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Staatsoper Hamburg – Il Turco in Italia: Ansteckende Fröhlichkeit durch Musik und Spiel

Die Italienischen Opernwochen an der Staatsoper Hamburg bieten vieles, dass das Opernliebhaberherz und auch das derer, die es noch werden wollen, erfreut: Dramatisch melancholische Klänge aus den Federn von Giuseppe Verdi und Giacomo Puccini ebenso wie heiter schwungvolle, mit schwierigen Koloraturen und Parlandopassagen durchzogene Melodien von Gioachino Rossinis Il turco in Italia. Schon am 23. 3., in einer streikbedingten semi-konzertanten Aufführung, gab die Schweizer Sopranistin Regula Mühlemann ihr Haus- und Rollendebüt als Donna Fiorilla. Sicherlich verzauberte und amüsierte sie schon das gesamte, kichernde und jubelnde Publikum. Am 26.3. jedenfalls begeisterte sie zusammen mit Claire Gascoin (Zaida), Erwin Schrott (Selim), Renato Girolami (Don Geronio), Michele Angelini (Don Narciso) und Pietro Spagnoli (Prosdocimo) wirklich alle.

Ho da fare un dramma buffo ..“

„Ich muss ein komisches Stück schreiben und finde keinen Stoff,“ beklagt sich Poet Prosdocimo. Doch dann entdeckt er Zaida, die Wahrsagerin, Don Geronio der bei ihr Rat sucht, dessen Frau Fiorella, die Geronio erst mit Don Narciso, dann mit dem sie anhimmelnden Selim betrügt. Der wiederum ist die verlorene große Liebe von Zaida. Prosdocimo schwebt im siebten Himmel, mischt sich ein und intrigiert mit zynischer Freude. Am Ende hat er sein Stück, Zaida ihren Selim und die reumütige Fiorella ist wieder bei ihrem Gatten. Und der verlassene Narciso?

Alle Fotorechte: Karl Forster 2005

In der Inszenierung von Christof Loy von 2005 und in dem von Herbert Murauer (Bühne & Kostüme) geschaffenen, augenzwinkernd zeitgenössischen Ambiente, keimt der Verdacht auf, dass er nicht lange auf seine Fiorella wird verzichten müssen. Denn er steht am Ende vor dem klischeehaft europäischen Haus seiner Angebeteten, deren Ehemann, ihrer nun sicher, sich lieber dem TV als seiner Frau widmet. Ebenso wie Selim, in eine orientalische Kissenlandschaft gebettet, seine Zaida zugunsten einer Fernsehsendung ignoriert.
Überhaupt sprüht die Produktion von Loy/Murauer vor Ideen, die uns auf witzig ironische Weise und manchmal durch übertriebenes Spiel charakterisierte, aber nicht karikierte, Personen den gesellschaftlichen Spiegel vorhalten. Doch sie enthüllen ohne mit erhobenem Zeigefinger bloßzustellen, und das macht einfach Spaß. Genannt seien nur der kleine Wohnwagen aus dem schier unzählige Mitglieder der großen Familie des Fahrenden Volkes steigen, Fiorellas übervoller Schuhschrank, der ihr Trost bietet, der immer mehr lädierte intrigante Dichter oder die herrliche Ankunft von Selim auf einem fliegendem Teppich statt mit einem Schiff.

Questo vecchio maledetto

Dieser verdammte Alte …“ sagen Fiorilla, Zaida, Narciso und Selim in einem hinreißend-mitreißenden kleinen Quartett/Quintett über Don Geronio, der sich ihnen gesanglich anschließt. Dies ist nur ein kleiner Beweis für all die genialen Ideen vor denen die Musik Gioachino Rossinis sprüht. Ideen, die sicher so manchen Musiker, besonders die Tenöre, zumindest in der Probenzeit, denken lassen: Questo vecchio maledetto,“ wenn auch sicher voller Bewunderung und letztendlich mit hörbarer Freude bei gelungener Umsetzung.

Giacomo Sagripanti und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg inklusive der besonders zu Beginn sehr geforderten Hornisten, gelang es von Anfang an, das Publikum hinzuziehen in den lebhaften, vielseitigen Esprit von Rossinis Klangwelt. Schon bei der Ouvertüre möchte manch innerlich kindlicher Musikliebhaber mittanzen oder auch die Parlandopassagen versuchen mitzusingen, um später in der romantischen Leidenschaft der Tenorszenen oder der Melancholie Fiorellas zu schwelgen. Aber auch Claire Gascoins quirlig überdrehte und liebeskranke Zaida zieht mit schönem Mezzo und gekonntem Tanz in ihren Bann.

