Opern- und Leben(s)gestalten

Nomen ist nicht immer Omen, oft reicht er nicht allein, da hinter kann noch viel mehr „wohnen“! Kommt! Schaut doch einfach rein!

Eine Braut, ein Edelmann, eine Punkerin, ein Gärtner, ein Mann mit Axt, ein Bassa und… die Liebe

Manchmal liegt tatsächlich eine Art Glück im Unglück. So bei der neuesten Produktion von Mozarts Die Entführung aus dem Serail an der Staatsoper Hamburg, bei der es kurz vor der Premiere am 17.10.2021 einen unerwarteten Regie-Team-Wechsel gab. David Bösch übernahm und zauberte zusammen mit Patrick Bannwart, Falko Herold (Ausstattung, Video) und Bernd Gallasch (Licht) wunderbar berührend Unterhaltsames auf die Bühne, das, wie auch schon seine Manon und sein Don Pasquale, nicht frei ist von subtiler Gesellschaftskritik und das Publikum damals, wie auch bei der Wiederaufnahme am 19.4.2023, durch intelligenten Einfallsreichtum, eine durch und durch wunderbare Besetzung und ein meisterhaft spielendes und von Adam Fischer geleitetes Orchester begeisterte. Wieder zeigte sich, auch ein Publikum, das an Zahl nicht übermäßig groß ist, ist zu großem anhaltenden Jubel bereit.

Die beredte Sprache von Videokunst und Schauspielkunst

Patrick Bannwart und Falko Herold bewiesen hier in Hamburg bereits in Manon, Don Pasquale und der Video-Produktion Die weiße Rose, dass sie zusammen mit David Bösch und versierten Lichtdesignern wie Bernd Gallasch und Michael Bauer ein Dream-Team bilden, das weiß wie es auch jene, die eher auch traditionelle Produktionen mögen, in den Bann zieht. Wie? Durch wunderbare, meist gezeichnete Videos, die in unterhaltsam berührenden Bildern die Vorgeschichte erzählen oder die Emotionen der Protagonisten unterstreichen oder vorausnehmen. Auch blühen unter anderem „Videoblumen“ auf und verwandeln sich dann in Herzen, wenn der Gärtner Pedrillo sie besprüht. Später schreibt Bassa den Namen Konstanze auf eine Wand und es erscheinen viele Schriftzüge mit diesem Namen, die sich dann aber während einer der Arien Belmontes in Konstanze+Belmonte verwandeln. Die wenigen greifbaren Requisiten, Matratzen, ein Sofa, ein Staubsauger und Ähnliches, wie auch die Kostüme sind modern und zeitgemäß ohne orientalische Üppigkeit, und doch kommt eine verzaubernde Stimmung auf.
So geschickt Bannwart und Herold uns mit ihren optischen Einfällen in ihre Welt entführen, so ausgefeilt und nie oberflächlich ist Böschs Personenführung.

Alle Fotos: Jörg Landsberg (2021)

So eröffnet Bassa Selim (Burghart Klaußner) den Abend mit einer gewollt sehr emotionslosen Rede auf die Liebe. Klaußner, bei dem auf der Seite der Staatsoper, die Bühnen auf den er spielte mit „nahezu alle große Schauspielhäuser des deutschsprachigen Raums“ betitelt sind, hat eine Bühnenpräsenz, die in den Bann zieht. Trotz oder gerade wegen seiner sehr beherrscht wirkenden, rezitativen Sprechweise gewinnt Selim an Format. War ich vor zwei Jahren noch nicht ganz überzeugt von Klaußners Leistung, so konnte auch ich mich dieses Mal nicht seiner intensiven Bühnenpräsenz entziehen, besonders wenn er stumm agiert. Sein Bassa bleibt ein Rätsel, lässt Fragen offen. Liebt er Konstanze wirklich? Ist er ein Tyrann? Oder doch jemand, der, ähnlich wie die Derwische, deren nach links ausgerichtetes sich um sich selbst drehen er nachmacht, nach etwas Höherem strebt und der darum am Ende auf Rache und sexuelle Gelüste verzichtet? Zumal er nie wirklich in der Lage ist sich Konstanze oder deren Freunden gewalttätig zu nähern.

