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Staatsoper Hamburg -La Bohème: „Soli, l’inverno è cosa da morire“*

Der Januar ist der Monat den ich am wenigsten mag. Es ist kalt, oft dunkel und die finanziellen Ressourcen sind nach den Weihnachtsexzessen und den Versicherungsrechnungen knapp. Man ist voller Sehnsucht nach Wärme und dem Frühling. Zum Glück stand im Januar mit La Bohème ein echtes Highlight auf dem Spielplan der Staatsoper Hamburg. Es gab also nach dem Jahreswechsel einen Event auf den man sich freuen konnte.

Opern Snobs, also Menschen die alles wissen, alles schon mal besser gesehen haben und alles und jeden gerne beurteilen und vergleichen, mögen ob der Popularität der Bohème gerne die ihre Nase rümpfen und sie hätten für die Figuren in der Bohème im wirklich Leben wohl nur Verachtung übrig, aber es gibt nur ganz wenige Opern die so eine Sogwirkung auf das Publikum ausüben wie Giacomo Puccinis vierte Oper. So war auch die Aufführung am Sonntag Nachmittag außerordentlich gut besucht und der Applaus lang und euphorisch. 

Elbenita Kajtazi
Photo Credits: Staatsoper Hamburg

Nachmittags in die Oper zu gehen fühlt sich immer komisch an. Die Hamburger Innenstadt ist meist menschenleer und man betritt das Foyer der Staatsoper bei Tageslicht. Das Publikum ist nicht ganz so fein rausgeputzt wie bei einer Abendvorstellung. Man sieht weniger Kleider und Jacketts, sondern mehr Pullover und bequeme Kleidung. An den Bartischen auf denen sonst Weingläser stehen, wird schnell noch ein Kaffee zu sich genommen, damit einem nicht der Biorhythmus einen Streich spielt und man bei der Vorstellung für ein paar Takte kurz wegnickt. Und doch ist alles wie immer, wenn die erste Klingel ertönt begibt man sich auf seinen Platz, stellt sein Handy auf Flugmodus. Es folgt eine kurze Durchsage, dass Hubert Kowalczyk (Colline) ein paar Tagen erkältet ist, aber trotzdem heute singen will. Wie so häufig bei solchen Ankündigungen, hat man den Eindruck, dass dieser Umstand für noch mehr Energie und Konzentration bei den Betroffenen sorgt.

Photo Credits: Hans Jörg Michel (frühere Aufführungsserie)

Dann geht das Licht aus und man gibt sich der Magie der Musik hin.

Unter der Leitung von Paolo Arivabeni spielt das Philharmonische Staatsorchester Hamburg vom ersten Ton an wie aus einem Guss. Die Bohème ist eine durchkomponierte Oper, deshalb ist eine gute Kommunikation zwischen dem Orchestergraben und der Bühne für eine gelungene Aufführung essentiell wichtig. Man merkt heute sofort das dies vorzüglich gelingt, die Tempi sind moderat und die Instrumente und der Gesang haben eine wunderbare Balance. Alles fließt mühelos vom ersten Takt an.

Guy Joostens Inszenierung von 2006 ist auch in der 83. Vorstellung immer noch fesselnd und frisch, ohne unnötig modern zu wirken. Dies wurde schon an anderer Stelle hier im Blog ausgiebig gewürdigt und soll deshalb hier nicht weiter ausgebreitet werden. Für die Aufführungen im Januar wurde mit Elbenita Kajtazi als Mimi und Tomislav Mužek als Rodolfo zwei für mich herausragende Akteure besetzt. Kajtazis Stimme und Darstellung wirken so wunderbar mühelos und natürlich, dass es mich von Beginn an zu Tränen rührt. Mužek hatte mich bereits bei der Carmen im September begeistert. Seine fast schon jugendliche, unbeholfen wirkende Ausstrahlung und kräftiger und warmer Tenor überzeugen auch in dieser Aufführung. Die beiden Protagonisten des Stückes hatten eine tolle Chemie und wirkten überzeugend in ihren Interaktionen. Ihre gemeinsamen Duette war von großer Harmonie und Vertrautheit geprägt. Ich musste fortlaufend zum Taschentuch greifen, so sehr rührten mich ihre gemeinsamen Momente. Mužek wird im Mai wieder in Hamburg sein, Kajzazi leider erst in der neuen Spielzeit. Es steht zu befürchten, dass sie in Zukunft immer seltener hier zu sehen sein wird, so herausragend sind ihre Qualitäten.

