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Nomen ist nicht immer Omen, oft reicht er nicht allein, da hinter kann noch viel mehr „wohnen“! Kommt! Schaut doch einfach rein!

DeutschesSchauspielHaus – Kafkas Oktavhefte: Die Innigkeit von Raum und Klang

Titelbild: Lars Rudolph, Michael Weber, Bettina Stucky, Eva Maria Nikolaus, Jan-Peter Kampwirth
Alle Fotorechte: Sandra Then

Ein Schiffshorn hängt mitten im Bühnenraum, es trötet nicht nur zwischen den Texten, sondern auch in sie hinein, unterbricht den Text, den Fluss – ein schwarzes Klavier steht vorne rechts, ein Mann läuft ständig mit einer Trompete herum, und es dauert mindestens eine halbe Stunde bis sie überhaupt ertönt,  die Schauspieler sprechen und singen, sie klappen Türen, sprechen und singen hinter und vor ihnen, den Türen, gehen singend über das Foyer um den Zuschauerraum herum, öffnen die Türen zu Zuschauerraum, singen von hinten in ihn hinein, die gerade noch aus der Ferne klangen, sind nun so nah. Sie reden leise und laut, fließend und im Stakkato. Kafka spricht in einen Kasten, es hallt, der Kasten ist hier ein Zimmer, später ist dieser Kasten ein Ofen, mit einem langen Rohr.

Lars Rudolph, Michael Weber, Bettina Stucky, Jan-Peter Kampwirth, Eva Maria Nikolaus
Alle Fotorechte: Sandra Then

Texte aus den Oktavheften  werden an die Wand projiziert, an die Wand und an den oberen Bühnenrand, wie in einer Oper, die in einer fremden Sprache aufgeführt wird – am Beginn in so schneller Abfolge, dass kein Mensch sie lesen kann – man sieht es, deutlich, aber man kann es nicht entziffern. Später wird das eingeblendet, was gesprochen wird, wie Untertitel, als wenn der Zuschauer eine andere Sprache spricht, es sonst nicht verstehen könnte – als wenn man so alles verstehen könnte, was Kafka schrieb.

Am Beginn sieht man eine schwarze leere Bühne, das Schiffshorn teilt die Bühne nach den Regeln des goldenen Schnittes in zwei Teile, doch diese Harmonie ist nur vorgetäuscht, das Horn trötet immer wieder, am Ende eines Textes, oder mittendrin, es unterbricht Sätze, die ja selber schon ein Fragment sind. Es tönt immer dann, wenn man einen Fluss zu erkennen meint. An der hinteren Wand die Projektionen der Texte. Und das Heft, das Oktavheft es ist, abgegriffen, vielleicht, weil man es gründlich studieren muss, um darin lesen zu können. Vorne rechts am Bühnenrand ein schwarzes Klavier

Lars Rudolph, Michael Weber, Bettina Stucky, Jan-Peter Kampwirth, Eva Maria Nikolaus
Alle Fotorechte Sandra Then

Sechs Leute spielen Kafka, sagen ihn, sprechen seine Eintragungen, sie sind schon an den Kostümen deutlich voneinander zu unterscheiden. Zwölf weitere Schauspieler sind alle dunkel gekleidet – bevölkern mit den anderen ständig die Bühne, sie bauen im Laufe der zwei Stunden unterschiedlichste Bühnenbilder auf, rücken Wände, Türen, Treppen  so in- und umeinander, dass ein ständig wechselnder Raum  bespielt werden kann. Sie stellen eine schmale hohe Wand auf, sie kippt wieder um, beim zweiten und dritten Versuch ebenso, irgendwann steht auch diese Wand. Die entstehenden Bilder erinnern an Gemälde von Lyonel Feininger, die klar sind, aber in ihren Proportionen verschoben.