Alle Fotos: Jörg Landsberg (2021

Lebensfroh durch Gesang erfreuend: die „Sklaven“

Klarer im Charakter ist sein, wie man so schön sagt, Mann für’s Grobe, der Mann Osmin, gesungen und gespielt von dem jungen Bass Thomas Faulkner. Osmin liebt seine Axt und die Macht, die diese ihm gibt, und er hat ein eher körperliches Interesse an Blonde, der Zofe Konstanzes, die von Bassa Selim auf einem Sklavenmarkt zusammen mit Blondes Liebsten Pedrillo erstanden wurden. Letzteren hasst Osmin besonders, bedroht ihn wann immer er kann. Faulkner spielt dies mit begeisterter und begeisternder Inbrunst. Es ist herrlich wie er seine Muskelkraft spielen lässt und sich dann doch von der zarten Blonde um den Finger wickeln lässt und für sie staubsaugt. Auch stimmlich überzeugt er mit viel Volumen und auch Stimmumfang und einer Leichtigkeit und Beweglichkeit, die noch auf viel hoffen lässt. Mitreißend darstellerisch wie gesanglich besonders sein „Ach wie will ich triumphieren“: Es sprüht vor fast dramatischer Kraft, anders als es ist, wenn, wie früher, ein Buffo-Bass diese Partie singt, doch der Humor geht nicht verloren.

Alle Fotos: Jörg Landsberg (2021

Daniel Kluge ist Osmins Lieblingsopfer Pedrillo. In Opern wie Manon und Lucia di Lammermoor ist er auf die schmierigen Unsympathen abonniert, darf sich aber nun hier von seiner humorvoll verliebten Seite zeigen. Er erfüllt die Rolle des eher unbedarften Dieners im Gegensatz zu seinem grüblerisch ernstem Herrn Belmonte mit viel Spielfreude und Überzeugungskraft. Sein Tenor fällt hier eher in die Kategorie Spieltenor, was gut zu dem quirligen, etwas verplanten Pedrillo passt, der für seine Blonde bereit ist, es auch mit dem Kraftprotz Osmin aufzunehmen. Wenn nicht mit Körperkraft, dann halt mit List. Aber auch stimmlich überzeugt Kluge mühelos, moduliert seine Stimme stets den Emotionen entsprechend. Man hört Liebe ebenso wie Angst, Ironie und Schalk. Zum Schmunzeln und in sich hinein Lachen ist Kluges Interpretation der Romanze: „In Mohrenland gefangen war„, die in Hamburg „Am Nordseestrand gefangen war“ heißt und von einem wunderbaren Cartoon untermalt wird.

Gerade wurde sie mit dem Oberdörffer-Preis ausgezeichnet und beweist sofort, wie sehr sie ihn verdient hat: die süd-koreanische Sopranistin Narea Son als Blonde. Sie gehört zu jenen asiatischen Künstler*innen die mein -ja mein Vorurteil aus der Jugend, dass asiatische Sänger*innen stets technisch perfekt aber darstellerisch eher kühl sind, intensiv und nachhaltig der Lüge. Denn neben ihren Koloraturen, Charme, einer Portion Frechheit in der Stimme zum Beispiel bei: „Durch Zärtlichkeit und Schmeicheln“ oder auch „Welche Wonne, welche Lust“ besitzt Son auch viele wandelbare Ausdruckskraft im Spiel, die in kleinen, geschickt eingesetzten Gesten mehr als deutlich wird. Ihre Diktion ist stets deutlich, so dass es ihr auch gelingt mit dem Tonfall, den Worten zu spielen. Wen wundert es da noch, dass sie nicht nur Osmin und Pedrillo sondern auch das Publikum erfolgreich umgarnt. Doch auch die ernsteren, mitfühlenden Momente Konstanze gegenüber kommen nicht zu kurz.