Photo Credits: Hans Jörg Michel (frühere Aufführungsserie)

Die Melancholie und das Melodrama des Stückes berührten mich an diesem Nachmittag zutiefst. In der Pause zwischen dem zweiten und dritten Bild blieb ich entgegen meiner Gewohnheit auf meinem Platz sitzen und genoß die Stille des fast leeren Saales. Dies war eine der Aufführungen an die ich mich noch in ein paar Jahren erinnern werde, da sie mich in meinem tiefsten Innern traf. Meine Mutter erzählte mir oft, wie sie als jung verheiratete Ehefrau mit meinem Vater mehrere Male in der Bohème war und wie sehr sie beide diese Oper liebten.

Die Amerikanerin Olivia Boen glänzte bei ihrem Rollendebut in Hamburg als Musetta. Ihr „Quando men‘ vo“ war gekonnt gesungen und wie immer in dieser Inszenierung ein schöner Moment an den man sich auch Tage später erinnert. Das Mitglied des internationalen Opernstudios sollte man auf jeden Fall im Auge behalten, ihr Auftritt im Café Modus war vielversprechend. Mit Alexey Bogdanchikov stand ihr ein routinierter Marcello zur Seite. Egal in welcher Rolle ich ihn sehe, Bogdanchikov ist immer ein Erlebnis. In dieser Spielzeit leider nur eher selten auf der Hamburger Bühne, war das Wiedersehen umso schöner. Seine Mimik und Stimme erreichen auch die preiswerteren Plätzen und sind ein Grund für seine Popularität. Als Marcello setzt er ungewohnte, interessante Akzente für diese Rolle, er wirkt resigniert und abgekapselt von seinen Freunden. Ein Einzelgänger und Grübler, mehr noch als Rodolfo. Hubert Kowalczyk als Colline hatte bei der „Mantel Arie“, seinen großen Auftritt und Chao Den hielt als umtriebiger Schaunard den Freundeskreis zusammen.

Elbenita Kajtazi
Photo Credits: Staatsoper Hamburg

Als nach Rodolfos verzweifelten „Mimi, Mimi!“ Rufen der Vorhang fiel, war es für ein, zwei Sekunden mucksmäuschenstill im Saal, so ergriffen war das gesamte Publikum von dieser wunderbaren Aufführung. Danach donnernder und langanhaltender Applaus für das Ensemble und Orchester. Draußen, im kalten und inzwischen dunklen Hamburg ging mir dann Mimis „Vorrei che eterno, durasse il verno!“ (Möge dieser Winter nie enden) durch den Kopf. Wenn der Winter so schön wäre wie an diesem Nachmittag in der Staatsoper, kann man ihr nur zustimmen. 

Oliver Groth, Vorstellungsbesuch 15. Januar 2023

*Einsam im Winter, das ist wie Todesqual

Links:
https://www.staatsoper-hamburg.de/
https://blog.staatsoper-hamburg.de/das-ist-zum-sterben-la-boheme-legt-den-finger-in-die-wunde/
https://de.wikipedia.org/wiki/La_Boh%C3%A8me
https://elbenitakajtazi.com/
https://www.katharina-konradi.com/
http://www.tomislavmuzek.com/
https://chaodengbassbariton.org/2016/04/06/lebenslauf/

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