Opern- und Leben(s)gestalten

Es gibt so vieles, neben Oper, mit dem es sich lohnt das Leben zu gestalten! Drum füllen sich nach und nach die Menü- & Unterpunkte! Viel Spaß!

Staatsoper Hamburg – Der fliegende Holländer: „Ich sei’s, die dich durch ihre Treu‘ erlöset!“

Titelbild: Jennifer Holloway/Fotorechte alle Bilder: Hans Jörg Michel

Ein Vater ist bereit die  einzige Tochter des Geldes wegen einem Fremden zur Frau zu geben, ein Jäger hält an einem gegebenen Heiratsversprechen mit seiner Jugendliebe fest. Eine verfluchte Seemannsseele spukt seit Jahrhunderten über die Weltmeere und hat alle sieben Jahre die Chance, die  Frau zu finden, die ihn dadurch erlöst, dass sie ihm treu ist bis in den Tod. Und nicht zuletzt ist da Senta: Tochter, Jugendliebe, Retterin. Als letztere sieht sie sich ihr Leben lang selbst  und handelt auch bis zur letzten Konsequenz  danach: Sie stirbt mit ihm, für ihn.
Dies grob und kurz der Inhalt von Richard Wagners romantischer Oper Der fliegende Holländer, die am 23.10. an der Staatsoper Hamburg Premiere hatte.  Die Darsteller: Jennifer Holloway (Senta), Thomas J. Mayer (Holländer), Kwangchul Youn (Daland),  Benjamin Bruns (Erik), Peter Hoare (Steuermann) und Katja Pieweck (Mary) wurden für ihre Leistungen mit viel Applaus belohnt.  Die Rezeption für Michael Thalheimers Inszenierung allerdings war eher unfreundlich bis ungehalten
. Leider, denn sie bietet viele Möglichkeiten für eigene Gedanken und innere Bilder. Und auch die Interpretation von Kent Nagano und dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg wurden den Ansprüchen eines Teil des bei Premieren stets sehr besonderen Publikums nicht gerecht.

Jennifer Holloway
Fotorechte alle Bilder: Hans Jörg Michel

„‚Könntet es das bedeuten?‘ statt: ‚Was soll das denn?‘?

Der Schauspieler und erfahrene Theaterregisseur Michael Thalheimer zeichnet bereits für die Produktion von Hector Berlioz‘ Les Troyens an der Staatsoper Hamburg verantwortlich. Auch bei Wagners Der fliegende Holländer verzichten er, Olaf Altmann (Bühne), Michaela Barth Kostüme) und Stefan Bolliger (Licht) auf jegliche traditionelle Szenerie. Es gibt jedoch mehrere Reihen von Ketten oder metallenen Seilen, die hier und da von Leuchtdioden durchsetzt sind. Diese Ketten, wie auch die raffiniert phantasievolle Lichtregie, untermalen Thalheimers Wunsch, dass die Zuschauer*innen das Gesehene selbst interpretieren und Ideen entwickeln, statt nur der Geschichte zu folgen, die er mit seinen Mitteln erzählt. Eine Einstellung, die zu teilen er durch unkonventionelle Mittel erreicht. Wie zum Beispiel Müllbeutel, die mit Absicht nicht immer klar definierte Aufgaben haben: Sei es, dass ihr Rascheln vielleicht an das Meer erinnert, sie als eine Art Kleidung für des Holländers Geister dienen oder für Senta ein gefangenhaltender wie auch schützend umhüllender Kokon sind und letztlich das Instrument für ihren Selbstmord. Dann ist da das Goldkonfetti, dass den Holländer-Schatz symbolisiert und dazu dient, Dalands unendliche Gier deutlich zu machen, sammelt er doch, damit beschüttet, augenscheinlich jedes einzelne Krümelchen auf.

