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Nomen ist nicht immer Omen, oft reicht er nicht allein, da hinter kann noch viel mehr „wohnen“! Kommt! Schaut doch einfach rein!

Staatsoper Hamburg – Les Contes D’Hoffmann: Schöne Stimmen und manchmal fragwürdiges Fingerspitzengefühl.

E.T. A. Hoffmann steht für Schauermärchen und Gruselgeschichten im späten 18., frühen 19.Jahrhundert, in denen immer, auf die eine oder andere Weise, die menschliche Seele eine große Rolle spielt. Komponist Jacques Offenbach ist einmal bekannt als Begründer der Operette im heutigen, eigenständigen Sinne, für spritzige Melodien, die hintersinnigen Humor untermalen und natürlich für seine Oper Les Contes d’Hoffmann, in der er die Erzählungen des Dichters mit seiner wunderbar vielschichtigen Musik untermalte. Nun verzauberte dieses Werk in der wunderbaren Inszenierung von Daniele Finzi Pasca an der Staatsoper Hamburg erneut das Publikum. Das liegt nicht zuletzt auch an der hochkarätigen, zu Recht mit Standing Ovations bedachten Besetzung: Matthew Polenzani in der Titelrolle, Pretty Yende (Olympia, Antonia, Giulietta, Stella), Jana Kurucová (Muse, Nicklausse) und Erwin Schrott (Lindorf / Coppélius / Dr. Miracle / Dapertutto.

Fotorechte: Monika Rittershaus (2021)

Eine ausführliche Beschreibung der farbenfrohen, fantasievollen Ausstattung finden interessierte Leser*innen im unten verlinkten Premierenbericht. Hier möchte ich nur betonen, dass diese Produktion auch beim zweiten oder dritten Sehen nichts an ihrer Faszination verliert, sondern man im Gegenteil immer neues entdecken kann.

Oft heißt es ja, die dritte Vorstellung sei immer die beste in einer Serie. Dies möchte ich hier nun unterschreiben: Schon bei der Wiederaufnahme am 29.5. stimmte die Leistung auf der Bühne und floss viel positive Energie zwischen Künstler*innen und Publikum. Allein am Tag der hier besprochenen Aufführung am 7.6. scheint es -verzeihen Sie den flapsigen Ausdruck- als hätten alle, besonders aber Kent Nagano und sein Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, noch eine Schippe an Engagement zugelegt.

Der Chor der Hamburgischen Staatsoper spielte in der eleganten atmosphärischen Bar, die das Anfangs-, bzw. Schlussbild, also die Rahmenhandlung beherrscht, durch senkrecht unterschiedlich designte Kostüme, die „Doppelrolle“ von Bargästen und Kellner*innen und überzeugte auch in den anderen Bildern stimmlich wie darstellerisch. Ähnliches gilt für François Piolino (Puppenvater Spalanzani), Opernstudio-Mitglied Han Kim (Le Capitaine des Sbirres) und die ebenfalls sehr jungen Sänger (Dongwon Kang, Daniel Schliewa und Nicholas Mogg), die im ersten und letzten Bild die Studenten spielen, wobei Mogg im Giulletta Akt auch die Rolle des Schlemil, der aus Liebe seinen Schatten verkaufte, zukommt. Auch Hubert Kowalczyk überzeugt als Wirt Luther und als gramgebeugter Vater der Sängerin Antonia auf ganzer Linie. Nicht zu vergessen Ida Aldrian, die mit ihrem unverwechselbaren Mezzo die kurze, aber wichtige, Partie der verstorbenen Mutter Antonias portraitiert.

Gideon Poppe, Olga Peretyatko, Jürgen Sacher // Fotorechte: Monika Rittershaus (2021)

Passend zu der Tatsache, dass jeder Akt des Hauptteiles jeweils eine völlig in sich abgeschlossene und immer tragisch endende Liebesgeschichte erzählt, haben alle Protagonisten, abgesehen von der Titelrolle, mindestens zwei Charaktere, die sie darzustellen haben. Die Absahn-Partien der vier Dienerrollen (Andrès / Cochenille / Frantz / Pitichinaccio) erfüllt Tenor Andrew Dickinson mit sichtbarem Vergnügen und der Fähigkeit, wirklich jeder dieser Figuren einen sehr individuellen stimmlichen wie auch darstellerischen Touch zu geben. Und „Absahnrolle“ ist hier absolut positiv und anerkennend gemeint, denn humorvolle Partien ziehen immer, besonders wenn der Künstler sie mit dem Fingerspitzengefühl für das rechte Maß ausführt.

