Titelfoto: Dovlet Nurgeldiyev, Alexey Bogdanchikov, Janina Baechle /Fotorechte: Hans Jörg Michel
Der zynisch arrogante Lebemann Eugen Onegin tut das Liebesgeständnis der jungen Gutsbesitzerstocher Tatjana als Mädchenschwärmerei ab. Da er sich auf dem Land, wo sie Zuhause ist, langweilt, flirtet er mit Olga, Tatjanas Schwester und der Verlobten seines guten Freundes Lenski, der sich dann in einem Duell bewusst von Onegin töten lässt. Jahre später dann, nach langen Reisen durch die Welt um die Schuld an Lenskis Tod zu vergessen, kehrt er nach St. Petersburg zurück. Hier erkennt er auf einem Fest seines Freundes Fürst Gremin Tatjana in dessen eleganter Ehefrau wieder. Nun ist er es, der liebt und zurückgewiesen wird, da Tatjana reif genug ist um zu wissen, dass, unabhängig von ihren eigenen Gefühlen, die Vergangenheit sich nicht wiederbeleben lässt. So wird schließlich aus dem gönnerhaften Dandy, ein sich selbst völlig demütigender Liebender, der am eigenen Leibe erfährt, was er Tatjana antat: „Verschmäht, verstoßen! O welch hartes Los!„

Fotorechte: Hans Jörg Michel
So ungefähr der Inhalt von Peter Tschaikowskis Oper Eugen Onegin aus dem Jahr 1878, die am 22.2.2023 an der Staatsoper Hamburg die dritte Aufführung dieser Serie erlebte, die zu Recht so umjubelt wurde, dass es nicht ins Gewicht fällt, wie mäßig besucht die Vorstellung leider war. Alexey Bogdanchikov (Onegin), Ruzan Mantashyan (Tatjana), Dovlet Nurgeldiyev (Lenski), Marta Świderska (Olga), Alexander Tsymbalyuk (Gremin) und alle anderen haben aber auch jedes „Bravo“ wohl verdient. Besonders aber auch Maestra Lidiya Yankovskaya deren Interpretation ebenso spannungsreich und akzentuiert klang, wie auch in sich vollkommen harmonisch.

Fotorechte: Hans Jörg Michel
Es ist eine alte Geschichte, doch …
Vor fast exakt 44 Jahren, am 11.2.1979, feierte Adolf Dresens Inszenierung hier an der Staatsoper Hamburg Premiere. Diese Produktion besticht auch heute noch durch die gute Personenführung von Dresen, eine intelligente Lichtregie, die Bühnenbilder von Karl-Ernst Herrmann und die Kostüme von Margit Bárdy. So wie sich die Figuren, besonders Tatjana aber auch Onegin, selbst entwickeln, stecken auch in den (Bühnen)Bildern, den verwendeten Kostümen und der aussagekräftigen Beleuchtung eine tiefere Bedeutung. Einfachheit in Kleidung und Handlungen, eine gewisse Leichtigkeit und Weite, beherrschen die ersten drei Bilder. Es gibt ausschließlich „natürliches“ Licht, das sich mit den Tageszeiten im Stück ändert und z.B. nach der Briefszene, wenn Tatjana im ersten Sonnenlicht vor ihrem Spiegel hockt, sie wie einen Scherenschnitt wirken lässt.

Fotorechte: Hans Jörg Michel
Auf dem Fest zu Tatjanas Namenstag dann drängen sich gutbürgerlich gekleidet, exaltierte Menschen in einer Art gutbürgerlichen, überfüllten Diele. Nach seinem Bruch mit Lenski stürzt Onegin hinaus in die Dunkelheit und den fallenden Schnee, der zwar viel verhüllen aber nichts ändern kann. Das Duell findet auf leerer, dunkler aber umnebelter Bühne statt, was die Aussichtlosigkeit und Verzweiflung der Situation noch verstärkt. Auf dem Fest der Gremins tauchen Kronleuchter alles in strahlendes, künstliches Licht, Onegin wird bei seinem Eintritt bereits von der illustren, edel gekleideten Gesellschaft fast umgerannt, die sich mit der berühmten Polonaise selbst feiert. Am Ende liegt ein Lüster auf dem Boden, Stühle sind umgeworfen oder mit Tüchern abgedeckt: Ein Ende, ein Abschluss ist vorbereitet, kündigt sich unabwendbar an.

.., bleibt sie immer neu
Ja, Tempo fugit, alles ändert sich und doch bleiben Verhaltensmuster erhalten, finden sich Liebe, Unüberlegtheit aber auch Vernunft in jeder Gesellschaftsschicht, jedem Alter wieder. Und ebenso ist es mit Tschaikowskis musikalischen Themen. Seine Verwendung von Leitthemen hat zwar nicht die Komplexität von Richard Wagner, doch auch er führt uns auf genial geschickte Weise vor Augen, dass ein und dasselbe Thema, im Original oder leicht variiert, für ähnliche Emotionen unterschiedlicher Personen stehen kann.
Nur einige Beispiele: Das Thema, das erklingt, wenn Tatjana und ihre Amme (Janina Baechle) über die Liebe philosophieren, ist jenes, das unter anderem auch in Gremins Arie Lubvi vse vozrasti pokorni (Ein jeder kennt die Lieb …) auftaucht. Die Melodie mit der sich Onegin und Lenski vor ihrem Duell von ihrer Freundschaft verabschieden, ist dieselbe mit der später Tatjana und Onegin feststellen, dass sich die Vergangenheit nicht zurückholen lässt. Die schnellen Läufe der Streicher, die für Hochspannung vor dem Schuss im Duell zu hören sind, begleiten im letzten Bild den Auftritt, der von Onegins Schreiben aufgelösten Tatjana. Und mit derselben leidenschaftlichen musikalischen Untermalung, die Tatjanas Briefszene eröffnet, er- und bekennt Onegin im Finale des vorletzten Bildes seine Liebe zur erwachsenen, reifen Tatjana.

