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Nomen ist nicht immer Omen, oft reicht er nicht allein, da hinter kann noch viel mehr „wohnen“! Kommt! Schaut doch einfach rein!

Staatsoper Hamburg – Luisa Miller: Und noch ein Fest der Stimmen!

Mehr als die Hälfte der diesjährigen Italienischen Opernwochen ist vergangen, angefüllt mit Vorstellungen, die mich in ihrer Qualität an die Hochzeit der damals noch/nur Hamburgische Staatsoper genannten Staatsoper Hamburg in den späten 1970er Jahren erinnern. Damals klangen nicht alle, aber viele Opernabende noch lange nach und momentan ist es ähnlich.
Heute am 27.3. nun fand die erste von  zwei Vorstellungen (31.3.) von Verdis musikalischer Adaption des Friedrich Schiller Dramas Kabale und Liebe statt: Luisa Miller.

Charles Castronovo (Rodolfo), Nino Machaidze (Luisa), Franco Vassallo (Miller)
Foto: Staatsoper Hamburg (Vladislav Parapanov)

Verdis Oper und das Libretto von Salvadore Cammarano sind weniger politisch als die Schauspielvorlage. Die drei Akte sind mit Liebe, Intrige und Gift, jenen Aspekten, die den  jeweiligen Mittelpunkt dieses Liebes- und Familiendramas bilden, bei dem eine unstandesgemäße Liebe  auf Grund von Winkelzügen des Vaters, des Mannes und eines abgewiesenen Verehrers im gemeinsamen Freitod der Liebenden endet.

Bereits im Februar berichtete  operngestalten darüber, dass die technisch sehr aufwendige Inszenierung von Andreas Homoki (Regie), Paul Zoller (Bühne), Gideon Davey (Kostüme) und Franck Evin (Licht) nur in einer „Halbszenischen Version“ gezeigt werden kann, wie es in der Stückbeschreibung heißt. Doch eigentlich ist den Verantwortlichen viel mehr gelungen. Die Auftritte und Abgänge wirken weniger fließend, erwecken nicht wie sonst den Eindruck, dass sich die Protagonisten von einem Ort zum anderen bewegen. Denn die komplizierte Drehbühnenkonstruktion  wird nur sehr eingeschränkt genutzt und so kommt das Publikum auch nicht in den Genuss aller übergroßen Gemälde  im Hintergrund, die mehr als den jeweiligen Handlungsort, die jeweiligen Gefühle, die jeweilige Situation symbolisieren.

Trailer zur Premierenserie 2014/Staatsoper Hamburg

Auch das Miteinander der Akteure ist eingeschränkt, denn es befinden sich nur die Hauptakteuren auf der Bühne und zwei Vertreter*innen des Internationalen Opernstudios, nämlich Kady Evanyshyn (Laura) und Collin André Schöning (Un Contadino). Der Chor der Hamburgischen Staatsoper  singt aus den Ranglogen, was einen ungewöhnlichen aber besonderen  Klang beschert.

Ist das derzeitige Arrangement auch nicht perfekt, geht trotzdem  nicht zu viel von Homokis Personenregie  und seinen Ideen verloren. Das größte Manko ist und bleibt  das Fehlen der Vorgeschichte, die sonst einfühlsam  mit  Hilfe der Drehbühne in kleinen Szenen während der Ouvertüre erzählt wird. Jetzt prangt dort ein schwarzer Vorhangprospekt. Nur jene, die die Produktion  aus einer anderen Aufführungsserie kennen oder von anderen Homoki Inszenierungen wissen, dass er besonders den Chor gerne stereotyp maskiert, womit er subtil einen verallgemeinernden, kritischen Effekt erzielt, werden vielleicht die Stabmasken in Schafskopfform vermissen. Doch Homokis andere Markenzeichen, das Platzieren eines aussagekräftigen Symbols, bleiben weitgehend erhalten: Es gibt einen Lehnsessel für das Heim der Millers und einen langen Tischals Symbol der Macht im Hause Walter. Nur die Guillotine ,das Zeichen der herrschaftlichen Gewalt, fehlt in dieser Version.

