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Staatsoper Hamburg – Le Nozze di Figaro: Contessa und Susanna triumphieren über ihre Männer

Titelbild: Fotorechte Karl Foster (Premierenserie)


Seit der Premiere vor acht Jahren wurde die Inszenierung des Norwegers Stefan Herheim insgesamt 35. Mal aufgeführt. Ich habe knapp ein Viertel dieser Aufführungen besucht und bin immer wieder begeistert. Herheim ist Schüler des großen Götz Friedrich und seit diesem Jahr Intendant des Theaters an der Wien. Sein Hamburger Figaro verzichtet auf ein aufwändiges Bühnenbild sondern spielt ausschließlich in einem tunnelähnlichen Gerüst, das aus Noten besteht und eine klaustrophobische Wirkung hat. Diese stilistische Reduktion zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Oper. 

Wer jetzt denkt, der Figaro wäre für Herheim eine ideale Spielwiese für Zotigkeiten oder politische Statements, liegt komplett falsch. Im Mittelpunkt steht hier eindeutig die Musik und die Sängerinnen und Sänger. Dies finde ich ungemein erfrischend und ist, natürlich neben der Musik, auch einer der Gründe warum ich mir diese Inszenierung immer und immer wieder ansehen kann. Auch bei meiner achten Aufführung fesselte mich die Oper von der ersten bis zur letzten Note. Obwohl Le Nozze di Figaro mit fast dreieinhalb Stunden eine sehr lange Oper ist und viele Rezitative hat, kommt keinerlei Langeweile auf.

Fotorechte Karl Forster (Premierenserie)

Bereits bei der Ouvertüre wird einem mittels eines Animationsfilms vorgeführt worum es in den nächsten knapp dreieinhalb Stunden gehen wird: Musik und Liebe. In dem Film entwickeln Mozarts Noten ein Eigenleben und verwandeln sich in Menschen. Auf den wunderbaren, von Gesine Wöllm entworfenen Kostümen, befinden sich ebenfalls Noten und das Gerüst ist mit Notenblättern verhangen. Neben dem Gerüst ist einzig noch ein Bett auf der Bühne und um dieses herum spielt sich die gesamte Handlung ab. Diese Reduzierung auf das Wesentliche stellt eindeutig die Akteure auf der Bühne in den Mittelpunkt der Inszenierung. Die Beleuchtung wird effektiv an vielen Stellen eingesetzt, als besonders magisch empfinde ich sie immer wieder bei „Non so più cosa son, cosa faccio“. Das ist einer dieser Momente in der Staatsoper, in dem die Zeit still zu stehen scheint. An diesem Abend wurde Cherubino von der bulgarischen Mezzosopranistin Svetlina Stoyanova gesungen. Mit viel Charme und einer warmen und schönen Stimme begeisterte sie das Publikum. Ihre Interpretation von „Voi che sapete“ hatte eine wunderbare Balance aus Leidenschaft und Traurigkeit.

Fotorechte Karl Forster (Premierenserie)

Vor allem in den ersten zwei Akten ist ein ständiges Kommen und Gehen auf der Bühne, in der zweiten Hälfte bleibt fast das gesamte Ensemble permanent auf der Bühne. Angesichts der vielen Intrigen und Täuschungen mag dies manchen im Publikum überfordern, mir gefällt diese Chaos im dritten und vierten Akt  auf der Bühne ungemein, unterstreicht und verstärkt es doch nur das Gesamtbild der Verwirrung und der Wechselhaftigkeit der Gefühle. 

Im Mittelpunkt der Aufführung am Dienstag standen eindeutig die Schwedin Maria Bengtsson als Contessa und die Koreanerin Narea Son als Susanna. Auf der einen Seite also eine Sängerin die seit langer Zeit die Rolle der Contessa in all ihren Facetten und Widersprüchlichkeiten verkörpert. Ihr auf der Bühne Paroli bieten zu können ist wahrlich eine Herausforderung, die Narea Son allerdings bravourös bewältigte. Bereits im Sommer gab Son ihr Rollendebüt als Susanna, eine Rolle von der sie laut eigener Aussage immer geträumt hat. Ich habe Son das erste Mal im Januar 2017 als Barbarina auf der Bühne gesehen, schon damals fiel sie mir trotz der eher kleinen Rolle auf. Sie besitzt auf der Bühne eine sirenenhafte Ausstrahlung, ungemein selbstbewusst und charismatisch. Ihre Stimme ist kräftig und sehr lyrisch. 

Narea Son
Foto: Privat

Ihre schauspielerische Darstellung ist immer etwas reduziert, aber dadurch auch sehr interessant. Das am Ende des dritten Aktes von ihr dargebotene „Giunse alfin il momento“ war voller Zärtlichkeit und Stärke. Susanna ist der Mittelpunkt der Oper um die sich alles dreht. Son fühlt sich sichtlich wohl im Mittelpunkt des Verwirrspiels und zieht die Fäden ohne große Gesten oder Anstrengungen. Sie bewahrt sich ihren Stolz und ist moralisch fest in ihren Überzeugungen, in dem sie den Avancen des Grafen widersteht und die Tölpelhaftigkeit ihres zukünftigen Ehemanns ignoriert. Sie weiß, dass sie in der Beziehung die Hosen an hat ohne dies betonen zu müssen. Narea Son ist seit 2013 in Hamburg und hat sich über die Jahre in die erste Reihe des Ensembles gespielt. Vielleicht wird es ihr wie ihrem Landsmann Son Heung-Min vom Hamburger SV ergehen, der in Hamburg seine Weltkarriere begann.