Alle Fotos: Jörg Landsberg (2021

Leidend durch Gesang verzaubernd: Die Liebenden

Noch länger als den Werdegang von Narea Son, verfolge ich den von Dovlet Nurgeldiyev und bin immer wieder fasziniert von ihrer wie von seiner Weiterentwicklung. Auch Nurgeldiyev gehört zu jenen Künstler*innen, die vollkommen verständlich singen ohne je den Ausdruck zu vernachlässigen. Schon mit seiner Auftrittsarie „Hier soll ich dich denn sehen“ … besticht er mit reiner leicht und sicher geführter Stimme, die uns den Edelmann Belmonte und seine tiefsten Emotionen zeigt. Schon während der Ouvertüre sehen wir den gezeichneten Belmonte, der zur Rettung seiner Liebsten auch Gewitter und Sturm nicht scheut. Nurgeldiyev ist vom ersten Moment an dieser zu allem bereite Liebende. Sein Belmonte ist das genaue Gegenteil von Kluges Pedrillo, dem gegenüber Belmonte ein etwas überheblicher, aber doch verständnisvoller Herr ist. Nurgeldiyev überzeugt in jeder emotionalen Lage seiner Partie und mit jeder Arie, jeder Szene, jedem Duett. Seine Stimme ist wie gemacht für Mozart und doch ist er ebenso ein wunderbarer Lenski in Tschaikowskis Eugen Onegin und ein bezaubernder Nemorino (Liebestrank). Ja, er ist ein durch und durch lyrischer Tenor und doch verändert sich seine Stimme langsam und merklich, macht sich bereit für andere Rollen, andere Komponisten. So gibt er im nächsten Monat seine Debut als Walter von der Vogelweide (Tannhäuser) und wer weiß was noch folgen wird…

Alle Fotos: Jörg Landsberg (2021

Adela Zaharia als Konstanze vervollständigt das wunderbare Sänger-Quintett dieser Aufführungsserie. Sie ist eine sehr ätherische Konstanze, nicht wirklich unnahbar, aber unerreichbar für alle außer Belmonte. Ihre Bewegungen sind ebenso elegant wie die Art/Kunst mit der sie ihren wunderschönen, in allen Lagen strahlenden Sopran führt. Alles an ihr ist edle Leichtigkeit aber gleichzeitig auch Leidenschaft. so singt sie ihr berühmtes „Martern aller Arten“ mit überzeugender Inbrunst. Sie schenkt Bassa Selim mitfühlende wie auch kampflustige Blicke, schwankt nie in ihrer Liebe zu Belmonte und ist bei aller Verzweiflung nie ein zartes Blümchen, sondern, wie erwähnt, eher die unerreichbare „Blaue Blume“ der Poeten. Ihr Sopran ist reich an Farben und vor allem auch Möglichkeiten kurz hintereinander verschiedenste Emotionen auszudrücken, ohne dass es auch nur im Geringsten angestrengt wirkt. Möge sie bald an die Staatsoper Hamburg zurückkehren, sei es erneut als Konstanze oder auch als Violetta (La Traviata, Verdi), Lucia (Lucia di Lammermoor, Donizetti) oder in einer ähnlichen Partie.

Jörg Landsberg (2021)

Mozarts Musik in Vollendung

Superlative sind, obwohl ich meine Begeisterung stets gerne teile, ja nicht so mein Grundrepertoire. Doch: Adam Fischer und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg faszinieren einfach vom ersten Ton an. Bei Fischer ist es auch weder ablenkend noch störend, dass der Graben erhöht ist und man den Dirigenten bis zur Taille sehen kann. Es ist ein Vergnügen, Fischers präzise und sehr lebendig gegebenen Anweisungen zu beobachten, während das Klangergebnis etwas Unbeschreibliches hat. Tempi, Lautstärke und Dynamik klingen perfekt, decken die Sänger keinen Takt lang zu, sondern stützen und leiten sie. Fischer nimmt die Künstler*innen alle ernst, die im Graben wie auch die auf der Bühne. Und vor allem -wieder komme ich um eine Art Superlativ nicht herum- ehrt, ja huldigen Fischer und Musiker dem Genie Wolfgang Amadé.

Schlussapplaus 19.4.2023, Alle Rechte: Elizabeth Reifke

Fazit: Diese Besetzung samt Dirigent, Orchester und Inszenierung sind wie dazu gemacht, den Mozartliebhaber auch in jenen zu erwecken, die ihn zwar schätzen, doch Komponisten wie Massenet, Verdi Puccini und Co. vorziehen.
Und ich weiß, wovon ich rede…

Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 19.04.2023

Links:

https://www.staatsoper-hamburg.de/
https://www.adamfischer.at/
https://www.adelazaharia.com/

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