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„… dennoch nicht.“ Zumindest die seine nicht: Leon Gurvitch und sein Ensemble gaben am 31.3.2023 im Kleinen Saal der Elbphilharmonie Hamburg ein Konzert mit bekannten Werken des Künstlers und einer Welturaufführung. Silentium ist der Ukraine gewidmet. Das innerhalb von drei Jahren entstandene Werk, so Gurvitch, ist Ausdruck all der Emotionen und Gedanken, die ihn und seine Musiker*innen seit Beginn von Corona Pandemie und Ukraine Krieg bewegen.
Und wirklich war es spürbar, wie gerne sich das Publikum von den ersten melancholischen Klängen des „Openers“ aus Gurvitchs Zyklus Musique Mélancolique bis zu den letzten von Verzweiflung kündenden Takten von „Silentium“ mitnehmen ließ, durch diesen in allen Belangen ausdrucksstarken Vortrag. Jubel und Standing Ovations zeugten am Ende von der großen Begeisterung.

Fotorechte alle Fotos: Henriette Mielke
Warum?
Dieses Warum? bezieht sich natürlich auch auf die unsägliche momentane Weltsituation. Doch an Abenden wie diesen frage ich mich, warum ich bisher kein Konzert von Leon Gurvitch besuchte. Seine Musik sprüht, wie auch seine Vortragsart, vor Emotionen und lässt Bilder vor den Augen der Zuhörer entstehen. Seine drei Stücke aus Musique Melancholique reißen sofort mit, erinnern an Filmmusik aber enthalten auch jazzige Elemente. Und hier komme ich zu einem weiteren Warum? Warum bin ich keine Musikerin, sondern jemand, der sich nur mit Hilfe von Experten(seiten), wahrhaft in der Lage fühlen würde, diese Musik auf einer anderen als der emotionalen Ebene zu beschreiben?
Denn Gurvitchs Werke wimmeln geradezu vor interessanten, wunderbaren Stilmitteln. Bei dem für seine Zuhörer*innen improvisierten Stück Waves (aus der Filmmusik zu Non Citizen) lässt er Akkorde auch mit Hilfe der Pianosaiten erklingen. Seine Ukrainian Rhapsody, die er für den Abend in der Elbphilharmonie für Piano und Violine umschrieb, verlangt von Pianisten und Violinisten eine große Virtuosität, da sie viele musiktechnischen Elemente in sich vereint. Bei Silentium dann benutzen die Streicher nicht selten den Korpus ihrer Instrumente statt nur der Saiten, deren vibrierendes Zittern (Tremolo) in einer für das Ohr fast unangenehmen, dissonanten Tonfolge zum Ende des Stückes hin die Schrecken des Krieges vergegenwärtigt.

Fotorechte alle Fotos: Henriette Mielke
Weil…
Ein befriedigendes Weil für die Kriegs- und Machtbessenheitsfrage zu finden, wird wohl selbst unseren Kindern und Kindeskindern nicht gelingen. Und gut, es war mein erstes Gurvitch Konzert, aber auf keinen Fall mein letztes.
Was meine emotionale Schreibweise betrifft: Es ist halt wie es ist, zumal Musik, egal ober Oper oder instrumental, stets Ausdruck von Emotionen, Gedanken und Gefühlen ist. Hier wortlos aber gespickt mit Botschaften. Botschaften, die sich um Frieden und ein gutes Miteinander drehen. Botschaften ganz persönlicher Art wie das Stück Postscriptum, das Gurvitch schrieb um den Tod eines Onkels, der ihm sehr nahe stand, zu verarbeiten.
Die vollkommen bescheidene Art mit der Gurvitch sagte „Dann schrieb ich dieses Stück in zehn Minuten.“ scheint symptomatisch für ihn. Musik! Musik ist sein Weg anderen etwas von seinem Ich zu zeigen zu kommunizieren, und (sich) so zu fühlen, dass das Publikum es hörend spürt.
Ähnliches, so zeigte sich in diesem Konzert, gilt auch für seine Musiker: Algirdas Šochas, André Böttcher, Olga Mashanskaya und Liza Kablotskaya (Violine) David Aydiyan und Vira Ivanidenko (Viola), Sophia Frantseva und Emilia Lomakova (Violoncello) und Kostiantyn Kruhliak (Kontrabass). Beim ganzen Ensemble, allen voran Leon Gurvitch, der mit ausdrucksvollen Gesten das Spiel aller unterstützte und dirigierte, war spürbar, dass sie mit ihrer ganzen Persönlichkeit – mit Leib und Seele – musizierten.
Die Reaktion der Zuschauer*innen machte deutlich, dass die Botschaft des Titels Remember me, das den ersten Teil des Abends beendete, verinnerlicht werden wird.
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 31.3.2023.
Links:
https://leon-gurvitch.com/
http://sochasviolin.com/
https://www.andreboettcher.com/
https://www.elbphilharmonie.de/de/