Kwangchul Youn
Fotorechte alle Bilder: Hans Jörg Michel


Im Geister/Steuermannschor im drittem Aufzug sorgen Lichter, und davor die Gesichter, auf der sowieso stets im Halbdunkel daliegenden Bühne für gespenstische Stimmung, die vor dem inneren Auge sichtbar macht, wo die Musik und der von Mitgliedern des Herrenchors der Nationaloper Kyiv unterstützte Chor der Hamburgischen Staatsoper und die Worte sprechen: „Sie liegen fest auf ihrem Platz, wie Drachen hüten sie den Schatz.“ und „Sie trinken nicht, sie singen nicht; In ihrem Schiffe brennt kein Licht.
Einen weiteren Hauch von Dramatik erhält diese Szene, wenn das Podest im Bühnenvordergrund, auf dem einige Matrosen hocken oder knien, immer schräger gekippt wird, als ob das Meer sich neue Beute holen wollte, die Männer in die See gekippt würden.

Alles mach Sinn, hat Bedeutung, selbst wenn, wie Thalheimer  auf der Veranstaltung Vor der Premiere, sinngemäß  sagte: „Sie sehen/ empfinden  das eine, und ihr Sitznachbar etwas ganz anderes . Aber das ist okay!` Etwas, das dem entspricht, das ich immer gerne betone: Schauen Sie selbst! Entscheiden Sie selbst! Denn jeder hat durch seine eigene Geschichte auch (die Möglichkeit) zu seiner eigenen Sichtweise.

Thomas J. Mayer, Herrenchor
Fotorechte alle Bilder: Hans Jörg Michel

Senta: Ausbruch aus der Enge – in den Tod

Es stimmt ein Schiff im eigentlichen Sinne gibt es nicht und doch entdecken es hoffentlich immer mehr Zuschauer*innen in jenen beleuchteten Leinen, die wie die Säcke eine vielfältige Aufgabe haben. Schon mit der Ouvertüre öffnet sich der Vorhang und zu den teilweise Unwetter und Sturm verheißenden naturalistischen Klängen Wagners wiegen sich diese Stränge, zwar seitlich, doch an Wogen erinnernd. In anderen Szenen dann scheinen sie die Wanten eines Schiffes zu sein, an denen sich der Steuermann während seines Liedes „Mit Gewitter und Sturm …“ regelrecht festklammert und der Holländer sich fast immer entlang hangelt. Da, wo die Handlung an Land spielt, lassen die Schnüre oft an Schnüre von Marionetten denken, die festhalten oder im Fall von Senta auch Halt geben und vor dem endgültigen Fall schützen. Gleichzeitig aber hat niemand durch diese vielen Reihen an Ketten/Schnüren die Möglichkeit in die weite, freie Ferne zu blicken. Alles bleibt- für Senta -eng und begrenzt.

Jennifer Holloway, Damenchor
Fotorechte alle Bilder: Hans Jörg Michel

Ebenfalls während der Ouvertüre liegt in der Mitte der Bühne ein Häufchen aus Müllsäcken, das bald beginnt sich zu winden. Wenn sich dann ein Frauenarm langsam und mit sichtlicher Anstrengung hinaus schlängelt, erwachen leise unangenehme Assoziationen; Da ist jemand gefangen, will sich befreien, könnte in Plastik und Enge ersticken. Und wirklich, es ist Senta, der es endlich gelingt aus dem Sack herauszuklettern.

Dann steht sie da, verkörpert von der Sopranistin Jennifer Holloway, die von diesem Moment an, auf allen Ebenen auf höchstem Niveau, „liefert“ , wie die Erfüllung einer Aufgabe heutzutage oft genannt wird. Doch altmodisch zu sagen sie fasziniert, besticht, begeistert trifft es noch besser. Holloway lässt uns teilhaben an Sentas Verzweiflung, ihren Ängsten, indem sie fast die gesamte Oper durch gekrümmt und x-beinig dasteht und oft auch in dieser Haltung singt. Sie überzeugt mühelos als gequälte Seele, die Rettung in einer Traumwelt, in der sie Retterin ist sucht und schließlich im Selbstmord. Rettung vor der Enge und Eintönigkeit einer Küstenstadt, die durch die stereotypen roten Schürzen und auch die Bewegungen der Chordamen symbolisiert werden. Aber da ist auch noch der fordernde Vater und der Jugendfreund/ potentielle reale Geliebte Erik.

