Titelfoto: Il Tabarro: Roberto Frontali (Michele) Elena Guseva (Giorgetta ) / sämtliche Photo Credits : Brinkhoff-Mögenburg
„Ja, der erste Teil ist lang. Und die Videos sind irgendwie … naja ich kann mir gut vorstellen, dass es solche Situationen und Bemerkungen wirklich gibt. Ja, sie haben etwas realitätsbezogenes. Mir gefällt’s richtig gut!“ Auch diese Worte fielen in der Premiere von Giacomo Puccinis Il Trittico an der Staatsoper Hamburg, allerdings während einer Pausen-Unterhaltung. Ja, die Meinung über die einfallsreiche, ungewöhnliche Produktion von Regisseur Axel Ranisch und seinem Team, war -wie bei Premieren in Hamburg gang und gäbe- zwiegespalten. Einhelligkeit herrschte jedoch bei der Begeisterung über die Leistungen des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg unter der Leitung von Giampaolo Bisanti und aller Sänger auf der Bühne, allen voran Elena Guseva und Roberto Frontali.

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Nun sollte Kunst nie versuchen beliebt sein zu wollen
„.. das Publikum sollte versuchen selbst künstlerisch zu werden.“ (Oscar Wilde). Natürlich will ein Künstler, egal in welchem Genre, nicht nur etwas aussagen sondern hofft sicher stets, damit auch erfolgreich zu sein, so wie Giacomo Puccini mit seiner Idee drei inhaltlich voneinander unabhängige Stücke zusammen aufzuführen: Ein tragisches (Il Tabarro), ein lyrisches (Sour Angelica) und ein komisches (Gianni Schicchi). Werden die Stücke heutzutage auch nur noch selten als Zyklus aufgeführt, wurden sie doch bei der Uraufführung an der Metropolitan Opera (14.12.1918) und auch bei der italienischen Erstaufführung am römischen Teatro Constanzi (11.01.1919) mehr als wohlwollend aufgenommen.
Erwies sich das Publikum damit nicht als bereit “ künstlerisch“ zu werden/zu denken? Denn Puccinis Idee war ja in ihrer Art schon etwas Besonderes, zumal sie schon in gewisser Weise dem Verismo (auch wenn Gianni Schicchi auf Verse von Dante Aligieri zurückgeht) zugeordnet werden können, da sie von Personen und Schicksalen handelt, die es damals wie heute gab, gibt und wohl irgendwie immer geben wird.

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Selbstredend wurde Gianni Schicchi schnell zum beliebtesten Stück, sicher besonders aufgrund der witzigen, turbulenten Geschichte um eine Familie von Erbschleichern, die ein Schlitzohr engagiert um ein Testament zu fälschen und von diesem dann nach allen Regeln der Kunst über den Tisch gezogen wird. Als letztes Stück aufgeführt, hat es daneben eine erleichternde Wirkung, wie zum Beispiel der Pförtner in William Shakepeares Drama Macbeth. Denn Il Tabarro ist ein Drama in dem es um Eifersucht, ehelichen Betrug und Mord geht. Sour Angelica ist eine junge Adelige, die, da sie ein uneheliches Kind gebar, ins Kloster geschickt wurde und die ihre Todessehnsucht in die Tat umsetzt, als sie erfährt dass ihr Sohn gestorben ist.
Axel Ranisch und sein Team haben die Reihenfolge geändert und dem Abend auch eine einfühlsame, logische Rahmengeschichte gegeben. Nicht nur mit dieser Idee und ihrer Umsetzung sondern auch durch seine sensible Personenführung, die sich nicht ausschließlich aber besonders in der Entwicklung seiner Hauptfigur widerspiegelt, beweist Ranisch, dass Erfahrungen beim Film sich auch auf eine Opernbühne positiv auswirken können

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Die Bühne ist nicht allein der Treffpunkt aller Künste, doch ...
Per Audioaufnahme begrüßt er zu Beginn das Publikum und erklärt, dass er mit dieser Arbeit, der bekannten (fiktiven) Film-Schauspielerin Chiara de Tanti ein Denkmal setzen möchte, indem er ihren Weg an den drei wichtigsten Stationen ihrer Karriere nachzeichnet: in Gianni Schicchi, lernt sie, noch Komparsin, den Star Silvio Bonta kennen und lieben, Il Tabarro spiegelt den Neid und die Eifersucht des wesentlich älteren Silvio Bonta auf den Erfolg seiner Frau wieder und in Suor Angelica zerbricht sie an der Parallele, dass auch sie, wie Angelica, einen Sohn verloren hat.
Daneben bedient Ranisch sich vor jedem Stück einiger Videos, bei denen sich Schwester, Kollegen, Regisseure, ihr Stiefsohn und ihre Agentin per Video zu der kürzlich Verstorbenen äußern. Dargestellt werden diese unter anderem von Devid Stresow, Gustav Peter Wöhler. Tim Oliver Schulz und Tom Tyckwer und die wirklich hinreißend glaubwürdige Katharina Hoffmann als Chiaras Agentin Viola Wolf.
Ja, die Videoeinspielungen, besonders jene zwischen Gianni Schicchi und Il Tabarro und damit vor der Pause, nehmen eine gewisse Zeit in Anspruch. Doch sie unterstützen und erklären und verschmelzen das Leben der Rahmenfigur Chiara und ihrer Filmrollen auf geschickte Weise. So sorgen sie dafür, dass wir die Kunstfigur Chiara besser verstehen und auch die Rollen die sie spielt gewinnen an einer gewissen Tiefe. Ganz wie es in dem Zitat von Oscar Wilde weitergeht: „… sie bringt auch die Kunst zurück ins Leben.“

