Titelfoto(Auszug): Barbara Pálffy / Volksoper Wien
Not macht erfinderisch!“ So heißt ein altes Sprichwort. Es „Not“ zu nennen, dass ein persönliches Treffen letztendlich doch nicht zustande kam, ist übertrieben. Doch mein heutiger Interviewpartner, der griechische Bariton Aris Argiris, fand eine wirklich kreative Lösung. Er beantwortete meine Fragen sehr persönlich per Voicemail. Und gab mir so die Möglichkeit, den Dialog-Charakter, der mir so wichtig ist, zu erhalten. Wir führten sozusagen ein Gespräch in Absentia, in dem ich kurze, passende Einwürfe meinerseits einfügen konnte. Vielen Dank dafür! Und auch, oder vor allem, dafür, dass der sympathische Sänger wirklich die gesamte lange Liste meiner Fragen per Voicemail beantwortete. Eigentlich waren die Fragen nur als Auswahlmöglichkeiten, Leitfaden und Brainstorming für mich während eines persönlichen Gesprächs gedacht. Doch nun …
Nun wird es halt ein zweiteiliges Interview geben, denn Aris Argiris ist ein Sänger, der viel zu sagen hat.
Hier also Teil 2

BK: Weiter geht’s! Was sind deine Pläne für die nahe oder auch mittelfristige Zukunft? Ist Hamburg dabei?
AA: Vor kurzem habe ich nun, mit einer sensationellen und berührenden letzten Vorstellung, die Serie von Verdis Nabucco in St. Margarethen abgeschlossen. Am 28.8. endete mein letzter Aufenthalt in Bayreuth, als Cover für Wotan/Wanderer im diesjährigen Ring. Danach geht es sofort nach Braunschweig für die Neuproduktion von Rheingold (Premiere 08.10.2022) und nach Chemnitz zur Wiederaufnahme von Aida (29.10.2022) wo auch Anfang 2023 den Amonasro singe. Im Januar 2023 singe ich in Braunschweig erneut den Wotan im Rheingold und im März dann, allerdings konzertant, den Walküre-Wotan. Am 11. März 2023 singe ich zusammen mit meiner Frau, der Mezzosopranistin Lupe Larzabal, in der Peterskirche in Wien ein neues Werk Ihres Vaters Jose Luis Larzabal, einem fantastischen Komponisten. Es ist die Welturaufführung seines Stabat Maters. Am 26. März singe ich auch in Wien, im Schubertsaal des Musikvereins, den Liederabend Der griechische Schubert in der Orchesterfassung. Ich habe es schon in Bonn und Kusel, mit meinem langjährigen Begleiter und freund Peter Bortfeld am Klavier, gemacht. Wir beiden führen es noch einmal am 08. April in der Staatsoper Athen auf. Einige andere Sachen kann ich noch nicht sagen, da sie noch nicht unterschrieben sind. Eines kann ich aber sagen, Hamburg ist noch nicht dabei.
BK: Schade. Aber ansonsten klingt das aufregend und wirklich interessant. Besonders, dass du mit deiner Gattin das Stabat Mater aus der Feder ihres Vaters singen wirst, hört sich aufregend an. Ich wünsche viel Freude und Erfolg. Apropos Erfolg. Wann ist eine Vorstellung für dich erfolgreich? Wenn Kritiker und Publikum jubeln oder du mit dir zufrieden bist?
AA: Bei dieser letzten Vorstellung von Nabucco gab es für mich Standing Ovations. Das ist eine überwältigende Erfahrung, wenn mehr als 4000 aufstehen, um deine Leistung zu danken. Es zeigt mir, dass ein großer Teil des Publikums all die Arbeit, die dazugehört, bemerkt und wertschätzt hat. Das bedeutet für mich auch Erfolg: Die Anerkennung des Publikums.
