Titelbild : Elbenita Kajtazi, Thomas Atkins
Alle Fotorechte: Mirjeta Kajtazi
Wen die Anspielung auf die Arie der Tosca „Vissi D’Arte“ bei einem Bericht über Giuseppe Verdis „La Traviata“ befremdet, dem gebe ich (eigentlich) recht. Doch gerade gab die Sängerin der Titelrolle, Elbenita Kajtazi, mit gerade dieser Arie in „Seven death of Maria Callas“ an der English National Opera ihr Debüt. Außerdem: auf der Suche nach einer Überschrift, die kurz und knapp die Emotionen der letzten La Traviata Aufführung dieser Saison an der Staatsoper Hamburg beschreibt, schienen mir diese Worte am treffendsten. Emotionen, die zum größten Teil ihr zu verdanken sind: Elbenita Kajtazi. Ihr gelingt es stets, vollkommen glaubwürdig in die Haut der Opernheroinen zu schlüpfen, denen sie ihren schönen, gerade auch bei den Spitzentönen mit unglaublicher Leichtigkeit geführten, Sopran verleiht. Dass ihre männlichen Partner und deren Leistungen dabei in den Schatten gestellt werden, liegt nicht in deren Verantwortung und der begeisterten Jubel, samt Standing Ovations, galt (zu Recht) allen.

Es dauerte einige Vorstellungen, bis ich der Inszenierung von Johannes Erath und den Jahrmarkt ähnlichen Bühnenbildern von Annette Kurz mehr Positives abgewinnen konnte, als nur die wirkungsvolle Lichtregie von Olaf Freese. Wie in der literarischen Vorlage von Alexandre Dumas (Sohn) beginnt die Geschichte der unglücklichen Liebe des Bürgertsohns Alfredo Germont und der Lebedame Violetta Valéry mit Alfredos Besuch an Violettas Grab. Das macht den dritten Akt der Oper, bei dem Alfredo hier erst nach dem Tod der Geliebten bei ihr eintrifft, zwar nicht weniger verwirrend, aber scheint doch folgerichtig. Eine weitere Sache, die mich bisher störte, berührt mich inzwischen doch. Noch vor der Ouvertüre intoniert Akkordeonist Jakob Neubauer Violettas „Alfredo. Alfredo di questo core“ einfühlsam und virtuos. Dann erklingen die melancholisch zarten Töne der Violinen, bis das Vorspiel übergeht in die vor Lebensfreude sprühende Ballszene und das Kennenlernen Alfredo/Violetta.

Das Philharmonische Staatsorchester unter der Leitung von Maestroi Matteo Beltrami tat mit seiner berührend mitreißenden Interpretation das Seinige dazu, das Publikum die romantisch-tragische Geschichte durch Verdis eingängige, emotionale Melodien miterleben zu lassen. Auch alle Beteiligten auf der Bühne, wie der Chor der Hamburgischen Staatsoper und die Herren, die Violettas Verehrer und Freunde darstellten, überzeugten stimmlich und darstellerisch. Sie, aber besonders auch: Kady Evanyshyn als Freundin und „Kollegin“ Flora Bervoix und Claire Gascoin als Violettas Vertraute Annina wirkten vornehmlich in den Szenen mit Elbenita Kajtazi noch empathischer und intensiver im Spiel an diesem Abend.
Auch Lukasz Golinski als Giorgio Germont und Thomas Atkins als Alfredo, die beide, meines Wissens nach, mit der ersten Vorstellung dieser Serie ihr Hausdebüt an der Staatsoper Hamburg gaben, ließen sich augenscheinlich von Kajtazis Intensität mitreißen.

Lukasz Golinskis Germont strahlte zwar durchaus Autorität und Strenge gegenüber seinem Sohn wie auch dessen Geliebter aus, aber auch die innere Zerrissenheit, sein subtiles Mitleid Letzterer gegenüber. Stimmlich gehört Golinski zu den Künstlern, die über einen nicht geringen Stimmumfang verfügen und deren Timbre, Wärme und Kraft gleichermaßen innewohnt. Der Szenenapplaus nach „Di Provenza il mar, il suol“ und der Jubel am Ende waren wohl verdient.
Auf Szenenapplaus für „Lunge da lei – De‘ miei bollenti spiriti“ musste Thomas Atkins leider an diesem Abend verzichten. Vielleicht weil sein schöner, sehr lyrischer Tenor, zumindest im ersten Teil des Abends, zwar nicht kraftlos klang, aber doch den Eindruck erweckte, (momentan noch) in einem Haus mit einer weniger schwierigen Akustik besser aufgehoben zu sein. Dann jedoch steigerte er sich, bis er schließlich durch schönen Schmelz berührte. Darstellerisch ließ er das Publikum von der ersten bis zur letzten Szene an Alfredos Liebe, Leidenschaft, Wut und Verzweiflung teilnehmen.

Elbenita Kajtazi gehört zu jenen Künstler*innen, deren große Bühnenpräsenz sich auch zeigt, wenn sie einfach nur „da sind“, außerdem scheint jede Geste, jede Mimik tief aus dem Inneren zu kommen: Sie denkt nicht, sondern fühlt und handelt einfach intuitiv und ganz und gar als Violetta. Sie liebt und leidet und man glaubt es ihr, vielleicht auch, weil keine ihrer Violetta-Darstellungen einer vorherigen bis auf letzte gleicht. Dazu fasziniert die leichte Selbstverständlichkeit oder selbstverständliche Leichtigkeit, mit der sie ihren glockenklaren Sopran auch bei den schwierigsten Passagen zum Klingen bringt. Es gibt nur wenige Vorstellungen, die mich fast durchgängig wohliger Gänsehaut oder Rührung (mit)erleben lassen. Doch nicht wenige Kajtazi-Vorstellungen gehören dazu.

Fazit: Es war ein Abend, bei dem man bedauert, dass es die letzte Aufführung von Verdis La Traviata in dieser Saison war. Hofft, dass die Herren Atkins und Golinski bald an dieses Haus zurückkehren und Elbenita Kajtazi, neben vieler -ihr vom Herzen gegönnter- Gastspiele, noch lange Ensemblemitglied an der Staatsoper Hamburg bleibt. Und nicht zuletzt ist da die große Freude, Kajtazi in dieser Spielzeit noch einige Male in verschiedenen Partien erleben zu dürfen. Oder halt überhaupt noch viele Abende dieser Qualität …
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 24.10,2023
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/www.elbenitakajtazi.com
https://www.matteobeltrami.com/
https://www.thomasatkinstenor.com/
https://www.kadyevanyshyn.com/
https://clairegascoin.com/