Francis Poulencs Dialogues des Carmélites ist, was hin und wieder als schwere Kost, wenn auch bezeichnet wird und selten auf den Opernbühnen dieser Welt zu finden ist. Doch Nikolaus Lehnhoffs (Regie) und Raimund Bauers (Bühnenbild) durch schnörkellose Schlichtheit bestechende und von Olaf Freese bildmalerisch ausgeleuchtete Inszenierung steht nun noch zwei weitere Male (19.5. und 22.5.2022) auf dem Spielplan der Staatsoper Hamburg um alle, die sich auf dieses sehr gut besetzte Werk einlassen können, in seinen Bann zu ziehen.
Poulencs Auftragswerk für die Mailänder Scala, wurde 1957 zuerst dort erfolgreich in italienischer Sprache und dann später im selben Jahr auf Französisch an der Opéra de Paris aufgeführt und behandelt das seit jeher brisante, stets aktuelle Thema: Religion und Glaube.

Der Komponist verfasste auch das Libretto, das auf dem gleichnamigen Bühnenstück von Georges Bernanos beruht, welches seinen Ursprung in Gertrud von Le Forts Novelle Die Letzte am Schafott, hat. Erzählt wird die Geschichte von Blanche, einer jungen Adeligen, die, um der eigenen Todesangst zu entkommen, in Zeiten der Französischen Revolution von 1794 Schutz in dem Karmelitinnen-Kloster von Compiègne sucht. Doch die Revolutionäre sehen die neue Freiheit fürs Volk auch durch die Institution Kloster bedroht und nehmen den Nonnen erst die Freiheit und dann das Leben. Von einer anderen gedeckt, entscheidet sich Blanche unerkannt als einzige gegen das gemeinsame Martyrium und besiegelt so das Schicksal aller. Zunächst gelingt es ihr zurück ins Elternhaus zu fliehen, in buchstäblich letzter Sekunde jedoch entschließt sie sich, sich und ihrem Glauben treu zu bleiben und dem Schicksal ihrer Glaubensschwestern anzuschließen.

Männer haben in dieser Oper zwar kurz die Macht über das Geschick der Frauen zu entscheiden, aber ansonsten weder viel zu singen noch spielen sie eine große Rolle. Dennoch überzeugen alle sowohl in den kleinen Partien. Dies gilt für besonders Collin -Andre Schöning, der dem kurzen Auftritt 1. Kommissars, jenem der eine gewisse Sympathie für das Leid der Nonnen empfindet, Charakter verleiht, wie auch für den stets zuverlässigen Jürgen Sacher in der Rolle des Beichtvaters des Klosters.
Auch Marc Barrard als Blanches Vater Marquis de la Force überzeugte mit warmen Timbre, edler, einem Adligen entsprechender Ausstrahlung und zurückhaltender von milder Strenge geprägter Zärtlichkeit der Tochter gegenüber.
War er im als Duca di Mantua (Verdi, Rigoletto) in ein charmanter Flegel, als Nemorino (Donizetti, Der Liebestrank) zum Schmunzeln entzückend, so bewies Piotr Buszewski als Chevalier de la Force, dass er auch im ernsteren Fach durch sein darstellerisches wie stimmliches Können vollkommen überzeugen kann.

Mojca Erdmann gelingt es mühelos dem Publikum, Blanches Angst vor der Angst, ihr zartes Wesen aber auch ihre Entschlossenheit zu vermitteln. So reift sie von ihrem Bruder Häschen genanntem Mädchen zur Nonne, die bewusst mit den Schwestern in den Tod geht. Dank ihrer intensiven Darstellung, aber vor allem auch ihres facettenreichen Soprans, mit dem sie hörbar Emotionen malt.
Narea Son als Constance verkörpert in der dunklen Welt der Töchter des Karmel, das Licht und die Leichtigkeit, die in Heiterkeit keinen Widerspruch zu tief empfundenen Glauben sieht. Sons Darstellung berührt und begeistert ebenso wie ihr Sopran, dessen Schwerelosigkeit eigentlich längst nicht mehr überraschen sollte, da sie diese Fähigkeit in jeder Rolle zeigt
So wie Narea Son und ihre Partie, der Geschichte etwas von ihrer Schwere nehmen, sorgt Sophie Pondjiclis als sterbende Priorin Madame de Rousssy für mehr als nur einen Hauch spannungsreicher Dramatik. Ihr Mezzo sprüht vor Kraft und selbst noch im Todeskampf, strahlt ihre Priorin, jene Stärke aus, gemischt mit Verzweiflung, die von einer Frau in solch hoher Position erwartet wurde.
Emma Bell, als de Roussys Nachfolgerin, aber auch all die anderen hierheute namenlos bleibenden Sängerinnen erweckten durch ihre jeweiligen Partien, die Situation der Nonnen zur Zeit der Französischen Revolution eindrucksvoll zum Leben

