Die Premiere von Giacomo Puccinis Oper Turandotist ein weiterer erfolgreicher, umjubelter Teil der Italienischen Opernwochen der Staatsoper Hamburg. Die südkoreanische Regisseurin Dr. Phil. Yona Kim und ihr Team faszinierten und begeisterten das Publikum mit ihrer Umsetzung ebenso wie es der Rest des Ensembles, allen voran Gregory Kunde (Calaf), durch intensive Darstellung und schöne Stimmen taten.
Mit allen Konsequenzen für die Liebe – oder gegen sie
Ein Schauermärchen der Modernenennt Yona Kim Puccinis letzte, nach dessen Tod von dem Komponisten Franco Alfonso vollendete, Oper. Und tatsächlich basiert das Libretto von Giuseppe Adami und Renato Simoni auf dem Theaterstück von Carlo Gozzi, der sich auf eine Sage aus dem Chinesischen wie auch dem Persischen bezieht. Doch auch die europäischen Märchen kennen Prinzessinnen, die jene Prinzen, die um sie freien, vor die Wahl stellen, drei Aufgaben oder Rätsel zu lösen um ihre Hand zu gewinnen oder, nicht nur im übertragenen Sinne, den Kopf zu verlieren. Oft taucht auch eine bescheidene Frau auf wie hier Liu. Eine Frau, die sich lieber selbst tötet statt, wie von der Prinzessin gefordert, den Namen des unerwidert Geliebten zu verraten. Auch der siegreiche Prinz in diesen Märchen, wie in dieser Oper, ist unerschütterlich in seiner Leidenschaft und voller Selbstvertrauen.

Alle Fotos: Hans Jörg Michel
Denn er selbst sagte der Prinzessin, er würde auf ihre Hand verzichten und in den Tod gehen, erriete sie seinen Namen, sicher, sie würde ihn nie erfahren. Die kaltherzige Prinzessin wie auch Turandot, gibt ihre Angst vor der Liebe und einem grausamen Schicksal, wie es eine Ahnin erlitt, letztendlich auf. Verzichtet darauf, seinen Namen, den er ihr freiwillig nannte, zu verraten. Er tat dies nachdem Turandot ihm gestanden hatte, das sie von Anfang an fürchten doch auch lieben würde. Anders als in anderen Fassungen entscheidet sich Kims Turandot gegen die Liebe. Konsequent bleibt sie dabei, sich nie der Liebe und einem Mann hinzugeben. Sie teilt dem Volk mit, dass der Name des Fremden Liebe sei und sticht ihm dann ein Messer in den Rücken. Bleibt sich und ihren Überzeugungen, ganz anders als Liu und doch genauso entschlossen, treu: Keine Liebe, keine Hingabe, nur Unberührtheit und Reinheit.

Alle Fotos Hans Jörg Michel
Asiatische Klarheit zu Pucciniesker Dramatik
Dieses Ende geht eben so unter die Haut, wie Puccinis Musik vom ersten Klang intensiver Akkorde an es in dieser durchkomponierten Oper tut. Neben Lius Arie Signore ascolta und ihrer großen (Todes)szene Tu che di gel sei cinta, Turandots Auftrittsszene In questa reggia und natürlich der Tenorarie Nessum Dorma gilt in diesem Werk Puccinis kompositorische Hingabe ausdrucksstarken, machtvollen Klängen, die das asiatisch dramatische Ambiente verstärken, und großen Chorszenen.

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Der junge italienische Dirigent Giacomo Sagripanti, vor sechs Jahren ausgezeichnet mit dem Best young Conductor Opera Awards, und das Philharmonische Orchester der Staatsoper Hamburg ziehen mit ihrer Interpretation in den Bann, was bei diesem Werk und seiner Vielschichtigkeit, die über die einschmeichelnden Melodien einer La Bohème oder Tosca hinausgeht, sicherlich in gewissem Maße ebenfalls für die ausführenden Musiker gilt, die die zarten, wie auch die machtvollen Passagen eindrucksvoll meistern. Und nicht allein für das Publikum. Der Chor der Hamburgischen Staatsoper, wie auch der Kinder- und Jugendchor Alsterspatzen überzeugten mit großartigen stimmlichen Leistungen und viel darstellerischem Engagement. Sicherlich nicht verwunderlich nach langer Bühnenabstinenz und Gesang nur aus den Ranglogen heraus.

