Am 10.12. hatte BARBE & DOUCETs traumhaft phantasievolle Produktion von Johann Strauß‘ Die Fledermaus ihre Wiederaufnahme in (fast) neuer Besetzung und einer krankheitsbedingten Doppelbesetzung: die junge engagierte Spielleiterin Maike Schuster schlüpfte auf der Bühne gekonnt und überzeugend für die kranke Hulkar Sabirova in die Rolle der Rosalinde, der von der Seite her die Sopranistin Adriana Gonzales die Stimme verlieh. Trotz, oder vielleicht gerade wegen, der extremen Kurzfristigkeit gelang es beiden Damen wie eine zu erscheinen. Gonzales‘ Platzierungen waren geschickt, lenkten nicht von Maike Schuster ab und manchmal entstand sogar eine subtile, stumme Kommunikation zwischen den beiden, die glauben machte, es gehöre halt zu der Inszenierung.

Photo Credits : Privat
Eine Geschichte einfach neu erzählen ohne sie zu entfremden
Der November und die erste Woche des Dezembers steht seit jeher für Spaß, Musik, vielleicht auch Liebeleien, auf dem Heiligengeistfeld, sprich den Winterdom. Wer jetzt die Stirn runzelt, sich fragt was Heilige und ein Dom mit so weltlichen Dingen wie Spaß und Musik zu tun haben, dem sei nur kurz berichtet, dass das Heiligengeistfeld seinen Namen von dem ehemaligen Hospital zum Heiligen Geist hat, das dort vor langer Zeit stand. Und der Ausdruck Dom für diesen Jahrmarkt kommt daher, dass im 11. Jahrhundert Händler und anderes fahrende Volk Schutz im Mariendom suchten und das, nach hartem Kampf, sogar mit Erlaubnis des Domherrn, allerdings nur bei „Hamburger Schietwetter“. So entstand der Winterdom und heute… Heutzutage findet der Dom zusätzlich im Frühjahr und Sommer statt, ist fast so ein fester Bestandteil von Hamburg wie der Prater schon lange in Wien.
Und so schlage ich nun -endlich- den Bogen zu der Hamburger Inszenierung der Fledermaus, die ihren Schauplatz in verschiedenen Vergnügungsstätten hat. Wissen Sie, eine Rezension im normalen und üblichen Sinne existiert auf operngestalten.de bereits von der letztjährigen Premiere. Oliver Groth, der bereits über Mozarts Oper Le Nozze di Figaro berichtete, und ich überlegten uns daher, uns dieses Mal auch darin zu versuchen, ein bewährtes Format etwas zu verändern. Denn wir beide bewundern und schätzen nicht nur die Sänger auf der Bühne, sondern auch die Art und Weise, wie BARBE & DOUCET Geschichten erzählen. Ganz nach dem Zitat meines ebenfalls hochverehrten Oscar Wilde „Nachahmung ist die höchste Form der Anerkennung.“. Wissend, was bei BARBE & DOUCET Kunst und Können, ist bei uns der Wunsch uns anders als sonst, aber unterhaltsam informierend mitzuteilen.

