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Staatsoper Hamburg: Tosca – Im Tod gibt es keine Gewinner oder Verlierer

Besonders bei alten Klassikern der Opernwelt bemühen sich vielen Häuser in unserer schnelllebigen, vom Bewegtbild geprägten Gegenwart um eine moderne und alternative Darstellung. Bei dem ganzen bunten Trubel, den wir daher immer häufiger auf der Bühne sehen, beweist die Hamburgischen Staatsoper mit Robert Carsens klassischer Inszenierung der „Tosca“ aus dem Jahr 2000, dass es manchmal für einen gelungenen Opernabend nicht mehr braucht, als bewegende Musik, ausdrucksstarke Stimmen und spielfreudige Darstellungen einer herausragenden Besetzung.

Alle Fotos Arno Declair/frühere Vorstellungsserie


Naja, vielleicht braucht es auch noch eine gute Geschichte, aber darüber muss man sich bei dieser Oper wirklich keine Sorgen machen. Puccini schafft es in dieser verhältnismäßig kurzen Oper in drei Akten zwischen den Hauptcharakteren der Sängerin Floria Tosca, ihrem Geliebten, dem revolutionären Maler Mario Cavaradossi und dem ruchlosen Polizeichef, Baron Scarpia, eine Bindung aufzubauen, die uns Liebe, Trauer, Verzweiflung und Hass spüren lässt. Und das mit einer Geschichte, die binnen 48 Stunden abläuft.

Im Rom des Jahres 1800 hatte die österreichische Krone das Königreich Neapels von Napoleons Frankreich zurückgewinnen können. Floria Tosca hatte als erfolgreiche und streng katholische Sängerin in dieser Welt ein recht einfaches Leben. Anerkennung, Geld und einen Liebhaber, der sie vergötterte. Man könnte beinahe denken, dass ihre unbegründete Eifersucht nicht mehr war als ein Versuch, sich das Leben mit ein wenig Fantasie spannender zu machen. Ein bisschen Drama für die Diva eben. Diese Gedanken konnten einem zumindest bei der Darstellung von Sopranistin Natalya Romaniw am Abend des 02. Aprils in der Staatsoper Hamburg kommen, die zu Beginn eine überraschend kokette Variante der Tosca zeigte. Unbeschwert beschuldigt sie mit ihren Cavaradossi (Stefan Pop), flirtet, fordert ihn heraus und lässt sich schließlich schnell besänftigen. Es wirkt wie ein Spiel zwischen den beiden, dass sie schon oft gespielt haben und gibt der Beziehung dadurch eine gewisse Glaubwürdigkeit.

Alle Fotos Arno Declair/frühere Vorstellungsserie


Umso herzzerreißender empfindet man als Zuschauer die schnelle und dramatische Wendung der Geschichte. Während wir zuvor über das verliebte Paar und den missbilligenden Sagrestano (David Minseok Kang) schmunzeln, sorgt der Auftritt des Polizeichefs, Baron Scarpia, dargestellt von Erwin Schrott, für einen drastischen Stimmungswechsel.

Schrott ist herausragend. Mit dem ersten Ton zieht der das Publikum in seinen Bann. Am Ende des ersten Aktes ist man sich nicht mehr sicher, ob man ihn hassen oder lieben soll. Seine Stimme, aber vor allem sein Schauspiel beim „Te Deum“ ist so kraftvoll, dass man beinahe vergisst, dass da ein ganzer Chor mit ihm singt. Es fügt sich alles zusammen, ergreifend und bombastisch endet der erste Akt mit der Enthüllung der Madonna.

Natalya Romanyw, Photo credits: Antonia Olmoa


Im zweiten Akt lernen wir Scarpia noch besser kennen – und hassen. Wer aber denkt, dass der Charakter als ultimativer Bösewicht nicht besonders viele Facetten und Interpretationsmöglichkeiten bietet, wird von Schrott eines Besseren belehrt. Wir erleben ausgefeilte und wohlüberlegte Darstellung eines Psychopaten, der eine eindeutige Entwicklung im Laufe des Stückes durchmacht. Zu Beginn sehen wir einen eingebildeten, militärisch strengen und hinterlistigen Polizeichef, der Spaß daran hat, mit Tosca zu spielen. Der Weg ist das Ziel, er will Tosca haben, aber er will sie auch quälen. Wie er selbst singt, liegt ihm nichts daran, eine Frau mit romantischen Worten für sich zu gewinnen. Er will einen Kampf führen und am Ende gewinnen, indem er seine Gegner besiegt, überwältigt und sich einfach nehmen kann, was er will. Ohne Konsequenzen. Das einzige was ihn im Schacht hält, ist seine Position. Um den Schein des angesehenen Gesetzeshüters zu wahren, kann er sich nicht von Anfang an einfach nehmen, was er will. Für manch einen Opern-Fan könnte es daher beinahe etwas befremdlich sein, dass Scarpia während der Verhandlung mit Tosca zunehmend viel trinkt und die Kontrolle über die Lage scheinbar bereitwillig abgibt. Man könnte aber die Vermutung anstellen, dass dies eine Bewusste Entscheidung Schrotts ist.

