Es gibt zwei Arten von Vorstellungen, bei denen man sich besonders wünscht nicht darüber schreiben zu müssen. Einmal jene, bei denen die Darsteller ebenso begeistern wie die Inszenierung verwirrt. Hier möchte man die einen loben, aber über den Rest den Mantel des Schweigens hängen. Und dann sind da Vorstellungen wie David Böschs Neuinszenierung von Gaetano Donizettis Oper Don Pasquale an der Staatsoper Hamburg. So wie die Inszenierung vor Ideenreichtum, die Sänger vor Spielfreude und Sangeslust nur so sprühen, hat man als Schreiber das Gefühl, niemals in der Lage zu sein genug Worte zu haben, um dem Genuss, dem Amüsement und der Freude gerecht zu werden, die man geboten bekam. Es sei denn, man schriebe einen Roman, oder zumindest eine Novelle. Einerseits möchte man zwar neugierig machen, aber andererseits auch wieder nicht zu viel verraten. Denn selbst erleben, entdecken und über Ge- oder Missfallen zu entscheiden ist ein wichtiger Teil eines Theater-/Opernbesuches.

Alle Fotos Credit: Brinkhoff/Mögenburg
Neben L‘Élisir D’Amore ist Don Pasquale die zweite berühmte Opera Buffa aus der Feder von Gaetano Donizetti und wurde am 3. Januar 1843 am Théatre-Italien in Paris uraufgeführt und schon damals von Publikum und Kritik begeistert aufgenommen. Regisseur David Bösch, Patrick Bannwart (Bühnenbild), Falko Herold (Kostüme) und Lichtgestalter Bernd Gallasch versetzen die Geschichte um den alten, reichen Geizhals, der durch eine Intrige davon geheilt wird, seinen Neffen zugunsten einer blutjungen (Schein)Ehefrau zu enterben, ins Hier und Heute. Was schon bei den anderen beiden Produktionen des Teams für die Staatsoper Hamburg, Massenets Manon und Mozarts Die Entführung aus dem Serail, von Erfolg gekrönt war, überzeugt auch hier auf ganzer Linie, weil die Adaption die Zeitlosigkeit des Themas zeigt ohne die Musik zu erdrücken.
Im Gegenteil unterstützt sie den Humor des Librettos, verbildlicht den federleichten Charme von einer von Donizettis letzten Opern, der es nicht an spritzigen Melodien fehlt, wie zum Beispiel Norinas Arie aus dem 1. Akt: So anch’io la virtù magica oder dem Parlando-Duett von Malatesta und Don Pasquale Aspetta, Aspetta, Cara Sposina aus dem zweiten Akt. Donizettis typische lyrisch- dramatischen Klänge sorgen für den Ausgleich zwischen Witz und Romantik, wie große Szene des Ernesto Povero Ernesto!/ Chercherò lontana terra/ E se fia che ad altro oggetto (Akt 2), seine Off-stage Cavantine Com‘ È Gentil La Notte A Mezzo, die beide gerne für Tenor Recitals benutzt werden. Oder auch das anschließende Duett von Norina/Ernesto: Tornami A Dir Che M’ami. Und auch Bösch und seinem Team gelingt der Drahtseilakt zwischen, wenn auch moderner, Romantik und nie in Slap-stick abgleitenden, mitreißenden Humor.

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Schon während der Ouvertüre, frisch und schwungvoll von Matteo Beltrami und dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg präsentiert, findet sich das Publikum in der geldbestimmten Welt des gewichtigen Don Pasquale wieder. Er haust in einem prall mit Geldscheinen gefüllten Tresor und trainiert auf einem, natürlich im Sale erstandenen, Hometrainer. Die offene Tresorwand dient als eine Art Leinwand, die Titelblätter fiktiver Zeitungen mit fiktiven Schlagzeilen und Bilder realer und medienbekannter Personen zeigt. So heißt es, dass Pasquale den HSV finanziert, Guido Maria Kretschmar das Hochzeitskleid der Braut entwirft und vieles mehr, wie zum Beispiel sichtbargemachte Chatverläufe, „live“ aufgenommene Videobotschaften und ähnliches. Bösch, Bannwart und Herold sind halt Experten darin, moderne Mittel geschickt einzusetzen um die Szene einfühlsam zeitgemäß zu beleben und kleine Botschaften zu vermitteln. Aber auch auf traditionelle und subtile Art beschenken sie das Publikum mit einer einfallsreichen Detailverliebtheit und Hinweisen fast zwischen den Zeilen. So verändert sich der Tresor im Laufe des Stückes. Ist er am Anfang noch mit ordentlichen Stapeln von Scheinen gefüllt, so liegen diese später über den ganzen Bühnenboden verteilt und flattern aus einigen Ranglogen auf das Parkettpublikum herab. Bis der Tresor dann im Boden versunken und abgerissen scheint und die fröhliche Hochzeit des eigentlichen Brautpaares mit Dosensekt und Pizza Morale an einem Campingtisch davor stattfindet. Ein Teil der Moral: Weder Alter noch Geld schützen vor Torheit und diese fordert ihren Preis.

