen, erhellt unser Sein noch einmal, wie die strahlende Sonne den kalten Tag.

Sogar ein Lächeln, das mein krankes Herz erwärmt ist, mir vergönnt. Denn nun kommt, das Eichhörnchen, das ich Hanns getauft habe, und das in diesem Baum wohnt, zurück zu seinem Koben. Es lässt sich nieder auf dem Ast des Apfels, scheint zu mir hineinzuschauen. Seine Leichtigkeit wiegt zu schwer für meinen verwesenden Freund: Er löst sich, von dem, der ihm einst Halt und Nahrung gab und landet – ich glaube den stumpfen Aufprall zu hören, ja zu sehen und zu fühlen – mitten auf dem Rosenbeet.
Und ich? Auch ich schließe nun meine Augen und gehe dem Licht im Dunkel entgegen, lächele, in der Gewissheit, dass meine Seele beobachten kann, wie meine leblose Hülle bald neues Leben ermöglichen wird.
(c)Birgitk0305/ November 2013