Jennifer Holloway, Benjamin Bruns
Fotorechte alle Bilder: Hans Jörg Michel

Es geht durch Mark und Bein wie Holloway zusammenzuckt vor jeder Berührung einer dieser beiden Männer oder auch der Frauen. Immer wieder schützt sie sich mit den Armen oder sucht vergeblich Zuflucht in den Resten des zerrissenen Müllsacks. Erst wenn sie sich bereit macht, dem Holländer zu folgen, steht sie aufrecht da, stolz und mit offener Haarpracht. Ihr Traum scheint sich zu erfüllen oder verliert sie sich endgültig darin? Der Holländer macht den Eindruck selbst, wenn er sich eigentlich in Dalands Haus befindet, Halt zu suchen an den Wanten seines Schiffens und nie berühren sich die beiden. Glaubt sie dennoch auch am Ende immer noch an ihre Worte „‚Preis‘ deinen Engel und sein Gebot! Hier steh‘ ich, treu dir bis zum Tod!'“? Oder erkennt sie am Ende die Sinnlosigkeit als sie sich nun wirklich mit einem Müllsack erstickt?

Es ist nicht wichtig, wie man es sieht, die Kraft die Holloway in Spiel und Gesang legt stellt sie doch auf eine Stufe mit den Wagnerheldinnen meiner Jugend. Ein ganz persönliches „Prädikat“, das ich ihr bei ihrer Elisabeth in Richard Wagners Tannhäuser, trotz Anerkennung ihrer schönen ,,sicher geführten, wandelbaren Stimme“ noch absprach. Nach dieser hervorragenden Leistung kann ich das nicht mehr.

Jennifer Holloway
Fotorechte alle Bilder: Hans Jörg Michel

Lyrik aus dem Graben zu der Dramatik auf der Bühne

Doch auch Kent Nagano und dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg möchte ich, was ich nicht per se tue, wirklich Respekt und Anerkennung zollen für diese sehr stimmungsvoll bedrohlich spannende und doch auch ja lyrisch einfühlsame, Interpretation von Wagners romantischer Oper. Die Sänger bekamen aus dem Graben in jeder Szene Unterstützung dabei, dem was sie mit Stimme und Spiel ausdrückten durch bildmalerische Klänge noch mehr Nachdruck zu verleihen. Es war als erlaubten oder gewährten Nagano und seine Musiker uns im positiven Sinne eine neue Klangerfahrung. Kurz musste ich an einen Besuch in der Bayerischen Staatsoper München vor gut 40 Jahren denken, als ich einen von Carlos Kleiber dirigierten Der Rosenkavalier (Richard Strauss) hörte: Damals auch eine etwas befremdliche aber absolute schöne und bereichernde Erfahrung/ Interpretation.

Gefühl, Emotionen, Sehnsüchte, Träume, Begehrlichkeiten, dies alles in Musik aber auch Handlung zu entdecken ermöglichten aber vor allem die Personen, die intelligent von Thalheimer und Team geführt auf der Bühne agieren. Das gilt für den Damenchor der Hamburgischen Staatsoper und Katja Pieweck mit ihrem kurzen aber wichtigem Auftritt als Mary. Die Herren des Chores beeindruckten und das vor allem in der Steuermanns./Geisterchorszene. Sicher liegt es auch an der Klangvolumen fördernden Unterstützung durch einige Herren des Herrenchors der Nationaloper Kyiv. Aber ich schwöre, hinter den Lampen, den Lichtern und Schnüren sah ich es aufblitzen vor meinem inneren Auge, das „blutrote Segel“.

