Titelbld: Karen Azatyan, Evin Revazov, Florian Pohö,
Farbenfrohe, elegante Kostüme für die Welt von Leontes, dem König (Shakepeares‘) Siziliens, von Statuen geprägte, gediegene Bühnenbilder, und im Gegensatz dazu ein mit Talismanen und Göttergaben geschmückter hohler Baum mit ausladender Krone in (Shakepeares‘) Böhmen, so wie viele Videoprojektionen und Tuchprospekte, die das Meer oder den Gewitterhimmel zeigen, das sind die Dinge mit denen wir in die Welt des Balletts A Winter’s Tale entführt werden. Und natürlich Joby Talbots wunderbare Musik, die Emotionen, Situationen und auch folkloristische Traditionen hörbar macht.

vorne: C. Evans, X. Lin
Photo Credits alle Bilder: Kiran West
Das Hamburg Ballett tanzte dieses Mal eine Choreografie von Christopher Wheeldon. Es gab drei Vorstellungen in zwei alternativen Besetzungen, die beide der Geschichte neben der auferlegten Choreografie und Regie, dennoch jede auf eine ganz eigene, unterschiedliche Art und Weise etwas Besonderes gaben und so verschieden Saiten beim Publikum anschlugen. Am 1.7.22 gaben, nach den Tänzern der Premiere, Edvin Revazov, Anna Laudere, Karen Azatyan, Patricia Friza, Christopher Evans und Xue Lin Ihre Rollendebüts in Wheeldons Adaption von Shakespeare’s Drama um zwei Könige zweier Reiche, deren tiefe Freundschaft zerbricht, weil der eine (Leontes) den anderen (Polixenes) beschuldigt, der eigentliche Vater des Babies zu sein, das Leontes Gattin Hermione in sich trägt. Es kommt zum Bruch, der etwa 10 jährige Erstgeborene stirbt, Hermione augenscheinlich auch. Die neugeborene Tochter Perdita wird von der Dienerin Paulina und deren Gatten Antigonus gerettet, wächst in der Ferne – in Böhmen – unerkannt als Tochter eines Fischers auf. Zwischen ihr und Florizel, dem Prinzen von Böhmen, entsteht eine Liebe, mit der der Vater nicht einverstanden ist. Sie finden Asyl an Leontes Hof und natürlich gibt es ein Happy End – für alle. Sogar Hermione erwacht aus einer Statue zum neuen Leben.

J. Belussi, I. Praetorius, F. Paquet
Photo Credits alle Bilder: Kiran West
Bei Shakespeare erwacht Leontes Eifersucht auf Grund eines falschen Orakels, was mit der Enthüllung von Hermiones Scheintod endet. Wheeldons Interpretation ist subtiler, lässt den Zuschauer*innen viel Raum für eigene Interpretationen, auch was die Wiederauferstehung der Hermione angeht. Denn der Auslöser für Leontes wahrhaft wahnhafte Eifersucht ist der Moment, wenn seine hochschwangere Gattin auch die Hand Polixenes‘ auf ihren Bauch legt.
Auch hier beeindruckt und fasziniert Edvin Revazov durch seine tänzerische Präzision, kombiniert mit intensivem Ausdruck. Das beginnt in dem Moment, wenn sich sein ganzer Körper, in der plötzlichen Überzeugung betrogen worden zu sein, versteift und dann seine Hand ein krampfhaftes Eigenleben bekommt. Der Anfang von Kontrollverlust und Vermischung von Realität und Vorstellung. Ja, es mag sein, dass da mehr ist zwischen Hermione und Polixenes, denn wir sehen die beiden alleine, heimlich von Leontes beobachtet zwischen den Mamorstatuen lustwandeln. Doch die verfänglichen Momente finden im Dunkeln statt und nur einmal fast unter den Augen Leontes. Sonst ist der Beobachter immer von den steinernen Figuren verborgen. Dass sich die Freunde am Ende wieder versöhnen, die Tochter des einen den Sohn des anderen heiratet und die Beschuldigte von einer Statue zu einem lebenden Menschen zurück verwandelt wird, lässt stark vermuten, dass alles nur Leontes Hirn entsprungen ist. Was ein wenig kitschig anmutet, aber in einem wunderschönen Pas de deux gipfelt, gleicht einer Parabel, einem Nachweis, das Wahrheit und Unschuld nicht vernichtet werden können.