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Das Normale gibt der Welt Bestand, das Ungewöhnliche Wert
Mit Hilfe dieser Videos und der Bühnenbilder, beides von Falko Herold und Michael Bauers Lichtregie. ist eine außergewöhnliche Art Musiktheater entstanden, anderes ist Oper ja, zumindest heutzutage, nicht.
Gianni Schicchi führt uns in die Welt der drittklassigen Sitcoms, in ein völlig überladenes (Studio)Wohnzimmer auf der unteren und Künstlergarderoben auf der oberen Ebene. Die herrlich überzogen dargestellten Personen kleidete Alfred Mayerhofer in zeitgenössische Kostüme, stattete sie aber mit übergroßen Handtaschen aus. die die Habgier gut unterstreichen. Herold beweist ein Mal mehr seine Vielseitigkeit, denn in Il Tabarro gelang ihm eine karge aber doch eindrucksvolle Hafenatmosphäre. Das Warten auf das Ende dieses aufwändigen Umbaus und die Darsteller, die sich fast alle nun auch in der Kleidung dem neunen Stück anpassen müssen, war wesentlich angenehmer als in früheren Zeiten. Denn durch die Videosequenz bekam es einen sinnvollen, interessanten, innovativen Rahmen.
Auch die trügerisch idyllische Atmosphäre der Dreharbeiten der Geschichte von Suor Angelica setzten Herold und Mayerhofer visuell gut um. Ein, ja, Bruch entsteht, wenn die Spielfläche sich plötzlich nur auf die vordere Fläche beschränkt und wir uns nun zusammen mit Chiara/Angelica und ihrer adligen Tante vor dem Studio befinden und schließlich dann die ganze Tiefe der Bühne erblicken, die gespickt ist mit vielen Kreuzen und einem Bett. Raum wenig effektiv zu nutzen ist eine Stärke, die Herold schon in Die Einführung aus dem Serail und Manon bewies. Aber auch kleine visuelle Seitenhiebe setzt Herold zusammen mit Axel Ranisch: So taucht der Goldesel aus Gianni Schicchi auch in Suor Angelica wieder auf. Eine Anspielung auf die Geldgier der Kirche da das Stück ja ursprünglich im Kloster spielt. Oder vielleicht doch eher auf den Erfolg und Umsatz, den man (die fiktiven Filmproduzenten) sich von dem Auftritt der inzwischen weltberühmten und leidenden Chiara de Tanti verspricht?

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Musik: die Kunst, die Tränen und Erinnerungen am nächsten ist
Schon, bevor die ersten spöttisch anmutenden aus dem Orchestergraben erklingen, gibt es einen Grund für erste Tränen. Allerdings, sind es eher Lachtränen ob des absurden aber höchst amüsanten Video- Eröffnungstrailers mit den etwas verfremdeten Tönen von Oh, mio babbino caro. Erste wahre Rührung stellt ein wenn Narea Son diese Arie mit viel Hingabe und klaren, federleicht zarten Tönen singt und gleichzeitig Schalk im Spiel zeigt. Überhaupt überzeugt neben ihrem reinen Sopran ihre Wandlungsfähigkeit im Spiel an einem Abend: Als Lauretta (Gianni Schicchi) ist sie keck, als junge Liebende (Il Tabarro) leidenschaftlich und als Suor Genovieffra verspielt. Ähnliches gilt auch für Oleksiy Palchykov, der als Laurettas Liebhaber Rinuccio (Gianni Schicchi) und als junger Liebender (Il Tabarro) mit kraftvollen sichergeführten Höhen und zarten Piani ebenso besticht wie auch mit Witz und Leidenschaft.