Herrenchöre der Hamburgischen Staatsoper und der Nationaloper Kyiv
Fotorechte alle Bilder: Hans Jörg Michel

Und der aus dem Vereinigtem Königreich stammende Tenor Peter Hoare, dessen Steuermann überzeugend, fast Mitleid erregend, gegen „Gewitter und Sturm“ kämpft, überzeugt gleichzeitig mit hellen kraftvollem Tenor der auf noch häufigere Einsätze in anderen Stücken hoffen lässt.

Der in der internationalen Opernwelt bekannte koreanische Bass Kwangchul Youn , besticht nicht allein durch klare Wortverständlichkeit, doch auch durch seine vielschichtige Darstellung des beinahe schlitzohrig wirkenden, geschäftstüchtigen Daland. dem er auch mit seinem wohltönenden Bass Charakter verleiht.

Der Hannoveraner Tenor Benjamin Bruns sorgt mit seiner intensiven Darstellung in den beiden Szenen mit Jennifer Holloway für fast greifbare Dramatik: Er tobt, scheint immer größer, stärker und mächtiger zu werden, je mehr sie -gleich eines Opfers häuslicher Gewalt- in sich zusammensinkt. Einen faszinierenden Kontrast dazu bildet sein lyrischer, Mozart erprobter Tenor, der dem Erik einen wunderbar lyrischen Touch verleiht. Seine Strahlkraft bezieht sich nur auf die kraftvollen Passagen, Bruns verwöhnt auch mit sanften Piani. Er ist mehr als nur der kraftstrotzende Naturbursche, sondern ein verletzlicher junger Mann, in dem Eifersucht und Wut schlecht zurückgehalten brodeln.

Jennifer Holloway, Thomas J. Mayer
Fotorechte alle Bilder: Hans Jörg Michel

Auch in ihm brodelt es: Dem von Thomas J. Mayer dargestellten Holländer, doch hier sind die vorrangigen Emotionen eher Verzweiflung, Resignation und das Sehnen nach Erlösung. Zum Ende seines Auftritts „Die Frist ist um ..“ versinkt er im bis zum linken Ellenbogen in dem Bühnenboden und stets bewegt er sich, wie erwähnt, Halt an den Stricken suchend. Dabei ist Mayer ein Holländer, der seine geheimnisvoll lockende Ausstrahlung aus seiner Ähnlichkeit mit den legendären, kriegerischen Wikingern zieht. Von dem man glaubt, er könne bis in alle Ewigkeit allen Widrigkeiten trotzen. Doch ein zweiter Blick, ein genaues Hinhören auf die Modellation und auch die Zwischentöne in seiner Stimme belehren uns schnell eines Besseren: Er ist ebenso wenig nur unbesiegbar und unerschütterlich, wie Erik nur liebevoll und sanft. Sein Bass ist prädestiniert für Rollen wie Holländer oder Wotan. Partien, die eine ein großes Register an Tönen beherrschende Stimme verlangen. Aber auch eine ebenso facettenreiche Palette an Ausdruckraft.

Möge aus „bösem Wind“ eine wohlwollende Brise werden,

Fazit: Ob die Produktion preiswert war, entzieht sich meiner Kenntnis, doch im übertragenen Sinne „billig“ ist sie auf keinen Fall, dazu bietet sie, lässt man es zu, viel zu viel zum Denken und (Nach)Empfinden.
Ein Unstern scheint’s, hat dich bis jetzt verfolgt.“ bescheinigt im ersten Akt Daland dem Holländer. Möge dieser für hier nun nach und nach verblassen und “aus Sturm und bösen Wind “ eine wohlwollende Brise werden für Regisseur und Dirigent. Und die Begeisterung für die Sänger und deren Leistung das Stück noch lange tragen.
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 23.10.2022

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Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Der_fliegende_Holl%C3%A4nder
https://www.staatsoper-hamburg.de/
https://www.jennholloway.com/?lang=de
http://www.benjaminbruns.com/vita_de.html

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