 Sind diese zwölf die Mäuse – von einer Maus, die stirbt, ist immer wieder die Rede – oder sind es Kafkas Geister, seine Wiedergänger? Oder sind die Mäuse die Wiedergänger und diese damit beides? Es ist bekannt, dass Kafka Angst vor Mäusen hatte. Diese zwölf spielen auch, im Hintergrund, “Wir sind fünf Freunde”, ein Eintrag aus Kafkas Tagebuch, der seine Bedeutung ändert, wenn man ihn mehrfach liest – die  im Hintergrund zählen unaufhörlich, wie ein Echo, aber nie bis fünf, nie in der richtigen Reihenfolge.

Bettina Stucky Alle Fotorechte: Sandra Then

Dies alles macht diese Inszenierung so unglaublich dicht, verwebt sie direkt mit ihrer Textgrundlage, ja, mit Kafka selber. “Jeder Mensch trägt ein Zimmer in sich. Diese Tatsache kann man sogar durch das Gehör nachprüfen. Wenn einer schnell geht und hinhorcht, etwa in der Nacht, wenn alles rings herum still ist, so hört man zum Beispiel das Scheppern eines nicht befestigten Wandspiegels“ So beginnen die Oktavhefte, und in der Inszenierung von Thom Lutz im Schauspielhaus wird genau diese Innigkeit von Raum und Klang geradezu nachgespielt. 

Die Musik, die gespielt, trompetet, angedeutet oder ausgespielt wird ist sämtlich von Kafka inspiriert, wird in seinen Tagebüchern, oder in den Oktavheften erwähnt. All das kann man nachlesen in dem kleinen und wirklich sehr feinen Programmheft, das einem gereicht wird.

Michael Weber, Bettina Stucky, Lars Rudolph
Alle Fotorechte: Sandra Then

Die Bühne selber wird ständig wieder umgebaut, ist unfertig, veränderbar und bietet weder Festigkeit noch Kontinuität. Sie wird auch nicht hingestellt und umgebaut von Dritten, Handelnde, die zwölf, sind es, die immer wieder neues aus den Elementen erschaffen, nicht ein dritter, nicht einer von außen. Ist es also ein Umbau, den man selber macht? Der von innen kommt? Ist das Zimmer überhaupt außen? Oder ist er gegeben, ist man hinfort geworfen in diese Welt?

Am Ende wird das Klavier an einem Seil hochgezogen, während einer darauf noch spielt – das Klavier wird unerreichbar – ein Bett richtet sich auf, er spielt weiter, zupft an den Federn des Bettes. “Was machen Sie da? – Ich spiele Flöte, das sehen Sie doch” – er zupft weiter, fast so, als wäre es ein Bass. Das Piano schwebt also über dem Bett, am anderen Ende des Seils steht… Kafka? – umschnürt, als hinge er an einem Galgen.

Mehmet Ateşçi, Lina Beckmann Alle Fotorechte: Sandra Then

Was absurd erscheint ergibt sich aus dem Stück: Musik, die nicht mehr spielen kann,ein Raum,  durchteilt von einem Seil-Dreieck, daran ein zusammengeschnürtes Individuum – Kafka: Raum – Klang – Mensch!
Eine große Kunst ist es am Ende geworden, ein in sich geschlossenes Werk über einen Text, der gerade davon lebt, dass er es nicht ist: geschlossen. Und die Schauspieler vollbringen großartiges: das Fragment bleibt ein Fragment, gerade dadurch steht so etwas wie Kafka vor uns.

Es spiel(t)en unter der Regie von Thom Lutz: Jan- Peter Kampwirth, Eva Maria Nikolaus, Daniele Pintaudi, Lars Rudolph, Bettina Stucky, Michael Weber und außerdem: Frederick Börner, Julia Boogaerts, Philipp Buder, Minou Djalili Valentin Flögel, Minna John, Mara Legler, Duncan Mahlenhoff, Lena Moszcynsky, Patricia Camille Stövesand, Marthe Timm

Silke Opfer, Vorstellungsbesuch 17.06.2023

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