Vor dem dritten Akt erhält Scarpia die Nachricht, dass Napoleon die Schlacht bei Marengo gewonnen hat. Ab diesem Moment muss Scarpia damit rechnen, dass seine Herrschaft über Rom nicht mehr lange anhalten wird. Was hat er also ab diesem Moment noch zu verlieren?

Erwin Schrott, PhotoCredits: Dario Acosta

Es scheint beinahe so, als wüsste er, dass man ihm alles nehmen könne, also will er sich wenigstens noch das eine nehmen, was er immer wollte – Tosca. Alle Hemmungen fallen von ihm ab, wodurch Scarpia noch unberechenbarer und angsteinflößender wirkt als zuvor. Es lässt es uns umso besser nachvollziehen, warum die strenggläubige Tosca in der Situation entscheidet, eine der sieben Todsünden zu begehen. Eine Entscheidung, die in manch anderer Inszenierung beinahe etwas untypisch für ihren Charakter wirkt, ist hier sehr glaubhaft und nachvollziehbar.


Schrotts Bühnenpräsenz macht es jedoch jedem schwer, der sich mit ihm das Rampenlicht teilen möchte. Dass Natalya Romaniw zumindest stimmlich entspannt mithalten kann, stellte spätestens nach ihrer gefühlvollen Interpretation der Aria „Visi D’Arte“ niemand mehr in Frage. Gänsehautmoment, was auch durch die fantastische Lichtsetzung untermalt wurde. Bei der minimalistischen Einrichtung Scarpias Zimmers gab es kaum Möglichkeit für Schrott die Bühne „frei“ zu machen. Er verschwindet daher einfach im Schatten und das mitten auf der Bühne. Für einen Moment geht es nur um Tosca und ihr Opfer, dass sie für ihren Cavaradossi bereit ist zu bringen.

Natürlich wollen wir bei diesem Lobgesang auf Schrott und Romaniw nicht die Leistung Stefan Pops vergessen. In „E lucevan le stelle“ konnte der Tenor die Bandbreite seiner emotionalen Stimme zeigen. Auch hier blieb sicher kein Auge trocken im Publikum, was auch die vielen „Bravi!“ aus dem Saal untermalten.

Alle Fotos Arno Declair/frühere Vorstellungsserie

Carsens Bühnenbild bietet mit minimalistischer aber strategisch und wohldurchdacht platzierter Kulisse den Sängern angemessenen Raum, um mit ihrer Interpretation der Charaktere im Fokus der Aufmerksamkeit zu stehen und lässt das Publikum gleichzeitig überzeugend in das Rom des Jahres 1800 eintauchen. Puccinis fiktive Liebesgeschichte spielt damit an einem realen geschichtsträchtigen Ort und nutzt unter anderem die berühmte Kirche Sant’Andrea della Valle, deren Säulenfassade im Bühnenbild wiederzuerkennen ist. Neben einem Malergerüst steht im Bühnenbild ein großer Sockel mit zwei tragenden Säulen im Mittelpunkt. Ein schlichtes Bühnenbild, bei dem dafür alles einen Nutzen für die Inszenierung hat und auch entsprechend genutzt wird! Die Säulen sind nicht nur Säulen, sondern helfen Scarpias Erhabenheit zu untermalen, wenn er als einziger aus ihnen hervortritt und weit über dem „Fußvolk“ in der Kirche steht.

Alle Fotos Arno Declair/frühere Vorstellungsserie

Auch der Platz der Hinrichtung auf der Engelsburg ist ebenso trostlos und erdrückend, wie Cavaradossis Situation. Leer, dunkel, trist, beängstigend. Es gibt keine Zukunft und keinen Ausweg. Heraus führt nur der Tod, so auch für Tosca, die sich statt in die Tiefe hier in die Dunkelheit stürzt, während das Publikum plötzlich von grellen Lampen am Rand der Mauer so stark geblendet wird, dass man wegschauen möchte. Vielleicht, um der tiefgläubigen, starken Tosca nach der Mordtat wenigstens die Schande des Selbstmordes zu ersparen.

Es ist ein tragisches Ende, bei dem am Ende, keiner wirklich zu gewinnen scheint. Cavaradossi stirbt für nichts, denn die Krone, gegen die er kämpfte war zu seiner Hinrichtung bereits ohne sein zutun besiegt. Scarpia stirbt in dem Wissen, dass er seine Stellung und sein Ansehen verlor und Tosca verliert am Ende nicht nur ihren Mario, sondern auch ihre Ehre, für die sie bereit war zu töten, um sie zu beschützen.

Celine Leib, Vorstellungsbesuch 2.4.2023

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