Titelfoto: C. Heuser https://www.instagram.com/caren.heuser_photographie/?hl=de
„Nein, hier gibt es kein Programmheft. Wir sind ja nicht in der Oper. Das ist ein ganz normales Konzert.“ So beantwortete die Dame an der Abendkasse, freundlich schmunzelnd ohne Häme oder Arroganz, meine Frage. Eine Frage, die mir ganz automatisch aus dem Mund glitt, stelle ich sie doch immer, wenn ich meine Tickets abhole. Also tat ich es auch bei dem Konzert den Marillion Sängers Steve Hogarth, in der Laieszhalle am 12,.12.22.
Die Antwort brachte mir die erste Erkenntnis des Abends: Du solltest echt nicht so eingleisig fahren was Theater-/Konzertbesuche angeht. Schau auch mal über den Tellerrand der klassischen Musik!
Das Konzert selbst brachte mir eine zweite Erkenntnis: Sprich nicht nur davon, sondern besuch wirklich öfters „normale“ Konzerte! Denn es ist nun mal so, es gibt zwei Arten von Musik und zwar nicht klassische und alles andere, sondern gute und schlechte. Und wozu Steve Hogarth gehört steht außer Frage. Und auch dass die Antwort auf sein ins Publikum gerufenes: „See you next year!“ nur lauten kann „For sure!“
Humor, Natürlichkeit und Gänsehautstimme: H
Steve Hogarths Spitzname ist H und seine Tour ist, sehr passend, betitelt mit H Natural. Der 66jährige Engländer, seit gut 23 Jahren Sänger und Keyboarder der britischen Rockband Marillion, ist ein Star ohne jegliche Allüren, der schon vor dem ersten gesungenen Ton die Sympathie seines Publikums gewinnt. So lautet seine Begrüßung übersetzt ungefähr so: „Guten Abend, eigentlich ist dies am Anfang eine Art Experiment. Wir wollten wissen, ob es Menschen gibt, die Geld dafür ausgeben mit mir in einem Raum zu sein!“ Jubel und Lachen und auch das eine oder andere „Yeah“ waren die Antwort, des leider, leider nicht sehr zahlreichen Publikums.
Doch das tat der Stimmung den ganzen Abend lang nicht den geringsten Abbruch, auch ich als absoluter Hogarth-Neuling war sofort fasziniert von Humor, Charme – ja Charisma des Sängers. Er wolle auch mit uns plaudern und singen und wir sollten gerne Fragen stellen. Aus dem Fragen stellen wurde dann ein Wunschtitel in den Raum werfen, die Hogarth gerne erfüllte und ich -zumindest dieses Mal- aus Unkenntnis nicht nennen kann, aber einfach genoss.
Hogarth hat eine unverwechselbare Stimme, die in den Höhen manchmal leicht brüchig klingt, was die Gänsehautwirkung nur verstärkt. Die Melodien seiner Lieder, die Rhythmen sind geprägt von einer Melancholie, die aber auch Hoffnung und nicht nur Resignation in sich trägt. So covert er zum Beispiel Lieder mit Themen aus dem alltäglichen Leben und verleiht, wie eben Cohens „Famous blue rain coat“ oder „The day before you came“ von ABBA oder auch Mercedes Benz von Janis Joplin, den Aussagen noch einen Hauch Tiefe mehr als sie bereits in sich tragen. Ach, ich wünschte mutiger gewesen zu sein um mir Cohens „Hallejulah“ zu wünschen.
Stille Nacht – Stilles Publikum
Aber auch das Thema „Weihnachten“ kam nicht zu kurz. So muss es irgendwo einen Aufruf gegeben haben, Weihnachtsschmuck mitzubringen im Austausch gegen einen Schnaps bei Steve Hogarth auf der Bühne. Und wirklich waren einige Besucher*innen dieser Aufforderung nachgekommen, auch langjährige Fans, die mich ebenso wie Hogarths sympathischer Umgang mit ihnen wirklich berührten. Alles an diesem Mann war/ist echt. Er liebt seinen Job, den Austausch mit seinem Publikum, das ihn schätzt und mit Recht umjubelt.
Man glaubt ihm, wenn er auf den lautstarken Applaus der sehr überschaubaren Menge antwortet: „Hamburg ihr seid toll! Ich bin so froh, dass ich hergekommen bin!“
Dann singt er auf Deutsch „Stille Nacht“. Und hätte er die Herzen der Besucher nicht sowieso schon längst gewonnen und erwärmt, dann wäre dies spätestens jetzt der Fall gewesen.
„Singt ihr jetzt mit mir?“ fragt er hoffnungsvoll nach der ersten Strophe, darauf anspielend, dass das gemeinsame Singen bei einer früheren Aufforderung seinerseits, flapsig gesagt, ziemlich in die Büx ging.
Er stimmt erst die zweite und dann die dritte Strophe an und es wird schnell klar, auch wenn er ihn wohl vom Desktop seines Laptops ablesen kann, ist er absolut der Einzige im Saal, der den Text kennt. Erst bei den Refrains: Christ, in deiner Geburt! Christ, in deiner Geburt! und Christus, der Retter, ist da! Christus, der Retter ist da! stimmen wir alle mit kleinen Stimmen aus großen Herzen mit ein.
Zu sagen, wann das eigentliche Konzert endete und es Zugaben gab, fällt mir schwer, denn es war alles so stimmig, einheitlich und schön und von Freude an Musik auf beiden Seiten der Bühne bestimmt. Mir bleibt nur zu wiederholen: See you next year? Sure buddy! You can bet on it!
Birgit Kleinfeld , Konzertbesuch 12.12. 2022