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Hamburg Ballett – Ein Sommernachtstraum: Zeitloser Zauber der Anderwelt

Mit 46 Jahren gelten Weine und Whiskey als reif und Menschen beginnen sich alt zu fühlen. John Neumeiers Ballett Ein Sommernachtstraum nach Shakespeares gleichnamigen Stück jedoch hat nichts an seiner Frische und Originalität verloren. Nun verabschiedeten sich Titania, Oberon, Puck und alle anderen -für immer?- von der Staatsoper Hamburg mit einer Doppelvorstellung .
Für jemanden, der zwischen 1977 und 1985 so gut wie jede Vorstellung besuchte, war die begeistert umjubelte und mit Standing Ovations bedachte Nachmittagsvorstellung, wie ein Nachhausekommen. Oder, um beim kulinarischen Vergleich zu bleiben: Man merkt plötzlich, dass etwas, das man in der Jugend sehr mochte, auch im Alter noch schmeckt!

Jede Welt hat ihre Musik

Irgendwie kennen wir sie alle, die Geschichte von Shakespeares Sommernachtstraum, die bei Neumeier einmal ungefähr zur Zeit Mendelssohn Bartholdys und der Ander(s)welt der Feen spielt. Es geht darum, dass Liebende sich endlich finden, was Puck mit schelmischer Freude und zeitweisem Erfolg zu verhindern sucht. Alles spielt sich in der Nacht vor einer Hochzeit ab, auf der eine Gruppe von rüpelhaften Handwerkern ganz begierig ist, das Stück Pyramus und Thisbe aufzuführen.


Für jede Welt gibt es die passende Musik: In den Momenten in der realen Welt ist es Mendelssohn-Bartholdys Bühnenmusik Ein Sommernachtstraum, ergänzt von anderen Stücken aus seiner Feder. In der Feenwelt sind es die sphärischen Klänge György Ligetis und bei den Proben im Wald und auf der Hochzeitsfeier bedienen sich die Handwerker traditioneller Drehorgelmusik und einiger Melodien aus Giuseppe Verdis La Traviata. Alles passt. Die klassisch-romantischen Klänge zu den klassisch schönen Tanzschritten der realen Welt, die elektronische Musik zu den akrobatischen und doch oft ätherischen Bewegungen der Feen. Dass in dieser Welt alles schneller läuft zeigt sich daran, dass sich die Liebenden zu Ligetis Klängen nur in Zeitlupe bewegen. Die Orgelmusik passt zu der humorvollen, nein, wirklich amüsanten Art der Handwerker. Ausgerechnet Verdi als Untermalung zu dem eher lustig-dilettantischen Liebesdrama zu nehmen hat etwas augenzwinkernd Ironisches.

Titania, Feen //Alle Fotorechte: Kiran West

Verliebt, verzaubert, begeisternd

Ähnliches Geschick wie bei der Auswahl der Musik zeigt Neumeier einmal mehr auch bei Besetzungsfragen. Matias Oberlin, Borja Bermudez, Nicolas Gläsmann, Elliot Wornel, Mario Huguet, Aleix Martinez und Louis Hasloch als Handwerker begeistern durch technische Versiertheit und Humor. Besonders auch Matias Oberlin als Zettel. Bei ihm passt alles: Tanz, Spiel und die Fähigkeit mit kleinen Gesten viel zu sagen: Im ersten Bild ist seine Begeisterung von Hippolyta, in den Traumsequenzen Feenkönigin Titania, nicht zu übersehen. Bei der Hochzeit dann gibt es einen Moment, in dem ganz deutlich wird: Da erkennen sich zwei aus ihren Träumen.

Herrlich auch Borja Bermudez als Flaut/Thisbe. Wie er, zumindest anfangs, in roten Spitzenschuhen über die Bühne und in die Arme seiner Freunde stolpert, zeigt viel Geschick. Denn kann man nicht nur vortäuschen nicht zu können was man eigentlich beherrscht? Und auch darstellerisch begeistert er einfach nur.

