Die Wiederaufnahme Don Giovannis an der Hamburger Staatsoper begann am Samstagabend mit einer Ansprache der Casting Direktorin, die unterschiedlicher von der anschließenden Stimmung des Stücks nicht hätte sein können. Doch ohne sie wäre es vermutlich nie zu der heiteren, anrüchigen, emotionalen überwältigenden Vorstellung gekommen. „Wir haben Sänger verschiedenster Nationalitäten. Die heutige erste Vorstellung von Don Giovanni widmen wir den Menschen der Ukraine“, erklärt sie. Tosender Applaus, sie geht ab, der Applaus versiegt, die ersten Töne der Ouvertüre erklingen und für die nächsten 3 Stunden, dürfen wir in eine völlig andere Welt versinken und die beschwerlichen Gedanken des unheimlichen Alltags in den Hintergrund unseres Bewusstsein sinken lassen.

Eine Inszenierung, die zeigt: Klassisch geht auch zeitlos!
Es fällt leichter als gedacht. Denn wenn etwas die Vorstellung von Anfang hat tragen konnte, dann ist es die grandiose Darstellung der Charaktere durch die herausragende Besetzung. Eine Besonderheit der Inszenierung von Jan Bosse, die bereits in der Saison 2019 Premiere feiern durfte, ist die zusätzliche Rolle von Amor/Tod. Eine unheimliche Gestalt, als welche es Anne Müller komplett ohne Worte schafft, uns deutlich zu machen, wer hier die Fäden zieht. Während man sich zu Anfang denkt, was es mit dieser seltsamen weißen Kreatur auf der Bühne während der Ouvertüre auf sich hat, so ist sie bereits zur Mitte des ersten Aktes nicht mehr wegzudenken. Einem unbekannten Abgrund entsprungen, als Mensch verkleidet, kontrolliert Sie die Handlung und Sinneswandlungen der Leidtragenden rund um den verwegenen Verbrecher Don Giovanni, welche ihn im Laufe der Oper unweigerlich immer weiter in Richtung Verderben und Tod führen. Mit ihr kommt der Tod selbst in die Welt, um sich einer Seele dieser zu bereichern.

Ein fantastischer Rahmen, der die Geschehnisse auf der Bühne erläutert und gleichzeitig für den ein oder anderen Schmunzler sorgt, schließlich ist diese Verkörperung allen Übels nicht ohne Humor. Ein Beispiel nur: Während Donna Anna ihren Verlobten Don Ottavio erneut um Rache bittet, führt der Tod eine Strichliste darüber, wie oft sie dabei das Wort Rache „Vendetta“ verwendet. Ein wenig Witz, dass der Ernsthaftigkeit der Arie eine gewisse Ironie zu spricht. Wie passend, denn schließlich erfahren wir später noch, dass Anna selbst nicht komplett unschuldig ist und noch immer ein wenig am verruchten Frauenhelden hängt, dem sie den Tod wünscht.
Diese Kleinigkeiten spiegeln den Ton der Inszenierung wieder, der auch durch Bühnenbild und Kostüm unterstützt wird. So sorgten die Kostüme direkt am Anfang für einen Lacher, als Don Giovanni in Unterhemd, Unterhose und Cowboystiefeln vor dem Vater seiner zweifelshaft unfreiwilligen Geliebten, Donna Anna, aus dem Haus ebendieser flieht. Schwarz-weiß, Glitzer und knallig rot, damit zeigt Kostümbildnerin Kathrin Plath, dass auch modern und bunt für eine klassische Oper funktionieren kann.

Ebenso gut funktioniert das Bühnenbild. Während der erste Akt nur vor einer Hauswand mit zwei Fenstern spielt, das beinahe stoisch und uneinnehmbar wirkt, zeigt eben diese Wand im zweiten Akt, wie viel Einfluss Bewegung auf ein derartig stoisches Bühnenbild haben kann. Denn das Rondell der Bühne wurde auf beeindruckendste Weise Teil der Inszenierung. Mal begaben wir uns mit den Sängern zusammen auf einen Spaziergang durch den Ort, mal verwandelte es die Szenerie von geschlossener Wand zu offenem Platz, mal zum einladenden Partyraum. Überzeugend und dabei so unauffällig, dass man im Nachhinein wohl kaum noch sagen könnte, dass es sich nicht um komplett neue Bestandteile, sondern nur um zwei oder drei sich drehende Wände handelte. Von der einen Seite Putz und heruntergekommene Ziegel, von der anderen Seite glitzernde Vorhänge. Das muss ein Bühnenbild können!

Eine Besetzung, die es in sich hat!
Bei einer so herausragenden Inszenierung, steht die sängerische und schauspielerische Leistung der Darsteller beinahe im Schatten. Allerdings auch nur beinahe, denn gerade musikalisch strahlte die Besetzung. Der tiefe, volle und erhabene Bariton Andrei Bondarenko wickelte das Publikum in lieblichen Klängen genauso um den Finger, wie die Donnas auf der Bühne und schaffte es trotzdem uns einen Schauer über den Rücken zu jagen, wenn er es selbst im Angesicht des Todes verweigert, Reue für seine Verbrechen zu zeigen. Luca Pisaroni nimmt uns in manch einer Szene die Worte aus dem Mund und überzeugt nicht nur sängerisch, sondern auch schauspielerisch das Publikum von Leporellos Zwiespalt, seinen Herren verpflichtet schützen zu wollen und gleichzeitig den Verbrechen eben dessen eher abgeneigt zu sein. Opfer und gleichzeitig Mittäter, das repräsentiert Pisaroni mit der richtigen Menge Humor und Ernsthaftigkeit in Mimik und Gestik, sowie in klaren tiefen Klängen.

Auch die Damen Donna Elvira und Zerlina, gesungen von Jana Kurucovà und Julia Lezhneva stehen ihren männlichen Kumpanen in nichts nach. Die beißende kämpferische Stimme Donna Elviras steht im überzeugenden Kontrast zur koketten Zerlina, die es damit immer wieder schafft ihren eifersüchtigen Verlobten Masetto (Alexander Roslavets) zu besänftigen. Aus sängerischer Sicht war der Star des Abends jedoch eindeutig die herzzerreißende, liebliche Stimme der Donna Anna, Nadezhda Pavlova, die das Publikum besonders in Ihrer Arie „Crudele! Ah no, mio bene!“ in Atem hielt. Das sie auch anders kann, zeigt sie im ersten Akt, wenn Sie Ihren Verlobten Don Ottavio um Rache für ihren Vater bittet. Die Vielseitigkeit ihrer Stimme und die Kontrolle über ihr Vibrato in den hohen Lagen, lässt uns das Leid der Donna spüren. .Die naive Darstellung von Don Ottavio Sänger, Dovlet Nurgeldiyev, unterstützt sie dabei. Auch stimmlich liefert der Tenor eine hervorragende Ergänzung für das Paar, dem man trotz Annas Mitschuld an der Misere nur Mitleid entgegenbringen kann.

Für ein spannungsgeladenes Finale sorgt schließlich der tiefe Bass des Komturs (Alexander Vinogradov) nicht zu Letzt durch die wohl bekannteste Bass-Arie der Operngeschichte. So souverän gesungen und gespielt, dass er trotz seines verhältnismäßig kurzen Auftritts im Gedächtnis bleibt und für einen rundum gelungen Opernabend sorgt.
Alles in allem zeigt sich die Hamburger Staatsoper mit Don Giovanni also von ihrer besten Seite und präsentiert eine zeitlose, spannende und kreative Inszenierung der „Oper aller Opern“.
Celine Leib. Vorstellungsbesuch 26.02.2022