Fort Worth Symphony Orchestra
Photo by Karen Almond
Lidiya Yankovskaya und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg ermöglichten zusammen mit allen Sängern ein in allen Bereichen besonderen Abend. Dies hier ist einer der Momente, an denen ich bereue keine Musikerin zu sein, denn dann könnte ich fachlich und detaillierter als bereits im zweiten Absatz dieses Berichts beschreiben, was denn so besonders an Yankovskaya ist. So bleibt mir nur flapsig aber vollkommen ehrlich zu sagen: „Ist halt so!“
Wie immer war Katja Piewecks eine mütterliche Larina und auch Janina Baechles Filipjewna vermittelt in Persona und stimmlich liebevolle Wärme. Peter Galliard zelebriert, ebenfalls wie stets, seinen kurzen Auftritt als Monsieur Triquet mit viel Humor,Hubert Kowalczyk verleiht seinem Hauptmann Eleganz, Han Kim Saretzki ,Adjudanten von Lenski) eine gewisse Ernsthaftigkeit. Alexander Tsymbalyuk bietet Gremins Arie mit wohltönendem, vollem Bass, wofür mit viel Beifall danach und auch beim Schlussapplaus belohnt wurde

Fotorechte: Hans Jörg Michel
Und wem sie just passieret, dem bricht das Herz entzwei
In den letzten Aufführungsserien sang sie noch die Partie der Amme, nun erfreut die junge polnische Mezzosopranistin Marta Świderska in der Rolle der in Lenski verliebten Olga, ihre jugendliche Frische und Natürlichkeit, ihre Unbeschwertheit, die letztlich in Traurigkeit umschlägt, überzeugt und begeistert ebenso wie ihre ungewöhnliche Stimme, die wahre Altqualitäten aufweist, die sie aber auch in den hohen Lagen mühelos und klangschön führt. Wie schön, dass sie bald als Maddalena in Giuseppes Verdis Rigoletto eine weitere, andere Seite ihres Können zeigen kann. (17., 22., 25.3.2023)
Er ist seit Jahren schon einer der beliebtesten Sänger im Ensemble der Staatsoper Hamburg: Dovlet Nurgeldiyev, zu dessen Paraderollen fraglos der Lenski gehört. Nurgeldiyev berührt als schüchtern liebender, verträumter und sich am Ende selbst aufgebender Dichter tief, sein Spiel hat noch an Intensität gewonnen, so wie sein heller ausdrucksstarker Tenor an Fülle. Die zarten Töne liegen ihm ebenso wie die leidenschaftlichen. Er ist in den hohen Lagen ebenso sicher wie in allen anderen und sein Kuda, Kuda (Wohin, Wohin) geht jedes Mal ebenso unter die Haut wie Lenskis letzte Szene, in der dieser seine Brille im Gehen abnimmt und offenen Auges, in Onegins Schuss läuft, den dieser abgibt ohne hinzusehen.

Fotorechte: Hans Jörg Michel
Ruzan Mantashyan ist eine wahrhaft hinreißende Tatjana, ernst und verträumt zu Beginn. leidenschaftlich und sich ihrer Gefühle vollkommen sicher in der Briefszene, verletzt und zerbrechlich im Kirschgarten bei Onegins Abfuhr und am Ende in sich zerrissen, leidend aber fest entschlossen. Passend zu ihrem Spiel ist auch ihr Sopran wunderbar wandelbar, sie malt, wie ich es immer wieder gerne nenne, jede Emotion mit ihren Tönen, in denen viel mühelos gegebene Kraft steckt aber auch Sanftheit. Sie scheint in jeder Beziehung die Idealbesetzung für diese Partie, da alles echt und authentisch und in den Gefühlsausbrüchen nie aufgesetzt wirkt.
Wie erwähnt, zieht Onegin Zynismus und Arroganz der Sanftheit vor, sagt von sich selbst, er hätte eine schwarze Seele. All dies verkörpert Alexey Bogdanchikov auf eine so wunderbar unsympathische Art und Weise, dass es schwerfällt ihn aus dem Zuschauer heraus nicht zurechtzuweisen. Lässig tut er es ab als Tatjana seine Jacke nicht annehmen will, die er ihr kurz nach seiner Abfuhr anbietet. Doch mit einer ebensolchen Spielintensivität zeigt er auch den tiefen Fall des einstmals Überheblichen. Er kniet nicht nur um Verständnis bittend vor Tatjana sondern demütigt sich völlig indem er sich mit Vehemenz ihr zu Füßen wirft.
Auch stimmlich überzeugt er vollkommen, weiß zu modellieren, ist sicher in den Höhen und das Finale mit ihm als Onegin und Ruzan Mantashyan als Tatjana war zum Atemanhalten spannend und musikalisch/ gesanglich schön.
Fazit: Alle Sänger durfte ich bereits zuvor schon in ihren Rollen erleben, was mich an ihnen, abgesehen von oben genannten, so gefällt ist, dass es ihnen immer wieder gelingt, stimmlich wie darstellerisch andere kleine Akzente zu setzen: Lebendigkeit des Theaters, die zu umjubeln man nie müde wird!
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 22.3.2023
Link:
https://www.staatsoper-hamburg.de/
https://lidiyayankovskaya.com/
https://www.alexeybogdanchikov.com/
https://www.mantashyanruzan.com/
http://www.janinabaechle.com/
*Überschriften: letzte Strophe von „Ein Jüngling liebte ein Mädchen“ (Heine)