Borja Bermudez (Flout/Thisbe) //Alle Fotorechte: Kiran West

Die beiden bürgerlichen Liebespaare werden getanzt von Xue Lin (Helena) Karen Azatyan (Demetrius) und Madoka Sugai (Hermia) und Jacopo Bellussi (Lysander).
Lin und Azatyan, geben hier das, wenn auch teilweise unfreiwillig, ein manchmal skurriles Paar: Er der steife, Soldat, sie das zuerst völlig unglücklich in ihn verliebte Mauerblümchen. Xue Lin ist die Erste Solistin, über deren Ausstrahlung ich mir kein eindeutiges Bild machen kann. Hier jedoch sprüht sie vor Humor und Mut zur Skurrilität bei gewohnter ausgezeichneter Technik. Karen Azatyan, der am 12./13.4. in der sehr sinnlichen Partie des Liliom zu sehen war, ist als Demetrius nicht nur der korrekte Soldat und berauscht an der Falschen, sondern endlich auch der aufrichtig seine Helena Liebender. Tänzerisch überzeugt er durch präzise Schrittkombinationen, als souveräner Partner und durch kraftvolle Sprünge.

Karen Azatyan, Xue Lin //Alle Fotorechte : Kiran West

Madoka Sugai und Jacopo Bellussi bezauberten als ideales, romantisches Liebespaar. Sie harmonieren einfach wunderbar in Gestik, Mimik, Spiel uns Ausdruck. Man glaubt ihnen Hermias und Lysanders Liebe. auch tänzerisch ergänzen sie sich wunderbar. Madoka Sugais Sprünge sind hoch, ihre Arm weich und auch in allen anderen Bereichen glänzt sie durch natürliche Sicherheit.
Jacopo Bellussi ist weit mehr als der Charmingboy Lysander, er gibt ihm eine gewisse Tiefe und scheint, bereits mehrfach mit internationalen Preisen ausgezeichnet, sich in jeder Hinsicht immer noch weiter zu entwickeln. Auch er begeistert mit hohen Sprüngen, ausgezeichneter Körperbeherrschung und sicheren (Doppel)Drehungen innerhalb einiger Sprünge.

Madoka Sugai, Jacopo Bellussi //Alle Fotorechte: Kiran West

Die absolut beste Körperbeherrschung jedoch zeigt Alessandro Frola als Puck. Seit dieser Spielzeit Solist, bewies er nicht erst in dieser Rolle, wie sehr er diesen Titel verdient hat. Er wirbelt, ob auf dem Boden oder in der Luft, regelrecht über die Bühne und hat den Schalk in jeder Sekunde tief im Nacken. Als Haushofmeister Philostrat in der realen Welt zeigt er weiterhin seine technischen Fähigkeiten, doch der Schalk ist nun einer gewissen höfischen Arroganz gewichen.

Arrogant und überheblich ist im ersten Bild Edvin Revazovs Theseus, seine eroberte, sehr devote Braut interessiert ihn so gut wie gar nicht, seine Liebe erwacht erst am nächsten Morgen, nach jenem Traum. Als Oberon ist er Herrscher von Kopf bis Fuß, rachsüchtig seiner gar nicht devoten Frau Titania gegenüber und am Ende doch gerecht. Diesen Eindruck vervollkommnet er durch seine Bewegungen, seinen Tanz mit denen er Theseus’/Oberons verdeutlicht: Seine Stärke, seine Beherrschung, seine Kraft, seine Wut.

Edvin Revazov, Anna Laudere, Ensemble //Alle Fotorechte: Kiran West

Anna Laudere besticht in der Doppelrolle Hippolyta/Titania auf ganzer Linie: Sie berührt als die sich verzweifelt nach Zuneigung sehnende Braut am Abend vor der Hochzeit, als selbstbewusste Feenkönigin und als sehr verliebte Frau an ihren Hochzeitstag.
Laudere hat tänzerisch etwas sehr ätherisches, schwereloses; alles an ihr ist auf ganz besondere Art und Weise biegsam und ich werde nie müde von ihren außergewöhnlichen Port de bras und Händen zu schreiben.

Auch Revazov/Laudere sind ein sehr harmonisches, aufeinander eingehendes Paar und ihre offensichtliche Verliebtheit hat etwas wahrhaftiges. Und damit meine ich nicht Annas Verliebtheit in Ehemann Edvin sondern ausschließlich Hyppolitas in Theseus.

Edvin Reazov, Anna Laudere. /Puck hier: A Trusch// Alle Fotorechte Kiran West

Fazit: Ein Sommernachtstraum als für einen Aprilnachmmittag nahezu perfekter, unterhaltsamer Traum: Gut musiziert und zum Insichhineinlächeln schön dargeboten.

Birgit Kleinfeld, vorstellungsbesuche 23.4. 2023U(14:30)

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