Dieses fehlt für mein Dafürhalten leider Erwin Schrott (Lindorf / Coppélius / Dr. Miracle / Dapertutto) vollkommen. Ihn als eine Person zu bezeichnen, die alles tut um immer im Rampenlicht- und Mittelpunkt zu stehen, ist, denke ich an ihn als Scarpia, in nicht geringem Maße absolut positiv gemeint. Hier jedoch …

Erwin Schrott, PhotoCredits: Dario Acosta

Hier jedoch beraubt er zumindest mich des Zaubers, den die vier „Bösewichte“ schon immer auf mich ausübten: vier verschiedene Aspekte des Dunklen, des Verbotenen oder Furchteinflößenden (der mörderische Dr. Miracle im Antonia Akt) und dennoch auf gewisse Weise verführerisch. Schrotts unablässiges Überagieren, hat sicherlich auch etwas unterhaltsames, aber ist es wirklich gut und vor allem nötig, alles ins Lächerliche zu ziehen oder auch von der Bühnenseite oder unnötige Abgänge und durch, wenn auch nur geringe, Kostümänderungen auf sich aufmerksam zu machen? Meine persönliche Antwort kennen Sie.
Dennoch: Was für eine tolle ausdrucksvolle Stimme! Mein Urteil: Stimmlich in den Bann ziehend und oft mit wahrem Gänsehauteffekt. Ansonsten: Weniger wäre mehr, besonders was Hoffmanns Gegenspieler im wahren Leben betrifft: Den zielstrebigen, selbstverliebten und teuflischen Konsul Lindorf.

Angela Brower, Benjamin Bernheim// Fotorechte Monika Rittershaus (2021)

Jana Kurucová in der Partie La Muse / Nicklausse begeistert mit Empathie, Charme, hintergründigem Humor und einem wunderschöne Tonbilder malenden Mezzo. Herrlich und gesanglich einfach schön, wie sie Hoffmann durchaus liebevoll verspottet, doch glaubt man ihr auch den Schmerz des zurückgewiesenen Freundes/Mentors Nicklausse und die geduldige Fürsorge, mit der sie als Muse den Dichter seiner Bestimmung zuführt.

Pretty Yende ist als Olympia einfach entzückend anzusehen und zu hören. Sie zelebriert „Les oiseaux dans la charmille“ keck, ja witzig, und mit perlenden Koloraturen, die sie zusätzlich noch gekonnt verziert. Im Antonia-Akt zeigt sie dann eben so sicher und mitreißend ihre lyrisch dramatische Seite. Unabhängig von ihrer stimmlichen Brillanz wirkt sie als Antonia zerbrechlich, wie der blaue Schmetterling zu dem sie dank ihres Kleides wird. Als Kurtisane Giulietta umgarnt sie jeden Mann auf der Bühne und das Publikum im Saal durch unwiderstehlichen Charme in Stimme und Ausstrahlung. Und so kurz ihr Auftritt im letzten Bild als Stella auch ist, gelingt es ihr spielend, die Frau hinter der Diva zu zeigen, die Hoffmann vielleicht hätte lieben können. Sie, die für ihn ja die Quintessenz aus Olympia (Puppe), Antonia (Künstlerin) und Giulietta (Punk liebende Kurtisane) ist.

Akrobatin: May-Britt Dettbarn, Luca Pisaroni, Olga Peretyatko, Kristina Stanek, Angela Brower, Benjamin Bernheim/ Fotorechte Monika Rittershaus (2021)

Matthew Polenzani in der Titelrolle kam an diesem Abend vollkommen aus sich heraus. Sang er am 29.5. noch, wenn auch sehr wohlklingend, die Höhen oft mit Kopfstimme, so setzte er nun auch dort den leicht metallenen Schmelz seines Tenors ein. Auch er malt Bilder mit seiner Stimme, wechselt mühelos Stimmlagen und Stimmungen. Mit jeder Arie, jedem Duett, jeder Szene beweist er sein großes Können und nimmt daneben durch seine absolut natürliche und intensive Spielweise endgültig für sich ein.

Einen ganz besonderen Dank möchte ich den vier Artist*innen aussprechen, die Antonias Mutter (May-Britt Dettbarn), Olympia (Christel Kwadzo) bzw. Hoffmann und die Muse doubelten. .. (Apo Dulakis als Hoffmann/Klein Zaches bewies augenzwinkernden Humor und Jessica Gardolin als Muse hatte auch hoch in der Luft eine Leichtigkeit und Ausstrahlung, als wäre sie wirklich eine Muse, nämlich Terpsichore, die Muse des Tanzes.

Fazit: Ein wunderbarer und lange umjubelter Abend, an dem nur eine Sache traurig macht: Les Contes D’Hoffmann steht in der Spielzeit 23/24 nicht auf dem Spielplan. Aber wer weiß, wie es 24/25 aussieht!
Birgit Kleinfeld

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