Vor fast 45 Jahren entführte mich Gaetano Donizettis Oper L’Elisir d’Amore an der Staatsoper Hamburg in der Premiere der verzaubernden Inszenierung von Jean Pierre Ponelle mit Hilfe der Stimmen von Mirella Freni, Lucianio Pavarotti und Bernd Weikl zum ersten Mal aus einer Welt, damals pubertärer Sorgen. Nun durfte ich feststellen, dass weder der Zauber der Bilder, noch der der Musik in dieser Zeit verloren ging. Dieses Mal waren es Maria Nazarova (Adina), Piotr Buszewski (Nemorino) und Kartal Karegedik, die durch Spiel und Gesang Freude und Vergessen von Sorgen brachten
George Delnon sagte gestern auf der Pressekonferenz für die Spielzeit 22/23, Theater und besonders Musik hätten heutzutage eine kurative Aufgabe und Wirkung. Diese Aussage wurde heute ein Mal mehr bestätigt. Vielleicht gibt es auf sehr hohen Niveau oder auch Geschmacksbasis Kleinigkeiten zu bemängeln, aber es war ohne Zweifel ein köstlich frohsinniger Abend!

Opern, die durch Dramatik oder/ und Romantik berühren
Mehr als 70 Opern hat Gaetano Donizetti, einer der wichtigsten Komponisten für Belcanto geschrieben. Nicht wenige davon mit historischen Hintergrund wie unteranderem Anna Bolena, Torquato Tasso, Maria Stuarda oder auch Lucrecia Borgia. Besonders seine Tenöre und Soprane fordert Donizetti auch in seinen anderen, vorwiegend tragischen Opern wie zum Beispiel Lucia di Lammermoor. Doch Donizetti kann auch humorvoll – anspruchsvoll, nicht nur tragisch-fordernd. So zu hören hier an der Staatsoper Hamburg mit Don Pasquale ab dem 29.5.22 . oder eben momentan (16., 18. und 22.4.): L’Esir d’Amore. Die Oper erzählt Geschichte um die Gutsbesitzerin Adina, den unsterblich in sie verliebten Nemorino, so wie den unsterblich in sich selbst verliebten Sergante Belcore. Ersterer, der die Angebetete von Isoldes Liebestrank lesen hörte ersteht diesen, in Form von guten Bordeaux, bei dem reisenden Quacksalber Dulcamara. Belcores Dreistigkeit und Adinas Weigerung sich einzugestehen dass auch sie Nemorino liebt, führen zu Verwirrungen, aber – natürlich- auch zu einem Happyend.
Donizetti kleidet dies mit wunderbaren Melodien aus, die vor Lebensfreude und subtilen Humor besonders in den Szenen von Belcore (z. B. Intanto, o mia ragazza) oder Dulcamara ( z.B. Udite, udite …) nur so sprühen, doch lässt er es auch an romantischer Wehmut, wie in Una fortiva Lacrima oder dem Finalduett Oh! qual le accresce beltà /Prendi, per me sei libero . Gianluca Capuano und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg entsprachen mit ihrer Leistung nur zu circa 80-90%, dem, was ich mir für die Umsetzung dieser Musik wünsche. Es fehlte an wenigen Stellen an fließenden Übergängen, was diese Stellen etwas hölzern klingen ließ und auch das Problem der Synchronisation der Lautstärke bei Forte Momenten zwischen Bühne und Graben, war nicht immer perfekt. Dann wieder waren Spannungsbögen und Emotionen wunderbar hörbar und untermalten, begleiteten die Sänger bei ihren Arien und Duetten überaus einfühlsam. (Nachtrag: und dies nachweisbar ohne eine einzige Probe)

Bilder und Szenen einfach zum Genießen
Ponelle und Halmen geben der Oper Donizetti, wie auch Publikumsgerecht einen Rahmen, der auch nach so vielen Jahren – meines Wissens nach ist L’èsir die älteste noch aktive Inszenierung hier- einfach nur Freude macht. Erlauben Sie mir, das Ganze mit dem erholsamen Treiben auf ruhiger See zu vergleichen, nach dem Inszenierungen wie Turandot, Aida, Luisa Miller oder auch La Traviata eher dem Ritt auf hohen Wellen glichen. Denn, so faszinierend sie auch sein mögen und so sehr sicher nicht nur ich das von den Regisseuren erwartete Mitdenken schätze, ein Mal nur schwelgen, schmunzeln und hier und sogar lachen zu dürfen, ist schön.
Ponelle verwöhnt uns mit einem Bühnenbild, das uns ein Dorf in einer, vermutlich toskanischen Landschaft, zeigt. Belcore kommt in Gardeuniform, auf einem Lauffahrrad, von dem er nicht steigt sondern von dem er sich heben lässt, der wenig subtile Griff den Hosenschritt zurechtzurücken, fehlt bei ihm ebenso wenig wie bei Dulcamara der große Auftritt in Kutsche samt Gefolge.
Wobei mir erst jetzt nach so häufig en Besuchen auffiel das der musikalisch, traurige Weißclown eine Referenz an Nemorino, der in eine Uniform wie Belcore Gekleidete, ein Mensch von recht geringer Körperhöhe, eine Verhornballung Belcores sein könnte. Betonung auf könnte. Nemorino stellt Ponelle als einen sehr schüchternen, ständig bei seinem (Stoff)Lamm Trostsuchenden dar. Adina hingegen strotzt vor Selbstsicherheit und Stolz, auch wenn schnellklar wir, das die nur eine Maske ist.