Photo Credits: Karl Foster (Geschlossene Premiere 2021)
Hier nun ist meine Version, eine Art Erzählung aus den Augen eines Beteiligten, betone ich doch immer wieder gerne eigentlich Geschichtenerzähler zu sein. Einer, mit der manchmal, so werden Sie sehen, die Pferde des Erzählens durchgehen.
Oliver Groth dann … Ach, lassen Sie sich einfach überraschen. Sein Artikel wird sich auf die Vorstellung vom 20.12. beziehen!
Beobachtungen einer lebenden Putte, Amorfigur
Mein Name tut nicht zu Sache, Sie, werte Damen und Herren, müssen nur wissen: Alles ist wahr, ich war dabei. Und nein, ich bin nicht Amor Cupido Frosch, Gerichtsdiener am Bahnhof des Prater Höllenzuges. Mir mangelt es an dem Mut von Frosch, der außerhalb von Prater und Bühne Jürgen Tarrach heißt, nur an dünnen Seilen befestigt im rosa Röckchen hoch in der Luft zu schweben und dabei meine mitreißende Schauspielkunst zu beweisen. Ach, und auch würde es mir nie gelingen, das, vor allem durch Paul Hörbiger, bekannte Hobellied so humorvoll und stimmschön darzubieten. Ja, der Frosch /Tarrach macht halt nicht nur als seriöser Theaterschauspieler oder auch in eher ernsten Filmen eine gute Figur sondern auch hier. Hier, wo er sich nicht nur liebevoll seinem Slibowitz sondern auch Direktor Frank widmet. Uns allen auch bekannt als Bassbariton Chao Deng, der als herrischer Gesetzeshüter im ersten Akt, als angeblicher Chevalier Chagrin und Mäzen im zweiten und dann wieder als von Kater und Katzenjammer heimgesuchter Gefängnisdirektor auf ganzer Linie amüsiert, gefällt und überzeugt.
Ferdinand Raimund (Komponist/Valentins Lied/Der Verschwender)
Nein, ich persönlich bin, wenn gleich auch ein rosa Kleidchen, blonde Löckchen und Flügelchen tragend, wie der Frosch/Tarrach auch eine Putte, doch eher der bodenständige, stille Typ. Mein Freund und ich lichten am Eingang zum Liebesland die Leute ab, machen Fotos von Pärchen jeglicher Couleur, die sich vermählen wollen oder auch müssen. Und wir beobachten die ganze Geschichte, die auf charmante Art und von der wunderbaren Musik des Walzerkönigs Johann Strauß untermalt, die Geschichte einer lustigen Rache erzählt. Einer Rache, die relativ harmlos im Heim des Ehepaars Von Eisenstein beginnt, auf dem Fest des exzentrischen, Peitsche schwingenden und Wodka Gläser um sich schleudernden Prinzen Orlovskys ihren Höhepunkt hat und im Höllenzug dann doch ein gütliches Ende findet.
Die Geschichte eines Tages, einer Nacht und eines Morgens
Es fliegen nur kurz die Fetzten, aber viel öfter die Beine der Tänzer*innen und Akrobaten, und Champagner, der König aller Weine fließt symbolisch in Strömen und versetzt die Protagonisten in einen Freudentaumel, der sich auf die Zuschauer überträgt. Denn Jonathan Darlington, das Philharmonische Staatsorchester und der Chor der Hamburgischen Staatsoper wissen mit Präzision und unüberhörbarem Spaß die Melodien mit Schwung und viel Charme und Wiener Schmäh darzubieten.
Und auch das habe ich beobachtet: so manch eine/r konnte an einigen Stellen sich kaum davon abhalten, mit zu singen oder zu klatschen. Naja, Letzteres taten dann alle auch jubelnd am Ende.

Photo Credits: Karl Foster (Geschlossene Premiere 2021)
Alles begann, als das Stubenmädchen Adele… Nein, entschuldigen Sie! Zurück auf Anfang. Alles begann, als Gabriel von Eisenstein seinen Freund Dr. Falke nach einer durchzechten Nacht in einem Fledermauskostüm in einem Wäldchen zurückließ, so dass dieser am nächsten Morgen derart unpassend gekleidet durch die Stadt laufen musste und zum Gespött aller wurde.
Mit Adele, die sich, während sie etwas halbherzig die Riesenradgondel putzt, überlegt wie sie denn der Einladung zu einem großen Ball folgeleisten kann, beginnt jedoch die Operette. Ach Adelchen, die sich, um unerkannt zu bleiben, auf dem Ball Olga nennt und in der wahren Welt, die vor Kurzem erst mit einem Preis ausgezeichnete Sopransitin Narea Son ist, was ist sie doch für ein herziges Geschöpf. Charme, Anmut und ganz viel humorvolle Koketterie strahlt sie aus, nicht nicht nur wenn sie ihre Herrschaft um den Finger wickelt, mit der Geschichte von der totkranken Tante, einer Geschichte, die, ich verrate Ihnen da sicher nichts Neues, auch im Hier und Jetzt ihre Wirkung nur selten verfehlt. Ach und ihre Stimme erst! Diese Leichtigkeit mit der die Koloraturen sprudeln bei Mein Herr Marquis und wenn sie dann später im Gefängnis bei Spiel ich die Unschuld vom Lande Anfangs ihre Stimme zum quäken bringt…
Die Schöpferin meiner Worte möge mir verzeihen, das erinnert dann doch sehr an deren Versuche unter der Dusche oder -oh Graus- früher bei ihre „Gesangsstunden“ mit den Bewohnern der Demenzstation auf der sie ihr Geld verdiente.