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Yona Kim, Christian Schmidt (Bühne). Falk Bauer (Kostüme), Reinhard Traub (Licht), Phillip Bußmann (Video) und Bewegungscoach Ramsis Sigl lassen Chöre und Solisten in einem schnörkellosen, gradlinigen Ambiente in klaren Farben agieren. Die Herren wie auch die Damen des Chors tragen Frack, Weiblichkeit ist auf bescheidene Art nur Liu erlaubt und Turandot erstrahlt in einem blutroten Gewand, das eher Macht und Unnahbarkeit, statt Leidenschaft im üblichen Sinne, ausstrahlt. Viele Szenen finden auf fast leerer Bühne statt und dann öffnet sich der Hintergrund, gibt einen Blick auf Palastinneres frei, oder es erscheinen schwarzweiße Videoprojektionen, die militärisch wirken und an die Zeit nach dem ersten Weltkrieg und so die Entstehungszeit der Oper denken lassen. Alles in allem lässt mich persönlich die Art der Szenerie und auch die Regie an sich an asiatische Lyrik denken. An deren strenge Form die auch von Auslassungen lebt, von Andeutungen, die wenig verraten und so die Zuschauer*innen anregen, eigene Lösungen, Ideen zu entwickeln. Sei es, zu überlegen ob das kleine Mädchen auf der Treppe am Ende des Aktes eine junge und die Greisin im zweiten Akt, die mit Ritualen beschäftigt scheint, eine gealterte Turandot symbolisieren. Oder auch, warum Bass-Bariton Chao Deng als Mandarin an einen Zirkusdompteur erinnert und auch teilweise züchtigend und zurechtweisend agiert.

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Gut besetzte Charaktere und ein wahrer Sieger
Unabhängig von dieser Frage zeigt sich Chao Deng einmal mehr stimmlich, wie auch durch Ausstrahlung und Bühnenpräsenz, als wahrer Gewinn für das Ensemble der Staatsoper Hamburg, dem er seit der vergangenen Spielzeit angehört. Auch das für bissig zweideutigen Humor zuständige Trio Ping, dargestellt von Bariton Roberto de Candia, und die beiden Tenöre Daniel Kluge als Pong und Seungwoo Simon Yang, Mitglied des Internationalen Opernstudios Hamburg und Darsteller des Pang, überzeugen einhellig und in jeder Beziehung, da alle auch gesanglich die Bedeutung dieser Partien unterstreichen. Perfekt besetzt mit Tenor Jürgen Sacher ist die Rolle des Kaisers und Turandots Vater Altoum. Sacher gelingt es, gleichzeitig die Würde wie auch die Zerbrechlichkeit des hochbetagten Herrschers deutlich zu machen.

Seungwoo Simon Yang
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Timur, der flüchtige Tatarenkönig und Vater Calafs wird stimmgewaltig von dem chinesischem Bass Liang Li porträtiert, der dieser Rolle Würde und Entschlossenheit verleiht. Besonders beeindruckend ist jedoch die Leistung von Guanqun Yu als Liu. Ihrem Sopran fehlt es weder an Sanftheit noch an anmutiger Strahlkraft, sie weiß ihre Stimme zu modellieren um Emotionen auszudrücken wie auch zu erzeugen und beeindruckt besonders in Lius letzter Szene mit berührender Intensität. Anna Smirnova in der Titelrolle scheint das Publikum zu begeistern, mir jedoch gefällt ihre Stimme nicht hundertprozentig, da sie zu viele, der Dramatik schadende Schärfen in den Höhen ausweist. Darstellerisch jedoch entspricht sie mit jeder Faser der sich jedem zärtlichen Gefühl verweigernden und auf ihre Reinheit und Unantastbarkeit bedachten Turandot.

Alle Fotos Hans Jörg Michel
Last but not least möchte ich meiner aufrichtigen Bewunderung für Gregory Kundes Calaf Ausdruck verleihen. Er gehört zu jenen Stars, deren großer Ruf eine Mischung aus freudiger Erwartung aber auch ein wenig Skepsis hervorruft. Doch mit seinem Hausdebüt übertraf er die Erwartungen und zerstreute von Anfang an jeden Zweifel. Schon mit kleinen Gesten und geringer Mimik weiß er die Bühne einzunehmen. Wenn er versucht, das Tor, das die vordere Bühne vom Palast trennt, mit Gewalt zu öffnen, ist seine Beherztheit fast greifbar. Seine wachsende Sicherheit und Überzeugung, die drei Rätsel zu lösen und die Prinzessin zu für sich zu gewinnen, zeigt sich auch in seinem wunderschönen, äußerst kraftvollen und stets sicher geführtem Tenor. Sein Nessum dorma sprüht vor Leidenschaft und auch Zärtlichkeit. Aus dem wunderbar geschmetterten Vincero (Ich werde siegen) wurde so ein unumstößliches: Ha vinto! (er siegte).
Fazit: Aber vielleicht sind es in Wirklichkeit nicht der zu Recht umjubelte Gregory Kunde und seine Kollegen, die siegten, sondern die Besucher*innen der Premiere und der schon vergangenen und noch zu erwartenden Vorstellungen dieser Italienischen Opernwochen, die zumindest bisher kaum Wünsche offen ließen.
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch: 13.03.2022
Links
https://www.staatsoper-hamburg.de/
https://giacomosagripanti.com/
https://gregorykunde.com/
https://guanqunyu.com/
https://www.liangli.de/index.php/de/