Am Sonntagabend verließ ich tief gerührt die Eröffnungsvorstellung der 48. Balletttage an der Staatsoper Hamburg. Knapp 24 Stunden später dann stand ich klatschend, johlend und sehr fröhlich im First Stage Theater in Hamburg Altona bei der Premiere von Sister Act, der Musical-Adaption des Films mit Whoopi Goldberg, deren Synchronstimme (Regina Lemnitz) humorvoll auf das Film-, Foto-, und Tonaufnahmenverbot aufmerksam macht.
Ach, was für ein Spaß, die Geschichte der ehrgeizigen Nachtclubsängerin, Delores van Cartier, die im Kloster Schutz vor ihrem mordenden Exfreund sucht, live und in Musicaladaption erleben zu dürfen. Das Theater, dessen Reihen im Amphitheaterstil, immer je eine Treppenstufe höher mit perfekter Sicht auf die Bühne liegen, hat knapp 300 Plätze. Es bietet so eine wunderbar intime Atmosphäre, die es leicht macht, auch während des Stückes im Takt mit zu klatschen oder auch viel zu lachen.

Wie auf der Bühne, so im wahren Leben
Die Stimmung ist von Anfang an gelöst und locker, die Publikumsmischung stimmt. Ensemble/Schauspielkollegen empfangen „Hausherrn“ Dennis Schulze und auch die Akteure lautstark. begeistert und begeisternd. Die restlichen Zuschauer*innen, die Presse und die Sponsoren sind vorfreudig und werden besonders aufmerksam, als Schulze mitteilt, dass das First Stage Theater von nun an ohne Subventionen auskommen muss und wie die Kirche des Klosters im Stück auf viele, viele Besucher*innen angewiesen sei und man darum doch bitte werben solle.
„Hm“, denke sicher nicht nur ich, “ nur wenn es sich auch lohnt.“ Und Sie ahnen es sicher schon, seit meinem zweiten Satz: Es lohnt sich absolut! Warum? DAS werde ich Ihnen nun -endlich- verdeutlichen.

Der Zauber relativer Einfachheit
„Stage“, dieses Wort lässt nicht selten sofort an Stage Entertainment und deren aufwendige überall auf der Welt ähnliche Produktionen denken. Doch das First Stage Theater, dafür gedacht, unter anderem den Absolvent*innen der Stage School eine erste Bühne, eine First Stage eben, zu bieten, ist ganz anders. Hier stehen Spielfreude und (Selbst)Darstellung, um andere gut und mitreißend zu unterhalten, absolut im Vordergrund. Aber trotz Verzicht auf luxuriöse oder spektakuläre Ausstattung -für das Bühnenbild zum Beispiel zeichnet das First Stage Theater Team selbst verantwortlich- bietet das First Stage Theater Entertainment vom Feinsten. Ja, auch, ich sage mal Sparsamkeit kann unterhaltsam sein. Mit wenig Aufwand verwandeln die Hintergrundkulissen die Bühne in die verschiedenen Locations unterstützt von einer Lichtregie, die immer die richtige Atmosphäre schafft. Die Umbauten geschehen stets auf offener Bühne durch die Darsteller*innen selbst.

Da wird Curtis, der junge Polizist, der unsterblich in Delores verliebt ist und von dem die Idee mit dem Kloster stammt, samt Stuhl auf die Bühne gerollt. Ein anderes Mal entpuppt sich ein überlanges Telefonkabel als Seil, das Delores Pritsche auf die Bühne befördert. Die Kostüme von Sybille Gänsslen-Zeit bestechen durch fantasievolle Effekte, wie zum Beispiel im Finale die für jede Nonne anders glitzernden Schleier, die diese zu ihrem Alltagshabit tragen.
Wir wenige sind viele und: Baby, wir sind fabelhaft
Auch Regisseur Jens Daryousch Ravari sprüht vor Ideen, die dem Stück mit der Musik von Alan Menke, auch dank einiger auf den Spielort Hamburg gemünzte Wortspiele, einen ganz besonderen Pep geben. Im Musicalbereich heißt eine Aufführung ja „Show“. Show, also Gesang und Tanz perfekt choreografiert von Doris Marlis, steht zwar im Vordergrund, dennoch wird der Inhalt, die erzählte Story von Ravari, nicht vernachlässigt. Was aber natürlich besonders den Darsteller*innen zu verdanken ist.