Verkleidungen, Rollen, Personen
Aber zurück zu Adele: Denn sie schaltet vom Gequäke sofort um zu ihrem wunderschön leicht geführten, wandlungsfähigen Sopran.
Assistiert wird sie bei ihrer Vorführung im Gefängnis von ihrer wirklich reizenden und spielfreudigen Schwester Ida, die unter dem Namen Gabriele Rossmanith das Internationale Opernstudio Hamburg leitet und dort vielen sehr begabten, schon ausgebildeten Sängern den letzten Schliff verleiht.
Wirklich, wen wundert es da, dass der reiche Prinz Orlowsky, dem hier die Mezzosopranistin Tamara Gura Stimme und geschliffene Autorität verleiht, Interesse daran hat, die beiden Künstlerinnen zu fördern. Denn wir wissen es alle: Chacun à son goût ist des Prinzens Motto, und dass es zu seinem Geschmack (Goût) gehört, Männer durch Reifen springen zu lassen.
Das bekommt auch Gabriel von Eisenstein zu spüren, der Antiheld unserer Geschichte, der, dem die Rache Dr. Falkes, der Fledermaus, gilt. Eisenstein, der als Tenor Matthias Klink auf den Bühnen verschiedener Opernhäuser zu sehen ist, ist ein charmanter aber selbstverliebter Mann. Einer der Sorte, die sich für Gottes Geschenk an die Weiblichkeit halten bis die eine kommt, die ihn eines Besseren belehrt und ihm die Taschenuhr klaut, die ihm doch als (Ballett)Rattenfänger dient… Es ist herrlich amüsant, ihm zu zu sehen und zu hören! Besonders die Szene im Gefängnis Höllenzug. Schließlich ist unser Gabriel ein Ehrenmann. Denn ich vergaß, eigentlich sollte er noch vor dem Ball eine Gefängnisstrafe antreten. Doch wer kann schon widerstehen, wenn ein guter Freund wie Dr. Falke zu einem Besuch auf einem rauschenden Fest lädt!? Dennoch, Pflicht ist Pflicht, also auf zum Gefängnis. Doch welche Überraschung, wenn er dort einen neu gewonnen Freund, nämlich den Chevalier Chagrin als Gefängnisdirektor vorfindet. Der ihm dann auch noch erzählt, Gabriel von Eisenstein säße bereits in Zelle Nr. 12. Das Erstaunen wird nun zur selbstgerechten Empörung .

Photo Credits: Karl Foster (Geschlossene Premiere 2021)
An Spiel und Spaß beteiligt, ohne es nur zu leiten
Denn der vermeidliche Eisenstein entpuppt sich als Gesangslehrer und Gondoliere des Liebeslandes, Alfred, der nun im Schlafrock -man bedenke, im SCHLAFROCK!- des wirklichen Eisensteins vor ihn tritt. Wurde er, der uns als Dovlet Nurgeldiyev, schon oft in den unterschiedlichsten Rollen verzauberte, doch an Gabriels statt verhaftet, weil er im zärtlichen Beisammensein mit dessen Frau Rosalinde angetroffen wurde.
Ach welch herrliches Terzett: Was kommt denn Ihnen in den Sinn-...
Gabriel, wie gesagt, empört sich als Advokat verkleidet, die beiden Beschuldigten verteidigen sich vehement und am Ende kommt alles heraus.
Aber wirklich, schöne Damen, werte Herren, wer könnte diesem Tenor, dieser eleganten Dame widerstehen?? Jedes Wort von Alfred ist verständlich und der Charme, der schon beim Sprechen mitschwingt, wird fast unwiderstehlich, wenn er seinen samtweichen Tenor erklingen lässt. Sei es mit Melodien, die Strauss für ihn schuf oder das Ansingen von Arien anderer großer Komponisten.
Selbst ich als Mann, naja als Putte, fühle mich berührt von ihm. wie muss es da erst einer Frau gehen, einem Vollweib wie Rosalinde Eisenstein?

