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Auch in einem Dreispartenhaus wie dem Theater Lübeck ist es möglich, einen unterhaltsamen und spannenden Musicalabend zu erleben, wie die Neuproduktion von Stephen Sondheims Sweeney Todd, in der herrlich vor schwarzem Humor sprühenden deutschen Übersetzung (W.Steiner/R. Hinze), beweist. Geschickte Beleuchtungs- wie auch wirkungsvolle „Schock„-Effekte, und vor allem eine von der Hauptrolle bis zu der kleinsten Nebenrolle sehr gut gewählte, im positiven Sinne „spielwütige“, Besetzung sorgten für eine unterhaltsame und am Ende mit stehenden Ovationen umjubelte Umsetzung der Geschichte des mordenden Barbiers. Sondheims wunderbar bildhaft eingängige Musik, vom Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck unter der souveränen Leitung von Nathan Bas mit Esprit dargeboten, tat das ihrige zu diesem wirklich gelungenen Abend.

Foto: © Theater Lübeck/Olaf Malzahn
Es ist die alte Geschichte von Liebe, Machtmissbrauch und grausamer Rache. Denn die sozialkritische, streckenweise satirische Geschichte handelt von dem jungen Benjamin Barker, der im viktorianischen London unschuldig nach Australien deportiert wurde, da er Richter Turpin Barkers Frau Lucy begehrte. 15 Jahre später kehrt Barker, nun Sweeney Todd nach London zurück und bedenkt viele Herren, letztendlich auch den Richter, mit der schärfsten Rasur ihres Lebens. Die ist dann auch stets die letzte im Leben der Kunden, die mithilfe der in ihn verliebten Pastetenbäckerin Nellie Lovett dann mehr oder weniger „schmackhaft“ entsorgt werden.
Die Bühnenbilder von Stephan Prattes sind verschiebbar und eher spärlich. Auch gleichen sie entfernt denen der Uraufführung am Broadway von 1979 und Elizabeth Gressels Kostüme entsprechen weitgehend der Mode des 19. Jahrhunderts, von den Protagonisten bis hin bis zum, im Gothic-Stil Schwarz gekleideten, sing- und spielfreudigen Chor.

Foto: © Theater Lübeck/Olaf Malzahn
Regisseur Werner Sobotka setzt zu Recht auf die eindrucksvollen Lichteffekte Falk Hampels, traditionelles Theaterhandwerk, einfallsreiche Personenführung, gute Choreografiie (Natalie Holtom) und nicht zuletzt die eigene Fantasie, die lachen, gruseln und staunen lässt. So erscheint der Chor schon zu Beginn, bei den unheimlich unheilvollen Klängen der Orgel beim „Prelude“, wie aus dem Nichts aus der nebeldurchwaberten Bühne. Bei Nellie Lovetts Erzählung über das Schicksal von Sweeneys Frau Lucy und seiner Tochter Johanna, „Poor Thing/Armes Ding“, sieht man erst -wieder wie aus dem Nichts aufgetaucht, Lucy Barker über Lovetts Bäckerei und dann in einem Schattenspiel, was ihr passierte. Herrlich subtil bissig auch der Transport der Leichen zu ihrer „Weiterverarbeitung“. Schön auch die Idee, dass der Chor, wie Sweeney Todd und auch Bäckergehilfe Tobias Rugg mit dem Publikum interagieren, letzterer verteilt nach der Pause im Parkett Pastetchen, die anderen wenden sich in einigen Szenen direkt an die Zuschauer*innen.

