Opern- und Leben(s)gestalten

Es gibt so vieles, neben Oper, mit dem es sich lohnt das Leben zu gestalten! Drum füllen sich nach und nach die Menü- & Unterpunkte! Viel Spaß!

Staatsoper Hamburg – Carmen: Et surtout la chose enivrante, la liberté!

Titelbild: Brinkhoff-Mögenburg (2022)

Als ich einer Bekannten vor ein paar Wochen erzählte, dass ich mir an Christi Himmelfahrt noch einmal Herbert Fritschs Carmen Inszenierung an der Staatsoper Hamburg ansehen werde, war sie doch sehr überrascht. Bei unserem gemeinsamen Besuch im September 2022 waren wir beide etwas ratlos, ob uns das, was wir da gesehen hatten, wirklich gefallen hat. Musikalisch ist Georges Bizets Oper ein unverwüstlicher Klassiker mit vielen schönen Arien, Chören und instrumentalen Passagen. Fritschs Inszenierung, die Kostüme und das groteske Make-up standen für unser Empfinden zu selten im Einklang mit der Handlung oder der Musik.

Maria Kataeva/Kostas Smoriginas,// Alle Rechte Brinkhoo-Mögenburg (2022)

Allerdings begeisterte mich Maria Kataeva in der Titelrolle so sehr, dass ich die Inszenierung trotz meiner Bedenken unbedingt ein zweites Mal sehen wollte und ich erlebte eine der beeindruckendsten Aufführungen der Spielzeit. Dies lag zum einen wiederum an der russischen Mezzosopranistin, aber in noch viel größerem Maß an Marcelo Puente, der als Don José sich den Vorgaben der Spielleitung womöglich komplett entzog und seine Rolle völlig anders interpretierte, als ich es in Erinnerung hatte.

Ida Aldrian, Maria Kataeva, Katrina Galka//Alle Fotorechte: Brinkhoff-Mögenburg (2022)

Maria Kataeva ist bereits seit zehn Jahren Ensemblemitglied der Deutschen Oper am Rhein und gab mit Carmen (September 2022) ihr Debut in Hamburg. Ihre kräftige, warme und nie angestrengte Stimme verbindet sie mit einer unglaublichen Bühnenpräsenz; jede Bewegung, jede Geste sitzt perfekt. Für die Zukunft würde ich mir wünschen, sie in Hamburg auch in anderen Rollen erleben zu können. Die von José Luna für sie entworfenen Kostüme betonen ihre außerordentlich erotische Ausstrahlung und Anziehungskraft. Kataevas Carmen ist die perfekte Femme Fatale, eiskalt und nur der eigenen inneren Stimme folgend. In allen Szenen mit ihr steht sie absolut im Mittelpunkt. Sie strahlt Willen und Kraft aus, etwas, das in ihren Augen Don José fehlt und wofür sie ihn schließlich verachtet und dies mit ihrem Leben bezahlen wird.

Marcelo Puente /Foto Privat

Mit Marcelo Puente stand ihr als Don José dieses Mal ein Gegenpart gegenüber, der ihr auch Paroli bieten konnte. Sein Don José wusste von seiner ersten Note bis zum Schlussakkord zu begeistern. Es war das erste Mal, dass ich den argentinischen Tenor auf der Bühne erleben durfte, und seine Darstellung des Don José machte die vielen Kritikpunkte, die ich an der Inszenierung habe, komplett vergessen. Seine Leidenschaft und Bühnenpräsenz an diesem Abend war ein echter Höhepunkt der Spielzeit 2022/23. Stimmlich voll auf der Höhe in allen Passagen, gab er seiner Figur eine Tiefe, die ich im September vermisst habe. Er konnte Don Josés Zerrissenheit zwischen Tradition und Pflichtbewusstsein auf der einen, beziehungsweise Freiheit und Lebensfreude auf der anderen Seite wunderbar vermitteln und glaubhaft darstellen. Seine Verzweiflung und Panik als er feststellen muss, dass ihm der Respekt und die Zuneigung von Carmen immer schneller entgleitet, hat mich tief berührt.

Marcelo Puiente( Foto: Privat

Für mich geht es in Carmen vor allem um gesellschaftlichen Umbruch: Et surtout la chose enivrante, la liberté! (Und vor allem das Berauschende, die Freiheit!).
Auf der einen Seite haben wir die alten Strukturen, Traditionen symbolisiert durch die Armee und Micaëla und dort den Gegenentwurf mit den Schmugglern, die keine Gesetze kennen, und der mysteriösen Carmen. Dieser Aspekt geht in Fritsches Version völlig unter, auch wenn er eine überdimensionierte Marienstatue und ein großes Kruzifix auf die Bühne stellt, diese jedoch vergisst in das Bühnengeschehen einzubinden.

