Titelfoto: Elsa Dreisig Premierenserie) / Fotorechte: Brinkoff/Mögenburg
In der Eröffnungspremiere der vergangenen Spielzeit von Hoffmanns Erzählungen von Jaques Offenbach begeisterte der französische Tenor Benjamin Bernheim in der Titelrolle, nun ist er als Chevalier Des Grieux zu erleben, an der Seite von Elbenita Kajtazi, die am Sonntag in Bizets Carmen als Micaela debütierte und bezauberte. Auch die restliche Besetzung weckt stets die Vorfreude auf Musiktheater-Genuss, wie unter anderem Björn Bürger (Lescaut), Wilhelm Schwinghammer (Graf Des Grieux), Daniel Kluge (Guillot-Morfontaine) und Alexey Bogdanichikov (von Brétigny). Eine Erwartung, die heute erfüllt und im Schlussapplaus auch dementsprechend honoriert wurde.

Fotorechte: Michael Klaffke /Saatsoper Hamburg (Probenfoto)
Zeitlos präsentierte Verlockungen, samt tragischer Liebe
Abbé Antoine-François Prévost d’Exiles verfasste bereits 1731 die Urfassung seines Sittengemäldes, das den Werde- oder Untergang eines jungen lebens- und luxushungrigen Mädchens beschreibt. Manon, gerade 16 Jahre alt, entgeht durch ihre Flucht mit dem angehenden Theologiestudenten Des Grieux dem Nonnendasein. Nach einem Leben im Rausch von Liebe, Begehren und Luxus wird sie auf Anweisungen eines abgelehnten, sich rächenden Adligen nach Amerika deportiert. Dort stirbt sie in den Armen ihrer ersten Liebe Des Grieux, den sie mit in den Abgrund riss, der aber nach ihrem Tod zu einem sittlichen Leben zurückfindet. Zumindest im Roman.
Auch die Kostüme passen zu den einzelnen Szenen und Situationen und David Bösch zeigt, dass er es versteht aus Figuren echte Charaktere zu machen. Er ist ein wahrer Meister darin, mit wenig viel zu erreichen. Sei es, dass Manon, außer im ersten Bild, in wichtigen Szenen immer zumindest zeitweise barfuß ist. Oder die Katze, die erst weiß ist, dann vor Manons Verhaftung und Untergang schwarz und schließlich blutend auf ihrem schwarzen Rücken liegend auf der Leinwand zu sehen ist, den weißen Bauch schutzlos darbietend. Dies sind nur wenige Beispiele für viele wirklich gute Einfälle, um zu Musik und Handlung passend diese Geschichte zu erzählen.

Fotorechte: Brinkoff/Mögenburg
In Massenets Oper und dem Libretto von Henri Meilhac und Phippe Gilé bleibt das Schicksal des Chevaliers im Allgemeinen offen. David Bösch jedoch geht weiter als ihn nur über der Leiche der Geliebten zusammenbrechen zulassen. Sie wählen beide den Freitod, durch Drogen bzw. aufgeschnittene Pulsadern. Ansonsten transportieren sie Bösch und sein Team Patrick Bannwart (Bühne, Video), Falko Herold (Kostüme, Video) und Michael Bauer (Licht) unaufdringlich authentisch ins Hier und Jetzt. Videoaufnahmen und -animationen zeigen in den Zwischenspielen Szenen aus Manons Leben, samt animierter Katze, und geben den darauf folgenden Akten/Szenen Titel wie L’Arivée, Greetings from Paris, C’est la vie und Le dernier jeu.
Wenn Stimmen Emotionen malen
Nicolas André leitet das Philharmonische Staatsorchester im ersten Akt mit etwas zu viel Freude am vollen Klang der Instrumente, was ein wenig zu Lasten der Sänger ging. Doch dieses Manko machte er im Laufe der Vorstellung wieder wett, so dass es ihm gelang, dem Orchester und dem Chor der Hamburgischen Staatsoper, der wieder von den Rängen aus sang, der Lebensfreude wie auch der Dramatik der Musik das richtige Maß an Ausdruck und Dynamik zu verleihen.
Auf der Bühne sorgen Narea Son, Ulrike Helzel, und Kady Evanyshyn als die IT-Girls Poussette, Javotte und Rosette mit viel Energie in Darstellung und Stimme dafür, dass die Bedeutung, die diese Figuren für die Musik und die Geschichte haben, jeden Augenblick deutlich wird.

