Tennessee Williams erster Bühnenerfolg Die Glasmenagerie ist schon als Bühnenstück eines von jenen, die berühren und unter die Haut gehen, da sie sich – zur Entstehungszeit etwas Innovatives –nicht mit weltbewegenden oder geschichtlichen Ereignissen beschäftigen, sondern den Träumen, Hoffnungen und Enttäuschungen ganz normaler Menschen. John Neumeier ist es, besonders auch dank seiner Hauptdarstellerin Alina Cojocaru, seiner Erzählweise und seiner geschickten Musikauswahl, gelungen, die Wirkung noch zu intensivieren. Belohnt wird das gesamte Hamburg Ballett, bekannt dafür, anderes zu bieten als rein klassische Tanzkunst, mit lang anhaltendem Applaus und Jubel.

Fotocredit alle Fotos: Kiran West
Williams Stücke, wie auch seine Novellen, sind bekannt für ihre autobiografisch orientierten Inhalte und Bezüge, wie auch ihre Symbolträchtigkeit. Die Glasmenagerie erzählt die Geschichte der Familie Wingfield. Da ist Tom, künstlerisch begabt aber gefangen in der monotonen Arbeit einer Schuhfabrik. Mutter Amanda, verzweifelt auf der Suche nach ein wenig Glück und vor allem Laura Rose, die gehbehinderte Tochter, so zerbrechlich und zart wie die Glastiere, allen voran ein Einhorn, die sie so liebt. Aus der Sicht von Tom, aber hauptsächlich in Rückblenden und Erinnerungen von Tennessee Williams selbst, machen Neumeier und seine Tänzer die Träume, Leidenschaften, Hoffnungen dieser drei sichtbar.

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Es beginnt mit Kindheitserinnerungen, in denen Laura Rose und Tom mit ihrem Kindermädchen spielen, das Laura einen Kristallstern schenkt. Ozzi wird überzeugend dargestellt von der Gasttänzerin Stacey Denham, Laura Rose und Tom von den talentierten Ballettschüler*innen Laura Laetitia Naber und Andrej Urban. Am Ende des Stückes steht Toms Flucht aus dem Zuhause und der Flucht der beiden Frauen in ihre Traumwelten, als sich ein weiterer Wunsch, nämlich in Toms Kollegen Jim einen Ehemann für Laura Rose zu finden, nicht erfüllt.
Neumeier erweist erneut viel Geschick bei der Musikauswahl. Er verwendet Fragmente der Musik der Stücke Tennessee Williams wie auch Werke aus den Federn von Charles Ives, Philip Glass und Ned Rorem. Durch sie, das Bühnenbild, das die Spielorte treffend und ausreichend skizziert, raffinierte Lichteffekte, die auch dank einer, die Bühne in zwei Bereiche teilende Glaswand, in den Traumsequenzen die Illusion hervorrufen, die Tänzer bewegten sich zwischen zwei Welten, und nicht zuletzt durch die sensible Personenführung, erhält dieses Ballett eine wahrhaft atmosphärische Dichte.

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In der Rolle des Tennessee Williams ist, mit dunkler Perücke, Edvin Revazov zu erleben, der mehr und mehr an darstellerischer Reife und Ausstrahlung gewinnt, zusätzlich zu seiner technischen Brillanz. Er beeindruckt hier durch sanfte, weiche Bewegungen, wenn er zum Beispiel Laura Rose schützend umarmt oder vor einem Fall auffängt. Man spürt die Verbundenheit, die Tennessee zu ihr und auch den Rest seiner Familie fühlt, auch in den von Neumeier erdachten Bewegungen in gemeinsamen Szenen. Besonders harmonisch und eindrucksvoll wirken die Szenen in denen Revazov auf Félix Paquet als Tom Wingfield trifft. Beider Sprünge sind auf mühelose Art kraftvoll und es ist unübersehbar, dass Tennessee sich in Tom wiedererkennt. Sei es wenn der eine den anderen in den Arm nimmt oder sie durch gleiche Bewegungen ähnliche Gefühle vermitteln.

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Paquet, der gerade als König Leontes in der diesjährigen Balletttage-Premiere Christopher Wheeldons A Winter’s Tales zu sehen war, überzeugt auch als nach Freiheit und Leben dürstender, künstlerisch begabter Tom. Die Szene, wenn er zuerst seinen Kollegen und Freund Jim überredet, still und mit nacktem Oberkörper für ihn Modell zu sitzen um dann vergeblich sein erotisches Interesse zu bekunden, ist erfüllt von geschmeidig ausdrucksvollen Bewegungen und auch subtil humorvollen Gesten. Paquet versteht es, all den kleinen und auch größeren Gesten, die Neumeier stets benutzt um die Emotionen seiner Charakteren zu verdeutlichen, Leben und Bedeutung zu verleihen. Sei es, wenn er in intensiver Pantomime die Glas- oder auch eine imaginäre Wand abtastet, um der Enge seines Heims zu entfliehen oder wenn er dem maliziösen Zauber des Besitzers von Mavolios Magical Bar erliegt, um sich dann völlig betrunken von seiner Schwester umsorgen zu lassen. Mavolio wird wunderbar hinterhältig, verführerisch von Marc Jubete dargestellt. Glamourös, in glänzendem Silberanzug, verleitet er mit Charme und Zaubertricks und mithilfe weiterer junger Herren in dem homoerotischen Ambiente der Bar zu mehr als nur zu viel Alkohol. Ein Moment trügerischer Freiheit.