Zu den Highlights von Le Nozze di Figaro gehören zweifellos die beiden großen Arien „Porgi, amor, qualche ristoro“ und „E Susanna non vien!“, so auch an diesem Abend. Man kann nur spekulieren, wie oft die wunderbare Maria Bengtsson diese auf der Bühne gesungen hat. Seit Olga Peretyatko im Juni 2018 hat es jedenfalls keine Contessa in Hamburg gegeben, die so viel Traurigkeit und Sehnsucht vermittelt hat. Manche Sängerinnen spielen und singen die Contessa viel zu sehr als Diva mit Allüren, dabei steckt sie in einer Krise und sehnt sich nach der Liebe ihres Mannes, der sich aber lieber den anderen Damen im Schloss zuwendet. Bengtsson interpretiert für mich die Rolle perfekt, ihre Stimme ist und bleibt ein Erlebnis. Darstellerisch fehlt ihr jedwede übertriebene Gestik, sie fesselt ihr Publikum mit ihrer Präsenz. Wer einmal eine Aufführung mit ihr beiwohnen durfte wird sie ewig in Erinnerung behalten.

Der Höhepunkt an diesem Abend war für mich ein perfekt vorgetragenes  „Che soave zeffiretto“ von Bengtsson und Son. Diese Verschmelzen der beiden Stimmen ist für mich immer der Höhepunkt der zweiten Hälfte vom Figaro, von unnachahmlicher Schönheit und Zerbrechlichkeit. Leider schreibt es das Libretto vor, dass im Anschluss keine Pause für Applaus gibt, ich wäre am liebsten laut „Bravo!“ rufend aufgestanden und hätte gerne applaudiert für diesen magischen Moment.

Fotorechte Karl Forster (Premierenserie)

Neben diesen beiden herausragenden Sängerinnen hatten es Andrei Bondarenko als Conte d’Almaviva und Bogdan Talos als Figaro leider wirklich schwer mich nachhaltig zu beeindrucken. Bondadrenko wirkte sowohl körperlich als auch stimmlich seiner Rolle nicht gewachsen. Er strahlte keinerlei Arroganz oder Selbstherrlichkeit aus, etwas was für mich diese Figur ausmacht. Sein Conte wirkte als hätte er sich in der Hausnummer geirrt und sei nur zufällig anwesend. Ihm fehlte jegliche Bindung zum restlichen Ensemble. Bogdan Talos hingegen spielte und sang den Figaro mit mehr Elan und Ausdruck, aber auch ihm gelang es nicht, Son und Bengtsson die Stirn zu bieten. Stimmlich voll auf der Höhe, mangelte es ihm aber an Ausdruck in dieser zentralen Rolle. 

Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg wurde souverän von Alessandro De Marchi geleitet. Anfangs vielleicht mit etwas zu hohem Tempo und den wie immer etwas wackeligen Hörnern. Ab Mitte des zweiten Aktes hatte man sich allerdings eingegroovt und begleitete das Geschehen auf der Bühne angemessen. Ensemble und Orchester war vor allem nach der Pause anzumerken, dass sie ein Gefühl füreinander entwickelt hatten und man agierte wesentlich gelassener als noch in den ersten beiden Akten. Natürlich ist es für alle Beteiligten bei der Premiere einer Wiederaufnahme einer Inszenierung immer aufregend und aufwühlend ob der Abend gelingt. Die vielen Nebenfiguren wurden gewohnt souverän vorgetragen, wobei ich Katja Pieweck als Marcellina und Marie-Dominique Ryckmanns als Babarina herausheben möchte. Pieweck verkörpert häufig in Hamburg diese kleine Rolle und tut dies immer mit großer Spielfreude und Engagement. Ryckmanns‘ Barbarina strahlte Würde und Wärme aus, so dass ihr Debüt sehr erfolgreich genannt werden darf.

Schlussapplaus
Fotorechte: Oliver Groth

Insgesamt wieder ein schöner Abend in der sehr gut besuchten Staatsoper. Wenn der Figaro in der nächsten Spielzeit auf dem Programm steht, werde ich wieder dabei sein um mich verzaubern zu lassen. Ich kann nur hoffen, dass wieder Narea Son die Susanne zelebrieren darf und Hamburg in ihren Bann zieht. 

Oliver Groth (Vorstellungsbesuch 15.11.2022)

Links:
https://www.staatsoper-hamburg.de/
https://www.alessandro-de-marchi.net/
http://www.mariabengtsson.com/
https://de.nareason.com/
https://www.svetlinastoyanova.com/
https://www.bogdantalos.com/
https://www.han-kim.com/
https://www.raphaelwittmer.com/

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