Opern- und Leben(s)gestalten

Nomen ist nicht immer Omen, oft reicht er nicht allein, da hinter kann noch viel mehr „wohnen“! Kommt! Schaut doch einfach rein!

John Neumeier: „Meine Kunst war mir niemals eine Last“

Welch wunderbare Art und Weise, einen, eine Spielzeit lang dauernden „Epilog“ einzuläuten! Schob im vergangenen Jahr verzauberte „The World of John Neumeier“ einige tausend Menschen auf dem Rathausmarkt in Hamburg. In diesem jedoch liegt mehr als nur ein Hauch Abschiedsschmerz über der Veranstaltung: Denn mit dieser Spielzeit geht John Neumeier (dann 85) nach 51 Jahren – zumindest als Intendant des Hamburg Balletts -in den (Un)Ruhestand. Sein Charme ist ungebrochen, die Freude am Jubel auch. Und davon gab es schon zu Begrüßung viel.

Tanz auf dem Rathausmarkt
Alle Fotorechte; Kiran West

Wie schon im vergangenen Jahr gab John Neumeier einen Einblick in sein Leben, das schon ab dem vierten Lebensjahr auf Tanz ausgerichtet war, nämlich als er das elterliche Wohnzimmer zu seiner Bühne machte und erst zu der Ouvertüre von Leonard Bernsteins Oper Candide dann zu den Melodien aus den Technicolor-Filmen mit Astaire, Kelly und Co. Und natürlich begann der Abend mitreißend und aus geführt von einem bestens gelaunten und tanzfreudigen,ja herrlich tanzwütigem – Ensemble mit eben dieser Ouvertüre, an deren Ende Neumeier auf die Bühne gehoben wurde. Ansonsten stellte Christopher Evans den jungen John den gesamten Abend über dar und imponierte wie so oft mit seiner Sprungkraft und seiner empathischen Ausdruckskraft.

Ida Stempelmann, Aleix Martínez, Christopher Evans & Ensemble in „Nijinsky“
Alle Fotorechte: Kiran West

Es folgte die Aufforderung Shall we dance?“ zu Gershwins „I’ve got Rhythm“, dargeboten von der quirligen Ida Praetorius und dem an diesem Abend, seine Vielseitigkeit unter Beweis stellenden Alexandr Trusch. Trusch beeindruckte im Laufe des Abends in einem Ausschnitt von Nijinsky in der Titelrolle. Dieses Ballett ist Neumeiers großem Idol, dem vielseiteigen Tänzer/Künstler Vaslaw Nijinsky gewidmet und belegt Neumeiers Aussage „Tanz ist der Spiegel der (Tänzer)Seele“. Und wirklich, in diesem Ausschnitt gaben neben Trusch auch Aleix Martínez und Ida Stempelmann als Vaslaws Geschwister Stanislaw und Bronislava durch ihr tänzerisches Können auch einiges von ihrer Seele preis.

Olivia Betteridge, Matias Oberlin, Christopher Evans & John Neumeier in „Der Nussknacker“
Alle Fotorechte: Kiran West

Ferner gab Neumeier zu, dass seine Version von Tschaikowskys „Der Nussknacker“, eine Hommage an das klassische Ballett an sich ist und besonders das zweite Bild (Die Ballettprobe) viel mit seinen, nach eigenen Angaben, recht holprigen Anfängen zu tun hat. in der auf dem Rathausmarkt gezeigten Szene bezauberte neben ihren Kollegen Matias Oberlin (Günther) und Xue Lin (Louise), besonders Olivia Betteridge (Marie). Alessandro Frola, der noch gut als Mercutio (Romeo und Julia)in Erinnerung ist, überzeugte als eleganter Ballettmeister (Drosselmeier) auch durch wunderschöne Port de Bras.

Es ist ja kein Novum, dass schöne Arm- und Handbewegungen, mich oft mindestens so in den Bann ziehen wie hohe Sprüngen und von beidem wurde an diesem Abend viel geboten.

Christopher Evans, Edvin Revazov, Alexander Riabko in Opus 100-for Maurice
Alle Fotorechte: KiranWest

Christopher Evans, Silvia Azzoni, Alexandre Riabko wie auch Anna Laudere, Edvin Revazov waren da zum Beispiel in einem Ausschnitt aus Tod in Venedig oder Neumeiers „Corona-Ballett“ Ghost light für die weichen, leisen Bewegungstöne verantwortlich. Riabko und Revazov zeigten dann in dem Maurice Bejart gewidmeten Stück Opus 100 – für Maurice ein Pas de deux, in dem Kraft und Energie sich die Waage halten mit fast zärtlicher Zuneigung. Für mich ist dieses Männer-Pas de deux eines der ausdrucksstärksten, und ein Zeugnis von Neumeiers Können verschiedene Arten von Liebe zu zeigen.

Sprungkraft und Überschwang aus Liebe zu Gott -denn Neumeier nannte Tanz auch seinen Weg zum Glauben, zeigten zusammen mit Christopher Evans und dem Ensemble dann Madoka Sugai in einem Ausschnitt aus Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium I-VI„.

Azul Ardizonne, Louis Musin (Rome und Julia)
Alle Fotorechte: Kiran West

Mit Azul Ardizzone (16!!) und Louis Musin (21) durften wir dann das erste Treffen und das Erwachen der Liebe des berühmtesten Liebespaares der Welt: Romeo und Julia. Die beiden so jungen Tänzer faszinierten durch absolut authentische Hingabe an ihre Rollen und durch die Leichtigkeit, mit der sie die technischen Schwierigkeiten umsetzten. „Entzückend“ mach kitschig klingen, ist aber für mich der Ausdruck, der am besten passt(e).

Jacopo Bellussi und Ida Praetorius präsentierten dann mit dem „Weißen Pas de deux“ aus Die Kameliendame die reifere, aber darum auch noch innigere Liebe von Armand und Marguerite. Auch sie überzeugten und berührten tief. Mögen wir beide Paare bald in ihren Rollen Abend füllend sehen dürfen. Obwohl, was die, jetzt schon wunderbare Azul Ardizzone angeht, vielleicht ist die Beendigung ihrer Ausbildung doch wichtiger und wie heißt es doch so schön: Auf jemanden Guten zu warten, lohnt sich allemal.

Jacopo Bellussi, Ida Praetorius in „Die Kameliendame!“
Alle Fotorechte: Kiran West

Allemal gelohnt hat sich auch dieser, am Ende doch etwas kühle Abend auf dem Rathausmarkt, der furios und fröhlich mit Beethovens 7. endete! Und wer glaubt es Neumeier nicht, wenn er sagt: „In all den Jahren der harten Arbeit, der Erfolge und Rückschläge war mir meine Kunst, der Tanz und ihn zu kreieren niemals eine Last.“ Also ich glaub’s! Und Sie?

Birgit Kleinfeld Vorstellungsbesuch 3.9.2023

Link zur Programmübersicht:
https://www.hamburgballett.de/de/spielplan/stueck.php?AuffNr=230520


Weiter Beitrag

Zurück Beitrag

Antworten

© 2023 Opern- und Leben(s)gestalten

Thema von Anders Norén