Alle Fotos: Monika Riterhaus

.Luisa ist hier, und besonders auch durch die Premieren Luisa Nino Machaidze, weder das naive Opfer eines lüsternen Grafensohnes à la Duca di Mantua, noch überemanzipiert und kämpferisch. Sie ist ein natürliches, anmutiges und selbstsicheres junges Mädchen. Hübsch in  ihrem pastellgelben, weichfallenden Kleid, liebevoll zu ihrem Vater und sehr verliebt in Rodolfo. Mädchenhaft verspielt tänzelt sie am Anfang zu Lo vidi, e’l primo palpitoüber die Bühne. Später dann, von Wurm gezwungen, zwischen dem Leben des Vaters und des Liebsten zu entscheiden, ist ihr Kampf sicht- und hörbar. Zwar fügt sie sich, doch die Inbrunst mit der sie Wurm angreift, ist ebenso bewundernswert wie die Leichtigkeit mit der Machaidze all die emotionalen  und vor allem stimmlichen Extreme meistert, denen Luisa den gesamten letzten Akt hindurch ausgesetzt ist. Nino Machaidze ist eine Ausnahmekünstlerin, deren Koloraturen von glasklarer aber stets weichgezeichneter Mühelosigkeit gekennzeichnet sind und die mit Spiel und Stimme nicht nur ihrer Luisa stets einen unverwechselbaren Charakter verleiht.

Alle Fots Monika Ritterhaus (2014)

Ihr Rodolfo Charles Castronovo ist einer von jenen Tenören, denen die Latin Lover Rolle optisch auf den Leib geschrieben scheint, doch entspricht er der Partie auch mit seiner ausdrucksstarken Spielweise. Er liebt zärtlich und aufrichtig, widersetzt sich dem Vater mit Nachdruck, erbittet Verständnis von der ungewollten Verlobten und bietet auch sonst alle Facetten, die zu einer authentischen Darstellung gehören. Einschließlich eines Finales, dass an stimmschöner Spannung und Dramatik  keine Wünsche offen lässt. Das Schlussterzett mit Luisa und ihrem Vater gleicht einem packenden Ende, ein wahres show-down wahrhaft großer Oper: Sangeskunst  beider Partner vereint eine Darstellung, die in diesem Moment Rodolfo und Luisa  und ihr Liebesleid zum Leben erweckt.

War Franco Vassallo als Sharpless in Puccinis Butterfly ein bedacht und in kleinen Gesten agierender Diplomat, so ist er als Vater Miller in jeder Weise engagiert, liebevoll und leidenschaftlich, geht es um seine Tochter Luisa, deren Glück für ihn vor dem seinen steht. Auch hier ist Vassollo authentisch und besticht durch von umfangreichem Register geprägten Bariton, der Wärme und Liebe ebenso vermittelt wie Wut und Verzweiflung.

Alle Fotos: Monika Ritterhaus (2014)

Alexander Vinogradov, als Graf von Walter und Rodolfos Vater, zieht wirklich in jeder Partie durch seine  Eleganz und Bühnenpräsenz, die sich auch in seinem volltönenden Bass widerspiegeln, in den Bann.Seine würdevollen Bewegungen, sein warmes Timbre, seine Stimmmodulation, seine Legati und vieles mehr kann nicht anders als als schön und eindrucksvoll bezeichnet werden .Sein Graf Walter ist in jeder Hinsichteine ganz andere Art von Vater als Vassallos Miller. Der Graf macht stets deutlich, dass Vaterschaft für ihn eher Qual und Pflicht als Segen ist. Wo Miller voll Zärtlichkeit und leidenschaftlicher Vaterliebe ist, ist Walter in jeder Lage beherrscht, dominant und bis zum Finale jeder Situation Herr, was sich bei beiden in Gesten wie im Stimmeinsatz zeigt und gleichermaßen beindruckt.