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Auch sie lebt von Erinnerungen an eine Zeit, als sie noch begehrt und umschwärmt war. Amanda Wingfield, getanzt von der, auch als Prospekte verteilende Frau, eleganten Patricia Friza. Ihre Bewegungen fließen anmutig, wenn sie mit alten Verehrern tanzt oder auch mit Jim, nun ausgewählt als Galan für Laura Rose. Doch sie kann auch anders, verwandelt sich von einem Moment zum anderen von der träumenden Frau in die scheltende oder schützende Mutter. Sie lebt auf, wenn Jim erwartet wird, lebt auf im Tanz mit ihm. Es gelingt Friza wunderbar zu zeigen, wie in diesen Momenten die Jahre von Amanda regelrecht abfallen, ebenso wie die Schwere von Kummer und Leid.

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Er ist irgendwie der Mann für alle: Jim O`Connor. Eine gute Rolle für den wandlungsfähigen Christopher Evans, ist Jim doch auf der einen Seite humorvoll und lebenshungrig, aber dennoch in der Lage, auf Lauras Zerbrechlichkeit einzugehen und Tom für seine Annäherungsversuche nicht zu zürnen. Es ist rührend, wie er mit Laura Rose oder auch ihrer Mutter tanzt, ganz natürlich und ohne Böses zu wollen, das berühmte Leben in die traurige Bude bringt und auch in Laura Rose Hoffnungen weckt, hat sie ihn doch damals, als er der Star der Highschool – Basketballmannschaft war, heimlich angehimmelt. Die Szene, wenn er sich arglos um sie bemüht, sie nach heiteren Momenten scheinbarer Verbundenheit sogar küsst, bevor seine Verlobte Betty (Priscila Tselikova) ihn abholt, füllt Evans durch Gesten, Mimik und Tanz glaubwürdig mit Unbekümmertheit wie auch Bedauern.

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Doch eigentlich dreht sich in der Geschichte ja alles um sie: Laura Rose Wingfield oder besser ihre Darstellerin Alina Cojocaru. Sie erinnert mich in ihrer jugendlich sanften Ausstrahlung ein wenig an Marianne Kruuse, ist ähnlich wie diese einfach prädestiniert für all die von Neumeier kreierten Rollen von sensiblen, arglosen und rein wirkenden jungen Frauen, die aber doch eine innere Stärke ausstrahlen. Die Laura Rose ist für sich schon eine wunderbar vielschichtige Figur, bietet unzählige Möglichkeiten zu berühren, ruft aber auch Bewunderung hervor, da sie, wenn auch in einer Traumwelt, Ruhe, Frieden und vermeintliche Erfüllung findet. Cojocaru zu beobachten, wie sie darin aufgeht ihre Tiere zu betrachten, wie sie sich in Rückblenden im Kino Tagträumen von sich und Jim hingibt, rührt tief. In diesen Träumen verliert sie ihren verkrüppelten Fuß, dargestellt durch eine Art Bandage mit Absatz, mit der sie meist über die Bühne humpeln muss und den sie sonst auch beim Tanzen trägt. Sie wirkt so federleicht, wie sich jede Verliebte fühlt, sprüht nur so vor Freude und Glück. Doch sie überzeugt auch als um ihren Bruder besorgte Schwester, lässt schmunzeln wenn sie selbstvergessen zu alten Platten tanzt.

Dann ist da diese Selbstverständlichkeit, oder ist es eine mit der Realität abschließenden Geste, mit der sie Jim zum Abschluss das Einhorn, dessen Horn er im Spiel abbrach, schenkt. Um sich dann ohne Gram, vielleicht sogar erleichtert in ihre Traumwelt und die Arme ihres Traumeinhorns zu schmiegen. Ihm verleiht David Rodriguez durch seine Bewegungen, die sehr einschmeichelnd, fast katzenhaft weich sind, eine Aura von Friedlichkeit und Geborgenheit. Ganz das, was Laura Rose braucht und das Publikum ein wenig betört.
Fazit: Luciano Di Martino und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg und auch der gesamte, ungenannte Rest des Ensembles rundeten mit ihren Leistungen den Abend ab, den viele mit Vorfreude auf weitere Vorstellungen der 47. Balletttage oder/und darauf verließen, dass es Die Glasmenagerie auch nächstes Jahr zu sehen geben wird.
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 22.6.22.
Links:
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