Manchmal schreiben Kritiker keine guten Rezensionen und das Stück ist trotzdem ein Publikumserfolg. Ich freue mich riesig, wenn die Kritiken positiv sind. Ich glaube das tut jeder. Denn indirekt hilft das, sich weiter auf dem Markt behaupten zu dürfen und ist vielleicht auch eine indirekte Empfehlung für andere Theater, um neue Engagements zu bekommen. Aber die Reaktion des Publikums kann man nicht ignorieren, denn sie ist unmittelbar sofort spürbar.

Photo Credit: © Kirsten Nijhof
BK: Stimmst du mir also zu, dass viel auch von der Energie, der „Tagesform“ der Zuschauer*innen abhängt, der Energie, die fließt?
AA: Ja sicher.Man kann die Energie des Publikums spüren. Man merkt: „Oh, heute ist das Publikum schwierig.“ Und weiß dass man mehr geben muss. Man braucht mehr Intensität, muss sich neu erfinden, um dieses Publikum zu erreichen. Manchmal erreicht man es nicht. Manchmal kann man es durch seine Leistung aufwecken und mitreißen. Es ist immer eine Frage der Form des Sängers und auch des Publikums. Eine „give and take“ Situation sozusagen oder noch besser: eine Symbiose zwischen Sängern, Orchestern und Publikum.
BK: Du unterrichtest auch an der Universität Berlin, wie wichtig ist dir diese Arbeit? Ich kann mich dir als sehr leidenschaftlichen Lehrer vorstellen. Einer, der nicht doziert, sondern ähnlich wie Mezzosopranistin Tanja Baumgartner das Ganze auf Augenhöhe sieht und als ein Geben und Nehmen. Ist es ein zweites Standbein, falls die Rollen ausbleiben, oder eine ebensolche Leidenschaft wie die Bühne?
AA: Unterrichten ist für mich eine große Leidenschaft und kein zweites Standbein, falls die Karriere nicht mehr richtig läuft. Ich bin überzeugt, dass ich die sogenannte „italienische Schule“ vertrete und möchte junge Sänger darin ausbilden,damit diese Gesangsform nicht ganz vernachlässigt wird. Denn voller Enttäuschung stelle ich immer öfter fest, dass diese „italienische Schule“ immer mehr aus der Ausbildung und so auch von der Bühne verschwindet. Ich möchte an meine Schüler weitergeben, was ich gelernt habe, so dass auch sie es auch weitergeben können und diese Gesangstradition weiter lebendig bleibt.
Auf Augenhöhe … Es ist eine Werkstatt, ein Workshop, wir arbeiten zusammen. Ich habe noch viel zu sagen durch meine Erfahrung und wichtig ist, dass ich noch aktiver Sänger bin und keiner, der vor vielen Jahren seine Karriere beendet hat. Ich habe den Höhepunkt meiner stimmlichen Möglichkeiten noch nicht erreicht. Ich bin ungefähr auf der Mitte meines Weges und sammle noch viele Erfahrungen, lerne noch viele Tricks und neue technische Elemente kennen. All dies möchte ich weitergeben und so neuen Talenten helfen, sie auf der Bühne zu bringen.

BK: Wie stehst du zu der Aussage, dass musikalisches Talent und musikalischer Ruhm nicht immer Hand in Hand gehen, sondern, dass es talentierte, nicht berühmte Künstler ebenso gibt wie Berühmtheiten, deren Talent diesen Ruhm nicht wirklich rechtfertigt.
AA: Berühmtheit bedeutet nicht immer auch hohe Qualität und Qualität führt nicht automatisch zu Berühmtheit. Um Berühmtheit zu erlangen, spielen viele Faktoren wie Talent, Musikalität, schauspielerische Fähigkeit- und ja meistens – so hoffe ich, auch Qualität. Es gibt, wie in alle berufsgruppen, Sänger, Schauspieler, Intendanten, Dirigenten und auch branchenunabhängig andere Menschen, die auf anderen Wegen berühmt geworden sind. So ist das Leben. Für mich ist es etwas, das dazu gehört. Man muss bei sich selbst bleiben, nicht aufgeben, und kämpfen, um sich und seine eigenen Qualitäten zu präsentieren und so, mit harter Arbeit und ein bisschen Glück, an die Spitze zu gelangen.