Photo Credits alle Bilder: Kiran West
Revazov und Anna Laudere, gelingt es diesem Wiedersehens-Pas de deux gefühlvoll, aber ohne falsche Sentimentalität, Liebe, Reue und Vergebung darzustellen. Was Shakespeare-Darsteller in Worten sagen würden, teilen sie uns durch ihre Körper, ihre Gesten mit und das mit einer natürlichen, wie selbstverständlichen Harmonie, die vielleicht einen Teilursprung auch im gemeinsamen Privatleben hat.
Anna Laudere besticht das gesamte Stück hindurch durch ihre Anmut und ihre wandlungsfähige Bühnenpräsenz, sie genießt das Leben, liebt, verzweifelt und verzeiht und Ausdruck wie Bewegungen scheinen tief aus dem Inneren zu kommen.
Patricia Friza (Paulina) und Florian Pohl (Antigones) sind auch ein Teil der von Eifersucht und Misstrauen dominierten Welt an Leontes Hof. Sie rettet das ungewollte Baby indem sie ihn dazu bringt, es außer Landes zu bringen, versehen mit einer Kette, die Leontes in guten Zeiten der Gattin schenkte und an Hand derer Perdita erkannt wird. Antigonus fällt am Ziel der Reise, in Böhmen, dem stürmischen Meer zum Opfer. Paulina gibt dem trauernden Leontes Halt, scheint dadurch selbst noch einen Sinn im Leben zu finden. Friza, wie auch Pohl geben auch hier ihren Rollen unverkennbare Züge und Stärke.

Photo Credits alle Bilder: Kiran West
Karen Azatyan (Polixenes) beeindruckt durch seinen kraftvollen Tanzstil, überzeugt aber auch als verletzter Freund wie als strenger Herrscher und Vater in einem Böhmen, das geprägt ist von Lebensfreude und fröhlicher Ausgelassenheit, was sich in vielen Tänzen zeigt. Doch Polixenes macht dem Fest und dem verliebten Geplänkel seines Sohnes Florizel und der vermeidlichen Fischerstochter Prinzessin Perdita ein Ende. Getanzt werden diese beiden von Christopher Evans und Xue Lin, lassen schmunzeln ob ihrer rollenbedingten, überschwänglichen Verliebtheit und erfreuen mit ihrem Können, der Leichtigkeit in Bewegung und Ausdruck. Die folgende Flucht, samt Verfolgung, ist musikalisch so spannend wie szenisch auf unspektakuläre Art fantasievoll: ein Video von einem Schiff in Sturm umtoster See, als Segel flatternde Tücher.

Photo Credits alle Bilder: Kiran West
Die Ankunft der Geflohenen und auch ihrer Verfolger am Hof von Sizilien geht einher mit dem Ende langjähriger Trauer dort, der Enthüllung von Perdita als Prinzessin von Sizilien und einem fröhlichen Hochzeitsfest, bei dem nun auch noch einmal das gesamte Ensemble sein Können beweisen kann.
Zusammen mit allen Tänzern wurden natürlich auch das von David Briskin geleitete Philharmonische Staatsorchester Hamburg, Christopher Wheeldon (Choreografie und Szenario), Joby Talbot (Musik und Szenario), Bob Crowley (Bühne/Kostüme), Natascha Katz und Simon Bennison (Licht/Lichtadaption) mit lang anhaltendem Applaus bedacht. Wie schön, dass dieses Ballett auch in der kommenden Spielzeit auf dem Plan steht.
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 1.7.22