Am Beginn der diesjährigen Italienischen Opernwochen der Staatsoper Hamburg stand ein wunderbares Hausdebüt (04.03.): Die russische Sopranistin Aida Garifullina verzaubert auch in ihrer zweiten Vorstellung an diesem Hause mit Stimme, Ausstrahlung und ihrer Darstellung der Titelrolle in Giuseppe Verdis La Traviata das Publikum. An ihrer Seite Tenor Pavol Breslik, der Ende des vergangenen Jahres bereits als Lenski in Tschaikowskis Eugen Onegin überzeugte, als Alfredo und Bariton Artur Rucinski in der Partie des alten Germont. Ein Trio, das zusammen mit allen weiteren Darstellern samt Chor und Orchester für eine Vorstellung, für die der Ausdruck „unvergesslich“ zu hoch, ein einfaches „schön“ aber zu gering wäre.
Regisseur Johannes Erath erzählt die Geschichte der Violetta Valery, eher angelegt an die Vorlage von Alexandre Dumas und seinen Roman Die Kameliendame. Noch vor der Ouvertüre erklingt Violettas wehmütiges Alfredo, Alfredo, di questo core interpretiert und in den letzten Takten variiert auf offener Szene gespielt von Jakob Neubauer, dessen Spiel auf dem Akkordeon nie kalt lässt. Alfredo erscheint auf der Bühne, denn wie im Buch kommt er zu spät. Seine Violetta, eine Lebedame, die erst ihr Leben im Luxus für ihn und dann auf Anraten von Alfredos Vater den Geliebten verlies, erlag ihrer Schwindsucht. In Roman wie Libretto bereut Alfredo, dass er das ihm erbrachte Opfer zu spät erkannte und dank Verdis wunderbarer Melodien rührt der letzte Akt nicht erst ab Parigi o cara in jeder Inszenierung an.

(frühere Aufführungsserie)
Auch in einer, die rückblickend erzählt und gespickt ist mit verwirrenden Symbolen wie Autoscootern oder weißgeschminkten Jahrmarktskünstlern, die Violetta stumm und aus der Ferne durch ihre Geschichte leiten. Auch nach vielmaligem Sehen ist es schwer, Eraths Gedankengängen zu folgen, doch sie entwirren sich, offenbaren auch hier und da beeindruckende Lichteffekte (Olaf Freese) und orientiert man sich an all dem von Komponist, Orchester und Darstellern gebotenen, entflieht man der momentan so kalten, bedrohlichen Welt um zu genießen.

(frühere Aufführungsserie)
Am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg stand Stefano Ranzani, dem es gelang, von schwungvoll über leidenschaftlich und melancholisch bis hinzu dramatisch traurig, alle Facetten der Musik zum Klingen zu bringen. Wieder einmal erwähnenswert die Leistungen der unterstützenden Rollen, die, abgesehen von Violettas Vertrauter Annina (Katja Pieweck) und Peter Galliard als Gastone, ausschließlich mit Mitgliedern des Internationalen Opernstudios besetzt sind: David Minseok Kang (Il Dottore Grenvil), Han Kim (Il Marchese d’Obigny) Nicholas Mogg (Il Barone Douphol) und Collin André Schöning als Giuseppe. Alle zeigen den Rollen entsprechendes Engagement, was sicher auch der Betreuung durch die Leiterin des Internationalen Opernstudios Gabriele Rossmanith zu verdanken ist.
In den größeren Rollen zeigte Ida Aldrian, als Violettas Freundin Flora Bervoix, Charme, zur Rolle passende wohl dosierte Frivolität und vor allem ihren hier leider zu selten zur Geltung kommenden Mezzosopran.

Foto; Andrzej Swietlik
Artur Rucinski war ein vielschichtiger Giorgio Germont, es gelang ihm mühelos dessen Strenge und Wunsch nach Rechtschaffenheit deutlich zu machen, doch auch ein gewisses Maß an Verständnis für den Sohn und dessen Geliebte zu zeigen. Seinem Bariton fehlt die Wärme, die manch anderen seiner Kollegen auszeichnet, doch gerade dadurch gewinnt seine Stimme an Format, verlieh dem alten Germont einen ganz speziellen Charakter, und dass er sie in allen Registern sicher und wandelbar führte, steht außer Frage. Es wird sicher spannend, diesen Sänger-Darsteller am 17.3 bzw. 20.3. mit einer anderen Violetta zu sehen, nämlich Elbenita Kajtazi.

Foto: Staatsoper Hamburg,
Ähnliches gilt für Pavol Breslik als Alfredo, denn er zog mit seiner Spielintensität bereits in jenem Akkordeon begleiteten Vorspiel in den Bann, bei dem Alfredos Leid, die Geliebte verloren zu haben, spürbar wird. Im ersten und zweiten Bild hatte er zwar stimmlich einige wenige Anlaufschwierigkeiten, doch dann strahlte sein Tenor und wenn er Violetta mit Geldscheinen bewirft, sich dieser Tat dann bewusst wird, und auch an ihrem Totenbett bestach er durch ein Spiel, das an „die Rolle leben“ grenzte. Und sein letzter Aufritt, seine Szene, sein Duett mit Aida Garifullina sorgten für Gänsehaut und tiefes Berührtsein.

Foto: Staatsoper Hamburg,
Aida Garifullina endlich war, wie Violetta in der Oper auf ihren Festen, die Königin des Abends. Sie verfügt über eine intensive Bühnenpräzens, ist wandlungsfähig und empathisch im Spiel und macht auch stimmlich Violettas Entwicklung, ihre gesamten Emotionen hörbar und das mit einer Mühelosigkeit und Schönheit, die staunen lässt. Ja, es ist ein Satz den Sie öfter von mir lesen: Möge sie bald wieder an die Staatsoper Hamburg zurückkehren!
Fazit: Der langanhaltende Applaus für sie unterstützte fraglos meinen Wunsch und bestätigte ,auch auf alle anderen Beteiligten bezogen: Der Auftakt zu den Italienischen Opernwochen ist gelungen! Seien Sie – seien wir- gespannt!
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 04.03.2022