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Theater Magdeburg – Der Goldene Hahn: Dodon regiert im Schlaf. Anna & Team durch Phantasie

Tirlelbild: Photo Credit: Nilz Böhme

Nikolai Rimski Korsakows  Der Goldene Hahn,  feierte am 10.09.22 Premiere  am Theater Magdeburg. Einmal mehrbestätigte sich die These Es kommt, nicht auf die Größe an, die Größe eines Opernhauses. Denn Anna Bernreitner und ihr Team, wie auch alle Darstellende, allen Voran Katerina Estrada Tretyakova (Zarin von Schemacha)und Vazgen Gazaryan (Zar Dodon), aber ausnahmslos alle andere inklusive Chor und der von GMD Anna Skryleva geleitete Philharmonie, erzählten uns phantasievoll ein Märchen. Ein Märchen mit viel und immer währendem Wahrheitsgehalt

Vazgen Gazaryan, Jana, Kolleck, Adrian Dwyer
Alle Fotos: Nilz Böhme

„Saß einmal, vor langen Zeiten…“

… irgendwo im neunmalweiten Zarenreiche auf dem Thron, der berühmte Zar Dadon.
So beginnt Alexander Puschkins Text Das Märchen vom goldenen Hahn, dem Nikolai Rimski Korsakows gleichnamige Oper zugrunde liegt. Wladimir Belski schrieb Libretto. Damals, nach der Aufführung an der Pariser Oper (1832), erlangte die Oper, heute leider verblassten Weltruhm, galt als eine Art Meilenstein  des neuen Musiktheaters.

Dadon, seine Söhne Gwildon und Alfron die sich spinnefeind sind, und General Polikan besprechen,  wie Gefahren für das Reich zu  bekämpft und beseitigt werden könnten. Unterstützung bekommt er in Form eines Goldenen Hahns, der ohne Unterlass zu krähen beginnen würde sobald sich auch nur das kleinste Zeichen von Gefahr zeigen würde. Dem Schenkenden, einem Astronom, verspricht Dadon, die Erfüllung  seines ersten Wunsches. Ein Krieg kommt, die Söhne erschlagen sich gegenseitig und Polikan und Dadon begegnen der wunderschönen geheimnisvollen Zarin von Schemacha, die behauptet um einen Krieg zu gewinnen benötige man kein Herr sondern nur Schönheit, wie die ihre. Und wirklich erliegt Dodon den verführerischen Klängen Schmachas‘ Lieder. Sein Gesang betört sie allerdings weniger, doch als er der erste ist, der es wagt ihr zu widersprechen, begleitet sie  ihn in sein Reich in dem wieder Ruhe einkehrte. Hier nun fordert der Astronom, Schemacha als seinen von Dadon versprochenen  Preis. Stattdessen und zum Amüsement der Zarin erst mordet Dadon den Rivalen um dann vom Goldenen Hahn regelrecht zerhackt zu werden. Die Zarin ist verschwunden, der Astronom. plötzlich wiederbelebt, kann sich nur kurz der Illusion hingeben der neue Zar zu sein, flieht, das Ende des Märchens verkündend.

Johannes Stermann, Vazgen Gazaryan, György Hanczár, Marko Pantelić 
Alle Fotos: Nilz Böhme

Nur ein Märchen war’s, nicht mehr –Doch sei’s manchem eine Lehr.“, heißt es bei Puschkin, obwohl sicher nicht nur ich den zweiten Teil der Aussage stark in Zweifel ziehe.

Kikerii – kerikukuh! -Schlaf nur Zar, regier in Ruh…

Anna Bernreitner (Regie), Hannah Rosa Oellinger, Manfred Rainer (Bühne, Kostüme, Video) und Choreografin Steffi Wieser ist es gelungen durch authentische Charakterisierung aller Beteiligten, inklusive der Armee Dodons  und des Gefolges  Schemachas, wie auch durch aussagekräftige Bühnenbilder und Kostüme eine phantasievolle Welt zu zeichnen, die der Musik stets gerecht wird. Und die  von den fantastischen, Darstellerì*nnen klangvoll zu einem Leben erweckt  wird das auch vor Spielfreude sprüht

Dodons Reich ist düster, sein Thron ist durch mehrere Stufen erhöht , die Umrandung der Spielflache, ist einem steinernem Theatervorhang nachempfunden. Regieren braucht halt eine Bühne,  aber regiert eine  Bühne(nerzählung) nicht auch irgendwie das Leben?
Wie  der Zar  am Anfang wie schlummernd dasitzt lässt an den müden König aus Peter Jacksons Trilogie Herr der Ringe denken, seine Gewand ähnelt allerdings ehr dem Fell eines Steinzeitmenschen. Eigentlich bedarf es des Rates des Hahns gar nicht, denn selbst Dodons hauptsächlich  bestehend aus devoten, aber auch kopflos ängstlichen Soldaten weiß: Der Zar regiert sein Land im Schlaf. Bernreitner und Team nehmen dies wortwörtlich und lassen den Zaren nicht nur auf dem Thron dösen sondern sich zum Schlafe niederlegen.