Oben: F. Gürtelschmied, P. Stanke
Foto: © Theater Lübeck/Olaf Malzahn
So beschert Patrick Stankes „My Friends/Mein Freund“, den ersten Grusel- und Gänsehaut Moment des Abends, wenn er sich mit ausgestrecktem Zeigefinger an einzelne (männliche) Zuschauer wendet. Überhaupt ist diese Szene, sind ähnliche, hauptsächlich von Dramatik getragene Szenen Stankes Stärke, auch stimmlich. Ja, nach mehr als zwanzig Jahren ist der Heizer aus „Titanic“, mit dem Stanke an der Neuen Flora in Hamburg damals großen Erfolg hatte, erwachsen geworden. Der jugendliche Charme ist großer und müheloser Überzeugungskraft gewichen. Auch sein Gesang hat sich im Laufe der Zeit verändert, hier ist jugendliche Leichtigkeit ersetzt worden durch mehr Ausdruck. Doch das unverwechselbare Timbre seiner Stimme fasziniert immer noch.
Carin Filipčić, neben Stanke die einzige Musicaldarsteller*in zwischen Opernsänger*innen, ist eine wunderbare Nellie Lovett, ein Londoner Original der Unterklasse, wie man es auch bei Dickens findet. Die Art und Weise, wie sie ihre Stimme moduliert während sie die „Worst Pies in London/ schlechtesten Pasteten Londons“ anbietet oder bei „By the Sea /Am Meer“ von einem Leben mit Sweeney träumt, ist mitreißend und berührend. Filipčić verführt zum Lachen, aber lässt auch mitfühlen, denn sie ist nicht nur gesanglich sondern auch darstellerisch durch und durch authentisch. Ganz ehrlich? Manchmal stiehlt sie Stanke fast die Show, doch zusammen sind die beiden einfach ein unschlagbares Paar.

Was die begleitenden Rollen angeht, boten neben Filipčić und Stanke Noah Schaul und Andrea Stadel die besten Leistungen des Abends.
Ohne Frage gaben auch alle anderen mit Erfolg ihr Bestes, so sind Elvire Beekhuizen (Johanna Barker) und Laurence Kalaidjian (Anthony Hope) ein harmonisches Liebespaar, stimmschön und überzeugend. Wobei Bariton Kalaidjian manchmal kurz Schwierigkeiten mit den Höhen oder Einhalten der Stimmlage zu haben schien, was aber seiner schauspielerischen Leistung keinen Abbruch tat. Herrlich schmierig gibt sich Franz Gürtelschmied als Scharlatan Pirelli und Sweeneys erstes Opfer. Die Spielweise von Steffen Kubach (Richter Turpin) und Gustavo Mordente Eda (Büttel Bamford) macht es leicht, ihre Partien unsympathisch zu finden, wie es ja sein soll. Und der Kurzauftritt von Thomas Stückemann als Mr. Fogg, dem Direktor einer Irrenanstalt, sorgt für einen schaurigen Moment.

Foto: © Theater Lübeck/Olaf Malzahn
Aber Noah Schaul, der im vergangenen Monat in Tschaikowskis Eugen Onegin mit seinem Kabinettstückchen als M. Piquet auffiel, beweist als Tobias Rugg, sein wahres Können und die Schönheit seines Tenors. Sprüht bei „Pirellis Elixire“ der Schalk aus jedem Ton, so berührt bei seiner Zuneigungserklärung an Mrs Lovett „Not while I’m around/ Solange ich da bin“, die Sanftheit seiner Stimme. „Der wäre doch ein guter Alfred für „Tanz der Vampire“ in Hamburg“, hörte ich einen Gast am Ende sagen.
Auf jeden Fall hat dieser Abend aber wirklich neugierig gemacht, ihn bald als Lenski (auch Eugen Onegin) hier am Theater Lübeck zu sehen und hören.
Andrea Stadels großartige Leistung als immer wieder auftauchende Bettlerin, verdient viel mehr und auch ausdrucksstärkere Worte als mir einfallen. Wie sie sich fast immer in gekrümmter demütiger Haltung an die Männer heranschleicht, um dann plötzlich aufzuspringen, um handgreifliche Avancen zu machen, fasziniert ebenso, wie ihre Fähigkeit vom Musical belten/“schmettern“ in ihren Opernsopran zu wechseln. Wie schön, dass diese Spielzeit unter anderem als Susanna Figaros Hochzeit und als Marie Die Regimentstochter zu sehen sein wird.

Foto: © Theater Lübeck/Olaf Malzahn
Fazit: So macht Musical wirklich Spaß, lehrt uns diese Produktion doch, dass weniger moderne Technik mehr ist, wenn alles andere mit soviel sichtbarer Freude und natürlich Können präsentiert wird!
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 14.10.2023