Alexander Roslavets‚ Wurm mangelt es völlig an Falschheit und Schleimigkeit. Er ist einfach nur grausam und widerlich, so dass man ihn wunderbar hassen kann und es genießt, wenn Luisa ihn  so von sich wegstößt, dass er zu Boden geht und ihm dann ins Gesicht spuckt. Hier wuchs nicht nur, wie eigentlich den ganzen Abend lang, Nino Machaidze sondern auch Rosvalets über sich hinaus. Beide rissen das Publikum völlig mit, auch durch ihre Sangeskunst an dieser Stelle. Denn Rosvalets Bass ist  in jeder Lage sicher und facettenreich geführt, die unter die Haut geht und Wurm zwar nicht sympathischer macht, aber darum umso mehr begeistert

Alle Fotos Monika Ritterhaus (2014)

Mezzosopranistin Elena Maximova, schließlich  verkörpert die recht undankbare, wenn auch mit schönen Melodien bedachte Partie der Frederica, der Frau, die Von Walter als Braut für seinen Sohn plant. Undankbar darum, weil sie einSpielstein der Herren Von Walter und Wurm ist, ungeliebt von Rodolfo, dem sie zugetan ist. Sie trägt ein grellgelbes Kleid, das durch einen langen statt runden Reif umso mehr die Steifheit der Gesellschaft, in der sie gefangen ist, betont. Ihre Darstellung überzeugt, unterstützt von ihrer Sangeskunst  völlig Maximovas Mezzo, besonders dessen Tiefelädt zu bildhaften Metaphern ein, die von harmonisch klingenden großen Glocken sprechen, die Höhen von sanft fließendem, bittersüßem Honig.

Ein Moment, der das Können der drei Letztgenannten und Nino Machaidze als Vierte im Bunde besonders deutlich zeigt, ist das a capella Quartett des 2.Akts: eine kleine aber intensive Charakterstudie  und optisch eine der fast fotografischen Momentaufnahmen, die Homoki und Team schufen und die  auch in dieser abgespeckten Fassung ihre Wirkung nicht verlieren.

(Und noch eine kleine Bemerkung am Rande, vielleicht bedeutungslos, mir aber wichtig: Maximova, Vinogradov und Rosvalet stammen alle drei aus Russland bzw. Weißrussland  und wurden –natürlich?!- allein nach ihrer Leistung beurteilt und dementsprechend lange und ausgiebig umjubelt.)

Alle Fotos Monika Ritterhaus (2014)

Paolo Arrivabeni und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg begleiten die Darsteller sicher und ohne sie zuzudecken und vermitteln von Anfang bis Ende in spannungsvollen Bögen und durch intelligent gesetzte Akzente die abwechslungsreiche Tiefe von Verdis Musik, die, wie auch das Libretto, von wechselnden Stimmungen statt von Gradlinigkeit lebt.


Fazit: Wieder eine Oper, die die Geschichte einer starken Frau und einer großen Liebe erzählt. Typisch italienische Oper? Mag sein, aber wenn alte Geschichten immer wieder neu und so begeisternd umgesetzt werden, wie in diesen Opernwochen in Turandot, La Traviata, Madama Butterfly und an diesem Nachmittag: „Gerne mehr! Weiter so“ sagt auch der Jubel des Publikums.

Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 27.03.2022

Links:
https://www.staatsoper-hamburg.de/
https://alexandervinogradovbass.com/
https://www.charlescastronovo.com
https://www.francovassallo.com/
http://www.elenamaximova.com/
https://www.operabase.com/artists/paolo-arrivabeni-13556/de
https://www.operabase.com/artists/nino-machaidze-13230/de
https://www.operabase.com/artists/alexander-roslavets-21779/de

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