Schmugglerszene Ensemble /Fotorechte: Brinkhoff-Mögenburg (2022)

Im Grunde genommen erfahren wir äußerst wenig über Carmen und ihren Hintergrund, sie lebt in der Gegenwart und hat keine Bindungen auf die sie Rücksicht nehmen muss. Über Don Josés Hintergrund erfahren wir weitaus mehr. Er hat eine Familie und eine Karriere, die vor ihm liegt. Sein Weg, sein Schicksal sind scheinbar vorbestimmt und seine Liebe zu Carmen ist ein Versuch, aus dieser Einbahnstraße zu entkommen. Marcelo Puente stellt dies so hinreißend dar, dass ich noch Tage später in Erinnerung daran ergriffen bin. Selten habe ich in Hamburg einen Tenor gesehen, der sich, man verzeihe mir diesen Ausdruck aus der Fußballwelt, so in eine Rolle reingehauen hat und das Publikum begeisterte.

Tomislav Mužek, Katrina Galka, Maria Kataeva, Ida Aldrian // Fotorechte: Brinkhoff Mögenburg

Neben den beiden großartigen Protagonisten hatte es das restliche Ensemble natürlich schwer, da alle anderen Akteure in Fritschs Inszenierung auf mich künstlich und artifiziell wirkten, angefangen bei den Kostümen bis zum bizarren Make-up. Die Kostüme sahen wie eine Mischung aus Marionettentheater und Karneval aus. Die Schminke und die Frisuren ließen die darunter agierenden Menschen verschwinden, so dass es schwer fällt etwaige Nuancen der Darstellung auch nur zu erahnen. Ich habe tatsächlich erst beim zweiten Blick entdeckt, dass der vielversprechende Engländer Nicolas Mogg sowohl den Moralès als auch Dancaïro gespielt hat. Dies kann ein Zeichen für seine Wandlungsfähigkeit einerseits oder auch der Schusseligkeit meinerseits geschuldet sein. Den meisten Szenenapplaus bekam Alexander Vinogradov für seinen atemberaubenden Escamillo. Sein Toréador, en garde! war so wunderbar kraftvoll und schwungvoll, dass das Hamburger Publikum schier aus den Sitzen gehoben wurde. Guanqun Yu wusste als Micaëla ebenso zu gefallen wie auch die altbekannten Ensemblemitglieder Narea Son (Frasquita) und Ida Aldrian (Mercedes).

Tomislav Mužek, Blake Denson, Chor der Hamburgischen Staatsoper, Alsterspatzen – Kinder- und Jugendchor der Hamburgischen Staatsoper /Alle Fotorechte: Brinkhoff-Mögenburg (2022)

Leider hat es auch in dieser Aufführung Dirigent Yoel Gamazou sich nicht nehmen lassen, an einigen Stellen Tempi einzufordern, dass Noten und Gesang nicht mehr synchron waren und übereinander stolperten. Dies war vor allem immer der Fall wenn das Torero Thema gespielt wurde. Ärgerlich und unnötig, wie ich finde. Ich habe bis heute auch keine plausible Erklärung für dieses Chaos gefunden. Bei den ruhigeren Passagen bewies der junge Dirigent besseres Gespür, ließ es ruhiger angehen und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg konnte seine Stärken ausspielen. Hervorheben möchte ich an dieser Stelle auch den Chor der Staatsoper Hamburg, der vor allem bei Dans l’air, nous suivons des yeux für einen wunderbaren Moment sorgte.

Fazit: Auch wenn einem die Inszenierung beim ersten Besuch nicht gefällt, hat so ein Klassiker es verdient mit einer anderen Besetzung noch einmal gesehen zu werden. Wenn man dann das große Glück hat so einen Tenor wie Marcelo Puente live erleben zu dürfen, verbringt man einen schönen Abend in der Oper.

Oliver Groth , Vorstellungsbesuch 18.05.2022

Premierenrezension:

Links:
https://www.staatsoper-hamburg.de/

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1 Kommentar

  1. Ralf Wegner 22. Mai 2023

    Eine schöne Beschreibung der Aufführung, die Lust macht, sich diese Oper doch noch einmal anzuschauen.

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