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Seine beiden Tenorkollegen Najmiddin Mavlyanov und Florian Panzieri empfahlen sich in Il Tabbaro als Luigi bzw. als Un Venditore di Canzonette für weitere Auftritte (Mavlyanov) oder größere Partien (Opernstudiomitglied Panzieri).
Doch die Leistungen sämtlicher Beteiligter auf der Bühne überzeugten und begeisterten auf allen Ebenen. Mit wem nun weitermachen, ohne dass aus einer „Novelle“ ein „Roman“ wird? Eine Frage, vor der ich zwar schon oft gestanden habe aber noch nie so extrem. Viele spielten in allen drei Stücken mit, mal als zur Geschichte gehörende Person, mal im Hintergrund die Verbindung zwischen den drei Opern und der Rahmengeschichte nicht zu unterbrechen. Zum Beispiel Ks. Jürgen Sacher und Tigran Martirossian, die als gierige Erbschleicher (Gianni Schicchi) oder als hoffnungsloser Säufer (Sacher, Il Tabarro) oder liebevoll grantiger Hafenarbeiter (Martirossian, Il Tabarro) zeigen, dass sie stets verlässlich und bühnenpräsent sind und auch die kleinen Gesten beherrschen. Auch Hellen Kwon (Gianni Schicchi, Suor Angelica), einstmals gefeierte Königin der Nacht in Mozarts Die Zauberflöte, weiß sich mit Leichtigkeit stimmlich wie darstellerisch positiv in Szene zu setzen. Und auch Katja Pieweck (alle drei Stücke) überzeugt und aus den Zweifeln ob ihres Debüts als Eboli in Verdis Don Carlos (23.,28.11.23) wurde gespannte Neugier.

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Musik: Die perfekte Kunst, sie verrät nie ihr letztes Geheimnis
Giampaolo Bisanti und dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg gelang es jedoch ohne Mühe, Puccinis Melodien so manches Geheimnis, manche Erinnerung an andere Puccini Werke und vielleicht sogar die eine oder andere Träne zu entlocken. Mitreißende, dramatische aber auch lyrisch sehnsuchtsvolle Musik verband sich mit den Geschichten, der szenischen Umsetzungen und vor allen ihren Leistungen zu einem klangschönen, bewegenden Abend: Elena Guseva und Roberto Frontali verkörperten authentisch die beiden Figuren der Rahmenhandlung Chiara de Tanti und Silvio Bonta, wie auch deren Partien in den jeweiligen Opern/Filmen.
Frontali ist in der Nebenhandlung von Gianni Schicchi, die auf der oberen Ebene spielt und das Kennenlernen von Chiara und Silvio darstellt, ganz der galante Star, der von der Verehrung der jungen Chiara mehr als angetan ist. Und auch als eifersüchtig mordender Michele in Il Tabarro gelingt es ihm in jeder Minute zu zeigen, dass er auch Silvio ist. Aber auch Giannis Schalk sitzt Frontali gekonnt und mühelos im Nacken. Sein Bariton ist wie geschaffen für Puccinis Schmelz und Dramatik , versprüht Humor und Ironie ebenso wie Leidenschaft, Verzweiflung und Wut. Möge er in kommenden Spielzeiten noch für andere Partien gewonnen werden. Ich denke da an Verdis Macbeth oder Posa oder vielleicht sogar Puccinis Jack Rance (La Fanciulla del West).

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Bewahre die Liebe in Deinem Herzen. Ohne sie ist das Leben…
„… wie ein Garten ohne Sonne, aus dem die Blumen verschwunden sind.“ (Oscar Wilde). Elena Gusevas Chiara, aber auch ihre Giorgetta und ihre Suor Angelica scheinen diese Worte verinnerlicht zu haben: Chiara blüht auf an der Seite des großen Stars, zerbricht dann aber ob dessen Eifersucht und endgültig dann am Verlust des Sohnes. Guseva entzückt und bewegt, scheint Chiara zu sein: so stark wie auch zerbrechlich. ausdrucksstark und wunderschön auch ihr Sopran. Mit glockenklaren Tönen in allen Lagen, mit ihrer Fähigkeit, Emotionen mit Stimme und Spiel darzustellen be- und verzaubert sie das Publikum. Bravissima!
Erklärung statt Fazit: Warum jede Überschrift ein Zitat von/nach Oscar Wilde ist? Weil mir während der Zwischenrufe dies einfiel: „Die Öffentlichkeit ist wunderbar tolerant, Sie verzeiht alles außer …“ Weiter geht es dann mit „Genie“, doch mir reicht Phantasie, Innovation, Einfallsreichtum. Tja, und wenn sich eine Idee festsetzt, warum sie nicht umsetzen und noch weitere weise Worte „meines Helden“ verwenden? So wie diese: „Es ist der Betrachter, nicht das Leben, den die Kunst widerspiegelt.“
Ach und noch was -mit leichtem Augenzwinkern, aber dennoch: „Der Kritiker muss das Publikum erziehen; der Künstler muss den Kritiker erziehen.“ (O. Wilde)
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 15.3.23