BK: Eine wirklich gute, tolerante Einstellung, die wie ich finde, eine gewisse Stärke und Sicherheit braucht. Findest du die, bei deiner Frau Lupe und deinen Töchtern?
AA: Meine Familie ist das wichtigste Element meines Lebens. Ohne meine Familie wäre ich nicht, wer ich bin. Ich habe das Glück eine wunderbare, hochtalentierte Frau zu haben. Wir helfen und unterstützen uns gegenseitig bei unseren Projekten. Sie ist eine unglaubliche dramatische Mezzosopranistin und dazu Chorleiterin und Komponistin. Wenn wir Projekte zusammenmachen, geben wir beide 100 Prozent. Sie ist meine schärfste Kritikerin und ich auch ihre. Wir ergänzen uns und diskutieren alles. Wir sind die besten Freunde, nicht nur Mann und Frau, Vater und Mutter oder Geliebte. Wir fiebern füreinander oder miteinander bei unseren musikalischen Projekten. Lupe ist -ohne Klischee- wirklich meine bessere Hälfte. Und meine Kinder sind wirklich das Licht meines Lebens. Meine Familie macht einen besseren Künstler aus mir.

Photo Credit: Aris Argiris
BK: Wow, das klingt wunderbar.
Anderes Thema: Du hattest im ersten Teil unseres Gesprächs bereits von deinem politisch-sozialen Engagement gesprochen. Wie politisch müssen/ dürfen Künstler heutzutage sein? Findest du es richtig, dass Künstler, in eine Art Fadenkreuz geraten, wenn es um ihre Haltung zu Putin geht?
AA: Kunst und Kultur ist immer politisch. Ein Mensch ist ein politisches Wesen. Wir agieren in allem was wir tun politisch. Was wir kaufen, mit wem wir sprechen, was wir hören oder sehen – alles hat eine politische Wirkung. So, ob man als Künstler sich nun laut und deutlich zu Putin und den Krieg äußern soll…? Nein, das finde ich nicht. Wir wissen alle, das, was Putin macht, ein Interventionskrieg ist. Aber ich finde nicht, dass man Künstler zwingen sollte, zu zeigen auf welcher Seite sie nun stehen. Ich finde es falsch zu sagen, wir eliminieren alles was russisch ist oder ukrainisch oder amerikanisch, oder…. ich finde das absolut daneben. Natürlich muss man entscheiden ob man einen Diktator unterstützen möchte oder von einem Diktator unterstützt werden will. Doch das ist ein sehr schmaler Grat. Wie gesagt, ich bin absolut gegen einen Zwang für Künstler sich in Bezug auf Putin politisch klar zu positionieren.
BK: Hut ab für dieses Statement zu einer Frage, die mich einfach nicht loslässt. Zum Abschluss, nach diesem ernsten, wichtigen Thema nun noch das, was ich gerne „Klönfragen“ nenne. Auf der Bühne: Lieber Lied oder Oper?
AA: Beides, auf jeden Fall beides. Ich habe erst spät den Mut zur Liedinterpretation gehabt. Doch beides ist für mich hochinteressant und spricht meine Seele an. Gerne würde ich mich und ich versuche es gerade sehr intensiv, mehr dem Lied zu widmen. Die Musikwelt kennt mich hauptsächlich als Opernsänger. Daher, es ist nicht leicht, sich als Liedsänger, auf dem Markt zu behaupten. Trotzdem ich bleibe mit Fleiß und Blut dabei, denn ich liebe Lieder.
BK: Ist das Glas deines Lebens halb voll oder halb leer?
AA: Es ist nicht immer leicht, das Glas als halbvoll zu sehen. Aber meine Familie und ich finden immer irgendwie das Licht am Ende des Tunnels.
BK: Das ist doch ein schönes Schlusswort! Danke für all die Zeit, die Mühe, die Ehrlichkeit und die Offenheit!
Birgit Kleinfeld für operngestalten.de, August 2022