Was noch für diese Inszenierung spricht, ist der unübersehbare Spaß den auch alle auf der Bühne haben. Angefangen beim sanges- und spielfreudigen Chor der Hamburgischen Staatsoper, über die reizende und auch hier glockenhell klingende Marie-Dominique Ryckmanns vom Internationalen Opernstudio Hamburg, die ihr Debüt als Adinas quirlige Freundin Gianetta, die als verkleideter Advokat eine ebenso gute Figur macht, wie auch als am Ende scheinbar neuester Flirt von Draufgänger Belcore.
Auch Tigran Martirossian füllt seine Partie publikumsbegeisternd mit viel komödiantischen Können, das sein, zugegebenermaßen immer noch schöner Bass, manchmal Ermüdungserscheinungen aufweist, tut der Freude an seinem Dulcamara so gut wie keinen Abbruch. Er hat die Personen auf der Bühne wie auch das Publikum fest im manchmal fast, aber eben nur fast, klamaukigen Griff.
Welch amüsantes, stimmstarkes Trio!
Kartal Karagediks Belcore sprüht darstellerisch und stimmlich von der erste Minute an vor Energie, Ideen und Freude an der Rolle, dem Stück und seinem Beruf als Sänger, endlich wieder hier auf seiner „Heimatbühne“. Er ist ein vielseitiger Sänger-Darsteller, der in jeder Rolle, in meinen Augen ganz intuitiv sein Bestes gibt und stets weiß, was die Zuschauer, aber auch die Kollegen mitzieht. Sein Bariton ist ebenso wandlungsfähig und er weiß ihn zu modellieren und absolut sich her zu führen. Die Vorfreude auf seinen Doktor Malatesta in Donizettis Don Pasquale wächst und auf seinen Lescaut in Massenets Manon an der Seite von Elbenita Kajtazi, Benjamin Bernheim, Alexey Bognanchikov und Wilhelm Schwinghammer umso mehr.

Piotr Buszewski ist einer der entzückensten Nemorinos, die ich in all den Jahren gesehen habe. Wo Karagediks Belcore die Seite in weiblichen Wesen anspricht, die einer gewissen arroganten Sinnlichkeit nicht abgeneigt ist, berührt Buszewski, zwar nicht den Mutter- aber doch den Urinstinkt der Beschützerin. Sein Spiel ist von absoluter Natürlichkeit. Die Art wie er Nemorinos unbeholfene Verliebtheit porträtiert, hinterlässt jetzt beim Schreiben noch einen Nachhall von Schmunzeln.
Er hat eine wirklich große Stimme, wie er bereits als Duca di Mantua in Giuseppe Verdis Rigoletto hier im Februar bewies. Sein Tenor hat einen strahlend metallenden Klang, der mich neugierig macht auch Partienwie Charles Gounods Faust, Verdis Alfredo (La Traviata) oder sogar auf seinen Loge in Richard Wagners Das Rheingold. Ja, die Höhen sitzen, sprühen vor Kraft und Sicherheit er erfüllt die Anforderungen an Belcanto im hohen Maße und doch… Ein Hauch mehr Zartheit hätte mir noch mehr gefallen. Objektiv gesehen hingegen passt er völlig in die Rolle, was sich stimmlich besonders im zweiten Teil zeigte.

Maria Nazarova sprang für die ursprünglich besetzte Elbenita Kajtazi ein. Ihr Debüt in dieser Partie gab sie an der Wiener Staatsoper. Ihr Repertoire ist vielseitig, wie umfangreich und reicht von der Adele in Johann Strauß‘ Die Fledermaus, über die Sophie in Jules Massenets Werther, bis hin zu Woglinde und Waldvogel in Richard Wagners Der Ring des Nibelungen
Auch sie besticht durch ein großes Organ und auch bei ihr fehlt mir manchmal ein etwas lyrischerer Touch, eine gewisse Sanftheit ihrer ansonsten klaren in allen Lagen sicher geführten Stimme. Darstellerisch lässt sie sich mühelos von ihren beiden mit Stimm- und Spielenergie geladenen Partnern Buszewski und Karagedik mitreißen und macht so das Liebestrio vollkommen,, bei dem sich letztlich findet, was sich finden soll.
Fazit: Wie schade, dass meines Erachtens viel zu wenige Zuschauer*innen sich den Genuss eines so wunderbar unterhaltsam schönen Abends gönnte. Aber was nicht ist …
Birgit Kleinfeld, (Vorstellungsbesuch 12.4.2022)
Links:
https://www.staatsoper-hamburg.de/
https://www.marianazarova.com/bio
https://www.martirossian.com/
https://www.operabase.com/artists/piotr-buszewski-99087/de
https://www.operabase.com/artists/kartal-karagedik-9406/de
https://www.operabase.com/artists/marie-dominique-ryckmanns-112612/de