Photo Credits: Karl Foster (Geschlossene Premiere 2021)
Ihr, also Rosalinde, verleiht Maike Schuster Figur und Sprechstimme. Sonst ist sie, also Maike, nicht Rosalinde, eher diejenige, die den anderen sagt, wie sie die Anweisungen von BARBE & DOUCET auszuführen haben. Nun aber bemühte sie sich selbst es genauso wie gedacht zu machen. Und, wie es schon die eigentliche Autorin dieser vielen Worte sagte: Es gelang ihr hervorragend! Das Gleiche gilt, wie ebenfalls schon erwähnt, für Rosalindes Stimme Adriana Gonzales. Im Jahr 2019 belegte sie den ersten Platz bei Placido Domingos Operalia. Seitdem ging es langsam aber sicher bergauf. Verständlich, so eine volle, in allen Lagen sicher geführte Stimme und welcher subtil spürbarer Charme. Wie wird es erst sein, wenn wir sie in einer Rolle, welcher auch immer, spielend UND singend erleben dürfen? Möge dies bald der Fall sein!
Das war es, von mir. Ach, oh nein! Wie konnte ich ihn vergessen! Dr Falke, immer elegant, auf sympathische Weise gerissen, zieht er mit deutlicher Freude an Spiel und Gesang die Strippen, einer Rache, die niemanden wirklich verletzt aber alle mitreißt. Das tat er, unter dem Namen Björn Bürger, als einer der Protagonisten in einer anderen Geschichte. In dieser spielte er den Bruder von Jules Massenets Titelheldin Manon, nämlich den drogen- und spielsüchtigen Lescaut. Dort faszinierte er durch seine Stimme wie durch sein intensives, unter die Haut gehendes Spiel. Hier dann war er ein Herr aus guter Gesellschaft, selbstsicher und seelisch im Gleichgewicht. Ein hoch auf seine Wandelbarkeit! und nicht nur die seine!

Photo Credits: Karl Foster (Geschlossene Premiere 2021)
Nun sind Sie dran, schöne Damen, werte Herren!
Fazit: Man -oder besser, ich, nun auch wieder die Autorin- möchte die von BARBE & DOUCET geschaffene Welt wieder und wieder betreten, mich in Liebesland wie Höllenzug verlieren. Ja, ich möchte sie alle entdecken, die liebevollen szenischen, wie auch akustischen Details, in der Choreografien der Tänze oder auch Bewegungen bei Protagonisten und Chor die Aussagen und Situationen unterstützen. Das ist doch das Herrliche an dieser Produktion! Sie hat wunderbare Akteure und man weiß, auch nach dem dritten Besuch hat man noch langen nicht alles entdeckt, was es zu entdecken gibt. Darum lasse ich nun ein letztes Mal meine erzählende Putte zu Wort kommen:
Schöne Damen! Werte Herren! Kommen Sie! Treten Sie ein! Erlauben sie sich 3 wundervolle Stunden des seligen Vergessens aller Sorgen! Gute Laune garantiert! Wetten?!
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 10.12.2022
Links:
https://www.staatsoper-hamburg.de/
https://www.barbedoucet.com/‚
https://www.gonzalezadriana.com/
https://www.matthiasklink.de/
https://chaodengbassbariton.org/2016/04/06/lebenslauf/
https://www.tamaragura.com/
http://www.bjoernbuerger.com/