Die beiden Söhne gleichen, mit elibethianischer Halskrause und Pagenkopf, den jungen Adligen der Shakespeare Ära und streiten und bekämpfen sich,  auch so. Herrlich böse der Einfall, dass sich die beiden als Vorbereitung für den Auszug gegen die Feinde sehr gründlich die Zähne putzen

Adrian Dwyer, Vazgen Gazaryan, Jana Kolleck
Alle Fotos: Nilz Böhme

Der dürre quirlige, etwas weltfremde Astronom, wirkt wie eine Art Catweezle oder auch,  einem nach langer Zeit  seiner einsamen Insel entkommenem Robinson Crusoe. Allein der Goldene Hahn strahlt hell, machtvoll, und wie sich später erweist, trügerisch rein. 

Aus dem Zelte, jung und blühend, wie das Morgenrot erglühen…

Wesentlich bunter, aber ebenso symbolträchtig geht es im zweiten Akt, in der Welt  der Zarin Schemacha zu, einer hier extraterrestrischen Herrscherin, die nicht aus einem Zelt, sondern aus einem bonbonfarbenen Raumschiff tritt. Sie ist eine achtarmige Schönheit, eine Spinne die ihr Netz Charme und Katerina Estrada Tretyakova schönem Sopran webt und mithilfe ihrer ausschließlich weiblichen oder weiblich gekleideten exotischen, teilweise tierischen  Gefolgschaft. Sie umschwärmt Dodon, hebt mit ihm in ihrem  Raumschiff ab. Oder besser, das Weltall, samt des, die Laune ständig wechselnden Monds, wirbelt um die beiden herum.

 Alles in allem gibt es  in dieser Produktion viel  zu sehen, zu entdecken zu verstehen, das beim ersten Besuch des Stückes nicht zu erfassen ist. Dennoch oder auch dadurch und auch ohne dass man dem Obertext, der das Russische ins Deutsche übersetzt  zu viel Aufmerksamkeit schenken  muss, unterhält dieser Abend wunderbar. Bernreitner & Team  benutzen Rimski Korsakows bildmalerische Musik  um damit auch szenische, effektvolle Akzente zu setzen. Sei es dass der Hahn seine Unruhe zeigt, wenn die Piccoloflöten, in höchsten Tönen erklingen oder auch die Personen sich passend zu den einfachen, einprägsamen Volksliederähnlichen Melodien bewegen. Dies sind nur zwei kleine Beispiele, für das, was ich gerne Symbiose zwischen Musik und Spiel nenne. Das Spiel wurde nun lang und gerechtfertigt erwähnt. Jetzt ist es an der Zeit, die musikalischen Leistungen auf und vor der Bühne  zu würdigen.

Katerina Tretyakova, Vazgen Gazaryan, Tanzstatisterie
Alle Fotos: Nilz Böhme

…neigt sich liebevoll zur Seite, hin zur schönen Schamachan …

Auch für den letzten Teil meiner Rezension wähle ich als Überschrift einen Satz aus Pusckins Märchen. Denn im Grunde dreht sich alles doch irgendwie um die schöne Zarin von Schemacha, der auch wir uns ganz und gar zuneigen, tritt sie auch erst im zweiten Akt auf. Der aber gehört dann zu fast 100% ganz ihr: der Sopranistin Katerina Estrada Tretyakova s Zarin von Schemacha. Es ist schon mehr als fünf Jahre und damit viel zu lange her, dass ich sie, während ihres damaligen Engagements an der Staatsoper Hamburg in den unterschiedlichsten Partien erleben dürfte. Desto größer waren Freude wie Erwartungshaltung. Eides wurde, wie es so schön heißt zur vollsten Zufriedenheit erfüllt! Ja, vielleicht haben die Koloraturen im Laufe der Jahre  etwas an Leichtigkeit verloren doch an Sicherheit auf keinen Fall und die Stimme hat an Reife und Ausdruckskraft noch dazu gewonnen. Jeder verführerische Ton malt ein ebenso verführerisches Bild in die Vorstellungskraft des Publikums. Mimik und Gestik wirken authentisch und nie fehlt eine Prise augenzwinkernder Humor. Estrada Tretyakova mit der Stimme einer Prima Donna und der Ausstrahlung einer Diva ohne Allüren und es bleibt zu hoffen, dass sie wieder öfter in unseren Breiten zu sehen sein wird.