Alle Fotorechte: Karl Forster 2005

Michele Angelini ist ein Narciso, der der Übersetzung seines Namens alle Ehre macht. Er ist der narzisstische Italo Lover par Excellence. Sicher ist dies von Loy gewollt, der es ja liebt hier mit Klischees zu spielen, ebenso wie es Rossini offensichtlich genoss, seine Tenöre mit komplizierten Koloraturen, Lagenwechseln und Höhen zu „quälen“, die zum Strahlen zu bringen, viel Arbeit und Geschick verlangen und die Fähigkeit, während des Singens jegliche Selbstzweifel auszuschalten, um eine selbst erfüllende Prophezeiung zu vermeiden. Denn wer kennt es nicht? Zumeist ist es der Kopf, der uns hindert. Angelini besitzt eine ungewöhnliche Tenorstimme, lyrisch und doch recht metallen. Eine Stimme, die angenehm in den Mittellagen ist und dort auch über einen gewissen Schmelz verfügt, deren Höhen und Koloraturen aber oft nicht kraftvoll strahlend, sondern eher auf Kraft gesungen und etwas angestrengt klingen. Aber alles in allem überzeugte er nicht nur durch sein Spiel.

Die tieferliegenden Männerstimmen versieht Rossini besonders gern mit schnellen Parlandopassagen und gibt ihnen leicht zwielichtige, kauzige Charaktere. Erwin Schrott, Pietro Spagnoli und Renato Girolami erfüllen jeder auf seine Weise diese Anforderungen stimmschön mit viel Spielfreude, Humor und immer einem Schuss (Selbst-)Ironie.

Pietro Spagnoli überzeugt als nervig entschlossener Dichter, den keine noch so große Verletzung aufhalten kann, seinem Ziel, dem „Dramma buffo“ näherzukommen. Seine darstellerische Energie und sein warmer Bass mit baritonalen Höhen geben Prosdocimo ein ganz besonderes Format.

Roberto Girolami, vor achtzehn Jahren noch der alternde Macho, wirkt nun als Don Geronio eher wie ein Mann, der seine jüngere und, dank Regula Mühlemann, wirklich äußerst attraktive Frau auf jeden Fall behalten will, weiß er dann am Ende auch nicht wirklich etwas mit ihr anzufangen. Sein Bariton hat Buffo- Potential und verfügt gleichzeitig über viel Volumen und Kraft.

Als Dritter im Bunde der agilen, nicht mehr ganz so jungen Herren und Titelheld zeigt auch Erwin Schrott viel Sinn für Humor. Stimmlich jedoch fehlte mir der Ausdruck ein wenig, den er mühelos in sein Spiel legte. Ich hätte mir etwas mehr Modulation und auch Volumen gewünscht, bin aber sehr gespannt auf seinen Baron Scarpia in Giacomo Puccinis Tosca (30.03., 02.4.) und noch mehr auf die vierfach-Rolle Lindorf / Coppélius / Dr. Miracle / Dapertutto in Jacques Offenbachs Les Contes d’Hoffmann (29.05. und 4., 7., 10.6.).

Regula Mühlemann
Ale Fotorechte: Maurice Hass

Son la vite sul campo appassita

„Ich bin der Weinstock, der auf dem Felde verwelkt,“ singt Fiorella nach ihrer großen Szene im zweiten Akt, in der sie ihre Flatterhaftigkeit bereut. Auch für Fiorella schrieb Rossini atemberaubende Koloraturen, nicht nur in dieser Szene. Mühlemann beherrscht diese Kunst mit federleichter Perfektion, die fern davon ist stereotyp zu wirken. Sie ist, wie schon Elena Tsallagova im Februar, ein optisch ganz anderer Typ Fiorella als Inga Kalna 2005. Diese hat fast mütterlich weibliche Rundungen, Tsagallaova und Mühlemann verkörpern den heutigen optischen Typ einer Traumfrau. Was Mühlemann so besonders macht, ist ihre absolute Natürlichkeit im Spiel zusammen mit diesem so wunderschönen Sopran, den sie nicht nur in den Höhen sicher führt, sondern mit dem sie mit Leichtigkeit Emotionen malt. Manchmal verzichtet sie sogar zugunsten des Ausdrucks auch auf einen perfekten Ton, eine Sängerdarstellerin eben. Schade, dass sie
-bisher?- nicht für weitere Partien engagiert ist.

Fazit: Das Publikum „welkte“ an diesem unterhaltsamen Nachmittag ganz und gar nicht dahin. Im Gegenteil, es blühte auf, amüsierte sich köstlich und dankte die Leistungen mit freudig gegebenem Applaus.

Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch: 26.3.2023

Links:
https://www.staatsoper-hamburg.de/
https://giacomosagripanti.com/
https://erwinschrott.com/
https://regulamuehlemann.com/
http://www.renatogirolami.com/
https://www.pietrospagnoli.net/
http://clairegascoin.com/




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