Doch, ähnlich wie Giacomo Puccinis La Fanciulla del West, ist Poulencs Werk eine Ensemble-Oper und die eigentlichen Stars der Hamburger Aufführung sind und bleiben die Produktion und auch die Musik, mag diese auch für sonst von Verdi , Puccini oder auch Mozart umschmeichelte Ohren ungewöhnlich klingen. Sie zieht in den Bann, fasziniert, obwohl sie nur selten als schön bezeichnet werden kann. Sie hat Dissonanzen und auch starke Züge von Programmmusik: Bei Blanches Einkleidung beginnt die Musik zart, beinahe, auch für Laien singbar melodisch, wird immer lauter, mächtiger, bis sie einer Messe ähnelt. Sowieso wird jeder Hörer, der sich auf die Wirrung einlässt sich oft immer wieder an die Musik von Monumental- oder auch Stummfilmen erinnert fühlen und so mitgerissen werden von Stimmung und Geschehen. Dies steigert sich wie ein Crescendo, gipfelt im sinfonischen Finale, das dann durch die langsam nacheinander verklingenden Stimmen der Frauen beweist, das wenig Klang oft besonders berührt.
Kent Nagano führt sein Philharmonisches Staatsorchester Hamburg von Anfang an mit sicherer, auch auf die Sänger achtender Hand. Wodurch trotz manchmal ablenkenderetwas zu geräuschvoller Technik, die subtil bildgewaltige Produktion zusammen mit der Musik zu einem faszinierendem Ganzen werden.

Denn das berühmte i-Tüpfelchen liegt nicht allein im Akustischen, sondern ebenso im Visuellen. Dass die Kostüme es an Farbe vermissen lassen liegt am Sujet an sich und nicht an Andrea Schmidt-Futterer Nonnen tragen nun mal Schwarz und darunter Weiß. Aber genau das kommt Lehnhoff, Bauer und Freese zu Gute. Ersterer versteht es meisterhaft, die Personen so zu arrangieren oder so agieren zu lassen, dass der Eindruck eines Standbildes, oder dank Freeses kunstvoller Beleuchtung, eines Gemäldes, entsteht. Bauers Bühnenbild ist grafisch streng. Es besteht auf allen drei Seiten der Bühne aus immer in Türöffnunsgbreite voneinander getrennten vom Boden bis in den Bühnenhimmel reichenden Elementen. Sind die Zwischenräume offen, entsteht der Eindruck eines Käfigs, am Ende sogar eines, nach allen Seiten hin geschlossenem. Schwarze Stoffbahnen dazwischen machen aus dem Käfig einen geschlossenen Raum. Oder nehmen, die Bahnen im Bühnenhintergrund diagonal unterschiedlich hochgezogen, das Ende – die Guillotine – vorweg.

Ziehen Darstellung, Gesang, Musik und Inszenierung dem Zuschauer schon spätestens wenn, Blanche wie im raumlosen Nebel im ersten Akt dasteht, in den Bann, so raubt die letzte Szene dann dem Publikum endgültig den Atem. Das Salve Regina auf den Lippen drehten die Nonnen einzeln an den Bühnenrand, wo die oben beschriebenen Elemente den nun geschlossenen Käfig bilden. Sobald eine den Rand erreicht hat, fällt ein Beil, schneidet Bild und Ton der Betreffenden ab, bis alle Öffnungen geschlossen, alle Stimmen verstummt, alle Frauen verschwunden sind und das Publikum auf ei ne schwarze Wand schaut, während letzte sanfte Klänge von Erlösung im Himmel künden.
Fazit: War das Publikum auch nicht übermäßig zahlreich, so ließ es, größten Teils von Jubel eindämmenden Mundschutzen befreit, keinen Zweifel daran, dass alle Ausführenden mindestens ein: Bravi tutti verdienen. Und die Oper selbst mehr Aufmerksamkeit und Aufführungen.
Birgit Kleinfeld, Aufführungsbesuch 14.05 2022