Von den jungen Absolventinnen der Stage School, die als Nonnen aber auch als Barbesucherinnen oder Polizistinnen zu sehen sind und von denen wirklich jede ihre Rolle(n) mit viel Verve auffüllt, weiß ich leider nur eine beim Namen zu nennen. Die schüchterne Novizin St. Mary Robert gibt Sarah Hannuschka viel Format und vor allem eine kraftvoll schöne Stimme.
Sie beim Namen zu nenne ist leichter. Der verbrecherische Curtis Shank und seine Schergen werden dargestellt von Ilias Sidi-Yacoub (Curtis), Beneon Stevenson (Pablo), Florian Karnatz (Joey) und Peter Lehmann(TJ). Alle vier überzeugen auf ganzer Linie, wobei Sidi-Yacoubs Curtis so herrlich widerlich unsympathisch ist, dass man ihm manchmal am liebsten… Na, Sie wissen schon. Und Lehmann brilliert auf eine wirklich rührend-komische Weise als Youngster in der Bande.

Dejan Brkic dann in der Rolle des Monsignore Howard ist anfangs der typisch besorgte Geistliche, dem der Gewinn, den der Verkauf der schlecht besuchten Kirche bringt, mehr am Herzen liegt als seine wenigen „Schäfchen“, der aber dann erleichtert die durch Delores „Ausbildung “ des zu Beginn eher „katzenjammerig“ singenden Nonnen-Chors zu einem, der sogar vor dem Papst auftreten darf, der das Gotteshaus rockt.
Auch er findet zu innerer Stärke und Mut er selbst zu sein und sich Delores -natürlich mit Erfolg- zu offenbaren: Aliosha Jorge Ungur als Polizist Eddie, der im Finale Delores durch einen beherzten Schuss das Leben redet.
Zwei Frauen, zwei Welten, doch am Ende „Schwestern“
Alles in allem ist Sister Act eines jener Stücke, bei dem zwar der eine oder die andere eine größere Rolle hat, andere dafür gleich mehrere kleine und jeder Einzelne zählt nicht zuletzt die fünf ganz hinten im Saal „versteckten“ Musiker die Menkens wunderbare Melodien zum Leben erweckten.
Doch diesen beiden Ladies gebührt der Löwenanteil oder Löwi*nnenanteil von Applaus, Jubel und Standing Ovation: Femke Soetenga als Mutter Oberin und Dominique Aref als Deloris van Cartier.

Das Timbre auch der Sprechstimme von Femke Soetenga ist ein ganz besonderes, es beweist ihre langjährige Bühnenerfahrung zum Beispiel auch als Mrs. Denvers (Rebecca), Magda (Tanz der Vampire) oder anderen bekannten Musicals. Doch nichts an Spiel oder Gesang wirkt auf negative Weise routiniert. Man kann mit ihrer Mutter Oberin mitfühlen, die diese Frau loswerden will, die ihr aufgedrängt wurde und mit ihrer Art den Nonnen (zu viel?) Freude aber dem maroden Kloster auch Geld bringt. Daneben genießt man diese immer noch gut geführte, ausdrucksstarke Gesangsstimme. Wie schön, dass eine so großartige Künstlerin nicht nur ihre Erfahrungen als Lehrerin weitergibt, sondern auch mit ihren Schülern zusammen auf dieser Bühne steht.

Natürlich aber ist sie der der Star im Stück: Dominique Aref, deren Delores das Herz auf der Zunge trägt, als wirklich schriller Vamp beginnt und als selbstsicherere Frau, die weiß was wirklich zählt, endet. Sie hat Film- aber auch viel Bühnenerfahrung, spielte zum Beispiel die Titelrolle im Musical Aida. Ihre Art mit dem manchmal leicht an Slapstick grenzenden Humor umzugehen, ist weniger überdreht als es im Film gezeigt wird. Aref wirkt echt, fast wie vom Hamburger Kiez engagiert. Ihre Stimme hat etwas ganz leicht souliges, was gut zu der Rolle passt. Alles in allem begeistert Aref das Publikum im Saal ebenso wie die Nonnen im Stück.
Fazit: Ja, Musicalgesang ist mit Operngesang nicht zu vergleichen! Doch, verdammt, wer böses dabei denkt! Denn diese jungen Leute haben drei Jahre Zeit um nicht nur Gesang, sondern auch Schauspiel und Tanz zu studieren, bevor sie das erste Mal auf einer Bühne stehen und als jemand, der zwar die Oper noch mehr liebt als das Musical, kann ich nur voller Überzeugung sagen: Ihr seid fabelhaft Ladies und Gents! Möge euer kleines, schönes Theater uns noch viele Jahre Freude und gute Unterhaltung bringen! Und jungen Künstler*innen eine erste Plattform, eine First Stage!
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 12.06.2023