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Dem jugendlich frischen Stil der Produktion angepasst, bleibt nichts anderes zu sagen, als dass die Vibes zwischen Bühne, Graben und Zuschauersaal einfach phat, also äußerst positiv waren. Alle hatten viel Spaß und zeigten dies: die einen durch Szenenapplaus und großen Abschlussjubel, die anderen durch wirklich hervorragende, mühelos gegebene Leistungen.
Matteo Beltrami und seine Musiker führten das Publikum mit schwungvollem Enthusiasmus durch das Werk, begleiteten die Sänger einfühlsam und hier und da auch in humorvoller Interaktion, wie zum Beispiel beim Da Capo des Parlando-Duettes zwischen Pasquale/Malatesta. Immer wieder setzt Beltrami gekonnt Akzente, macht Emotionen, egal ob fröhlich, dramatisch, frech oder lyrisch, hörbar. Die stummen Statisten in Rollen von Pasquales Dienern vervollständigten gekonnt das Ensemble und der Chor der Hamburgischen Staatsoper brillierte in den kurzen Szenen auf und auch hinter der Bühne. Schön war es auch, Bariton Jóhann Kristinsson endlich einmal wieder auf der Bühne zu erleben, wenn auch leider nur kurz und mehr agierend, bzw. auf einem gar nicht so unrealistischen Werbeplakat eines aufdringlich-spleenigen Anwalts für alles und jeden, als singend.

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Auf entzückende Art spleenig ist Sopranistin Danielle De Niese in der Doppelrolle Sofrina/Norina. In erstere schlüpft sie, von Malatesta angestiftet, um den heiratswütigen Pasquale an der Nase herumzuführen und ihm die Moral Weiße Haare sollen nicht freien, um der Jugend Lockenkranz, sonst gibt’s böse Balgereien und mit allen Teufeln Tanz nahezubringen. Als Norina dann ist sie die junge moderne Frau, die ihren Ernesto heiß begehrt und zärtlich liebt. Sie sprüht, nach einer ganz kurzen Anlaufzeit, voller spielerischem Charme und ebensolchem gesanglichen Können. Ihre Stimme hat ein ganz besonderes Timbre, das perfekt in Opern wie Don Pasquale, L’Esir d‘ Amore (Adina) oder auch Cosi fan tutte (Despina) passt.
Auch Tenor Levy Sekgapane, der bereits erste Preise, wie zum Beispiel Operalia 2017, gewann, ist stimmlich prädestiniert für die lyrischen Rollen aus der Feder von Komponisten wie Rossini, Mozart oder eben Donizetti. Man hört und spürt seine Verzweiflung in seiner Szene Povero Ernesto und die Leichtigkeit, mit der er zusammen mit dem Chor hinter der Bühne seine Cavantine präsentiert. Auch darstellerisch ist er ganz der junge Liebende in unserer socialmedia dominierten Welt.
Doch sie sind die wahren Stars dieses Opernabends: Kartal Karagedik als Dr. Malatesta und Ambrogio Maestri in der Titelrolle. Der absolute Höhepunkt des Abends, das Sahnehäubchen, war ihr, als Umbaufüller vor dem Vorhang, Da capo gesungenes Parlando-Duett Aspetta, Aspetta, Cara Sposina. Wer kennt sie nicht, die schnellen Passagen, halb gesungen halb gesprochen, wie zum Beispiel am Ende von Rossinis L’Argo al Fatotum (Der Barbier von Sevilla). Maestri und Karagedik, bieten ähnliches zu zweit und wesentlich länger. Doch auch sonst zeigen alle beide, welch großartige Sänger-Darsteller sie sind.

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Kartal Karagedik zeigt einmal mehr, dass Ensemblemitglieder eines Opernhauses ebenso viel Aufmerksamkeit und Anerkennung verdienen wie Gaststars. Sein sonorer, stets sicher geführter Bariton ergänzt wunderbar sein authentisches, charismatisches Spiel und umgekehrt. Seine stimmliche Vielseitigkeit begeistert auch in dieser Partie, wo Töne wie Sektperlen sprudeln. Leicht und spritzig kostet er jeden Moment, jeden Aspekt aus und zieht so begeisternd in seinen Bann. Sei es singend auf einem Scooter über die Bühne rollend, mit Norina flirtend oder Ernesto beschwichtigend.
Ambrogio Maestri schließlich ist nicht nur durch seine gewichtige Figur für diese Art Bufforollen wie geschaffen. Er scheint, vielleicht sogar selbstironisch, ganz und gar zu sich zu stehen, was sich auf seine Darstellung überträgt. Er schnauft auf dem Hometrainer, schmachtet nach Sofrina/Norina und gibt sich am Ende doch relativ würdevoll geschlagen. Sein Bariton ist voluminös und voller Kraft und so würde er auch Partien wie, vor zwei Jahren für die Staatsoper Hamburg geplant und pandemiebedingt abgesagt, dem Scarpia (Puccini, Tosca) Kontur und stimmlichen Charakter verleihen. Doch momentan wird er diese Spielzeit und auch in der nächsten als Pasquale begeistern. Er ist, wenn auch figürlich nicht unbedingt in das heutige Sängerbild passend, oder gerade deshalb, ein ganz besonderer Künstler, eine wahre Bereicherung, den man noch oft und, wie erwähnt, auch in dramatischen Partien erleben möchte.
Fazit: Welch ein rund um schöner Opernabend, dank mitreißender Musik, witziger Inszenierung und faszinierenden Sängern! Bravi tutti!!
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 29.05.2022
Links:
https://www.staatsoper-hamburg.de/
https://www.matteobeltrami.com/
https://www.levysekgapane.com/index.html
https://danielledeniese.com/