Fotorechte: Brinkoff/Mögenburg
Auch die jungen Künstler des Internationalen Opernstudios Hamburg (IOSHH) David Minseok Kang (Wirt), Han Kim (2. Gardist) undNeuzugang Tenor Florian Panzieri geben ihren eher kurzen Auftritten Kontur und machen die Rollen glaubhaft.Besonders Letzterer sprühte bei seinem ersten Auftritt regelrecht vor Spielfreude, wie schön, dass die Mitglieder des IOSHH so viele Möglichkeiten haben, ihre Fähigkeiten,auch die stimmlichen immer wieder zu zeigen und in kleineren Rollen zu „trainieren“.
Auch Wilhelm Schwinghammer als Patriarch Graf des Grieux überzeugt mit an Arroganz grenzender Eleganz, die sich in jeder Bewegung, jeder Geste zeigt. Er führt sie mit natürlicher Selbstverständlichkeit aus, wodurch sein Spiel nie aufgesetzt, sondern immer ebenso anziehend wirkt wie sein gut geführter Bass. Auch Alexey Bogdanchikov gestaltet Manons Gönner und Förderer De Bretigny elegant charmant. Allerdings ist er eher ein lässiger Dandy, der das Leben und die Schönen liebt, statt wie der Graf ein respekteinflößender Adliger. Weder respekteinflößend noch charmant ist Daniel Kluge, ganz zur Partie passend,als Guillot-Morfontaine. Kluge portraitiert diesen Lebemann, schon als er Manon seine Kutsche anbietet, als herrlich widerliches Ekelpaket. Man gönnt ihm den Diebstahl der Kutsche, mit der Manon und Des Grieux nach Paris fliehen, kann kaum Mitleid empfinden, wenn er immer panischer und auch wütender wird beim russischen Roulette. Auch stimmlich wirklich eine tolle Leistung des jungen Tenors Kluge.

Fotorechte: Brinkhoff/Mögenburg (Premierenserie)
Björn Bürgers als Manons spiel- und drogensüchtigen Cousin Lescaut gelingt es zum einen mit seiner schönen Baritonstimme, besonders mit der Arie Rosalinde, zu begeistern. Zum anderen geht die Art und Weise, wie sich Bürgers Lescaut von einem trinkfreudigen, aber irgendwie liebenswerten, Raubein über einen Luxuskokser zu einem Wrack von einem Heroin-Junkie entwickelt, unter die Haut.
Benjamin Bernheim gehört zu jenen Tenören, deren Stimme diese Tonlage so beliebt machen, da sie ganz anders als Bürgers faszinierendes Spiel und auf angenehme Weise unter die Haut gehen. Er hat einen unglaublichen Schmelz in seinem lyrischen und doch kraftvollen Tenor, weiß zu modellieren. Seine Höhen kommen leicht und strahlend. Bei Ah, fuyez douce image vermittelt Zärtlichkeit und Verliebtheit, Je suis seul, seul enfin eine Mischung aus Verzweiflung und Sehnsucht. Mühelos beweist er sein Können als einer der führenden Tenöre dieser Zeit. Etwas mehr Mühe kostet es ihn, darstellerisch in den von Bösch sehr jugendlich angelegten Des Grieux zu schlüpfen. Es ist ersichtlich, dass er, wie er sagt, wahnsinnig gerne in dieser Produktion singen wollte. Doch wie schon bei der vergangenen Manon, als Enea Scala die männliche Hauptrolle sang, schrieb ich Alle ihre Partner stehen zwar irgendwie im Schatten dieser Manon, begeistern aber dennoch. Ja, diese Manon verzauberte jeden: Elbenita Kajtazi .

Stückplakat der Staatsoper Hamburg
Und dem ist auch nach dieser Vorstellung nicht viel hinzuzufügen. Kajtazis Naivität im ersten Bild, ihre Zerrissenheit im zweiten, die Freude, die sie am Luxus hat, das alles vermittelt sie mit einer Leichtigkeit, die, – klingt es auch abgedroschen, den Eindruck vermittelt sie lebe ihre Rolle. Das gilt umso mehr für die letzten Bilder und bezieht sich immer auch auf ihre stimmlichen Leistungen, die nicht von ihrer leidenschaftlichen Art zu spielen zu trennen sind. Es ist, als bedinge die Ausdruckskraft, die Leichtigkeit mit der Kajtazi die Spitzentöne, die Piani, die Übergänge und alles andere bewältigt, die Intensität ihres Spiels und umgekehrt.
Wie schön, dass sie noch als Micaela (Carmen), als Líu (Turandot) und auch als Mimi (La Bohème) zu sehen sein wird. Und auch eine baldige Rückkehr von Benjamin Bernheim an die Staatsoper Hamburg wäre schön.
Fazit: Eine Vorstellung, die bedauern lässt, dass es diese Oper in dieser Saison nur noch am 24.09. zu sehen geben wird, denn Besetzung, Inszenierung, vor allem aber Massenets Musik berühren und bewegen auf eine Art, die nicht anders als schön zu nennen ist.
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 21.09.2022
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