Auch sie kenne ich aus Hamburg aus ihrer Zeit im Internationalen Opernstudio Hamburg, auch ihr wünsche ich noch viele schöne Partien, zunächst hierin Magdeburg: Na’ama Shulman. Sie lieh dem, von Jana Kolleck szenisch dargestelltem Hahn, ihren glockenhellen, schönen Sopran. Beide  Künstlerinnen zeichnet Sicherheit und Präzession aus. Die eine in ihrer Stimmführung, die andere in ihrer perfekten Imitation der Bewegungsstruktur eines Huhns. Die dritte Dame auf der Bühne war Jadwiga Postrożna als Almefa, mit vollklingendem Mezzosopran widmet sie sich hingebungsvoll Hahn und Zar, ohne am Ende die Freude über den Tod Dodons zu verhehlen.

Alle Fotos: Nilz Böhme

Vollständig wird das Damenquartett durch eine deren Instrument ein dünner Stab statt der eigenen Stimme ist und deren Platz sich nicht auf der Bühne sondern im Orchestergraben befindet: GMD Anna Skryleva. Einfühlsam machen  bringen  sie und die Magdeburger Philharmonie uns die russische Seele, die mal heiter, mal romantisch, mal sehnsuchtsvoll  in Rimski Korsakovs Melodien lebt näher. Alle Damen auf der Bühne und die Damen und ihre männlichen Kollegen hatten den Jubel am Ende der Vorstellung mehr als verdient.

Vor Dadon erschien der Weise, neigte tief das Haupt, ,…

Auch vor den Herren auf der Bühne wurde – natürlich – in Form von Begeisterung symbolisch das Haupt geneigt.  Bis zum eigenen Ende ist Johannes Stermann als Hauptmann Polikan, seinem Zaren würdevoll sonorem Bass ergeben. Ganz und gar der würdevolle Soldat, der nur kurz beim Anblick der schönen Zarin vergisst wo sein Platz ist.

Jana Kolleck, Katerina Estrada Tretyakova
Alle Fotos: Nilz Böhme

Tenor Adrian Dwyer überzeugt  mit unglaublich hohem hellem und sehr klarem Tenor ebenso wie durchseine lebendige, facettenreiche Spielweise, die keine  Zweifel an seinem Stolz auf seine Schöpfung den Hahn, seinem Begehren von Zarin Schemacha oder der Wut über Schwurbrecher Dodon  lässt.

 Tenor György Hanczár, ist ein wunderbar widerlich missgünstiger Prinz Gwydion,  Bariton Marko Pantelić  als sein Gegenspieler ein herrlich weinerlicher Prinz Alfron. Beide gewinnen mühelos durch das Kabinettstückchen ihrer Darstellungen das Publikum auf  ihre verquere Weise für sich. Denn sympathisch sind die Rollen nicht, aber halt buffonesk und  zum Schmunzeln bringend.

Vazgen Gazaryan schließlich ist ein lakonischer Zar mit einem Bass der neugierig macht darauf, ihn in anderen Partien zu sehen  und einer Haltung die, Selbstironie für die Partie verrät. Alleine die Art, wie  er dem Astronom , die Worte  Meine Launen sind Gesetz entgegenschleudert, ohne wütendem Nachdruck, sondern nur mit unwiderlegbarer Gewissheit, haben einen gewissen Charme und wenn er für Schemacha, mit rauer Stimme eher krächzt als singt, kann man nicht anders als zu lachen und ,wie eigentlich den ganzen Abend lang , zu dem Schluss zu kommen, dass dieses Stück, in dieser Produktion und dieser Besetzung, mindestens einen Besuch wert ist!

Und so gab es auch langanhaltenden Beifall, der von Jubel und Getrampel noch unterstützt wurde.

Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 10.09.22

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Links:
https://www.theater-magdeburg.de/
https://www.katerinatretyakova.com/
https://www.annaskryleva.com/
https://www.annabernreitner.com/
https://www.steffi-wieser.com/
https://www.naamashulman.com/
http://www.johannesstermann.com/de/vita/
https://www.adriandwyer.com/

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