„La donna è mobile“aus Giuseppe Verdis Oper Rigoletto ist nicht nur eine der bekanntesten Arien überhaupt, sondern begegnet uns fast täglich irgendwo in der Werbung. Doch nur im Original, wie nun wieder an der Staatsoper Hamburg zu hören, dieses Mal von dem rumänischen Tenor Ioan Hotea gesungen, ist es ein Genuss. Hotea sprang für den kurzfristig erkrankten Piotr Buszewski ein, der jedoch voraussichtlich am 15.2. und 17.2. wieder als Duca di Mantua zur Verfügung stehen wird. In der Titelrolle ist in allen Vorstellungen Andrezej Dobber zu sehen und als Gilda gibt Nadezhda Pavlova ihr Hausdebüt.
Rigoletto gilt als das Werk, das Verdis Weltruhm begründete und die Geschichte um den Hofnarren, der alle und jeden verspottet und selbst zum Opfer höfischer Intrigen und eines Fluchs wird, berührt auch heute noch. Des Narren wohlbehütete Tochter Gilda wird vor seinen Augen entführt und dem lüsternen Herzog als Gabe an seine unstillbare Libido präsentiert. Gilda erkennt in ihm den Studenten, der sie oft heimlich besuchte, und während der Vater Rache für die Erniedrigung schwört und einen Mörder anheuert, opfert sie sich, in dem sie sich an seiner Statt töten lässt.

frühere Aufführungsserie
Das Libretto von Francesco Maria Piave beruht auf dem Theaterstück Le rois‘amuse von Victor Hugo, dessen Sujets stets gesellschaftskritisch die Außenseiter seiner Zeit behandelten (Die Elenden, Der Glöckner von Notre Dame). Dabei war Hugo ein Meister darin, unheimliche oder furchterregende Aspekte mit einem Hauch Romantik zu verknüpfen. Verdi und Piave übernahmen diese Momente in Libretto wie auch in Partitur.
Die von Anfang an sehr populären, unvergesslichen Melodien, wie eben La donna è mobile, Questa ó quella, oder auch Ella mi fu rapita! für den Herzog oder auch Gildas Questo nome .., sind es, die auch heute noch einigen Puristen zu seicht erscheinen und denen ab und zu noch der Begriff Gassenhauer nachhängt. Dennoch kann sich wohl kaum jemand der Wirkung der Musik entziehen. Denn wie sagte mal ein Opernregisseur zu mir: Prima le emozioni! Und Emotionen werden durch Verdi stets angesprochen und auch die Geschichte selbst tut das Ihrige dazu.

(frühere Aufführungsserie)
Allerdings ist die Inszenierung von Regisseur Andreas Homoki und seinem Bühnen- und Kostümbildner Wolfgang Gussmann ein Paradebeispiel dafür, wie leicht es ist, sich von Äußerlichkeiten wie Bühnenbild und Kostümen beeinflussen zulassen und deshalb der Aussage der gesamten Produktion eher kritisch gegenüber zu stehen. Die meisten Herren sind in knallgelbe Jacketts gekleidet und tragen Masken mit langen Nasen a la Scaramouche, der Duca strahlt von Kopf bis Fuß in Gelb, Rigoletto ist am Hof gewandet wie der traurige Bajazzo, trägt ansonsten darüber einen Mantel im selben Blau wie das Kleid Gildas. Auch der als Mörder des Ducas von Rigoletto angeheuerte Sparafucile und dessen Schwester Maddalena, des Herzogs neuester Schwarm, erinnern ganz in Schwarz an Figuren aus alter (Puppen)Theatertradition. Graf Monterone, dem Rigoletto den Fluch zu verdanken hat da er ihn verspottete, und dessen Tochter tragen Rot.
Ebenso klar und schnörkellos wie Homoki und Gussmann in der Farbenwahl bei den Kostümen sind, sind sie es auch bei den Formen und Farben des Bühnenbildes. Vom Bühnenhimmel hängt eine Schnur, die sofort an die Schnur denken lässt, mit der man einen Hampelmann bewegt. Mit ihr spielen die Protagonisten, aber sie dient auch dazu, das Bühnenbild durch heruntergezogene Wände in Räume zu unterteilen. Die Wände bestehen aus rein weißen Dreiecken, die jenen gegenüberliegen, die mit schwarzen Strichen an grob gewebten Stoff, wie etwa bei (Kartoffel)Säcken, erinnern. Rigolettos und später auch Sparafuciles und Maddalenas Heim, ist blau und fensterlos, einfach in der Form, wie Spielhäuser oder schlichte Kulissen in altmodischen Puppentheatern. Als Schloss dient eine übergroße Krone, einfach geformt wie jene die man aus Märchen oder Puppentheatern kennt. In ihr spielt sich das Intimleben des Duca ab.

Wie gesagt, auf den ersten – vielleicht auch auf den zweiten – Blick mag dies plakativ oberflächlich wirken, doch das ist es schon auf Grund der Farbwahl nicht, schwarz und weiß bedürfen keiner Erklärung. Ansonsten benutzen Gussmann/Homoki die drei Grundfarben. Gelb steht für Sonne, Wärme, Fröhlichkeit, aber auch Neid und Egoismus. Blau ist unteranderem eine Farbe, die auf Tiefe, Beständigkeit und auch Wahrheit, Empathie hindeutet. Rot ist die Farbe von Leidenschaft und auch Zorn, folglich genau passend für den Racheengel Monterone, der in der bedeutungsvollen Szene Compiuto pur quanto a fare mi resta als übergroßer Schatten auftaucht.
Es gibt viele Momentaufnahmen, viele gemäldeähnliche Kompositionen, die den Einfluss von Musik und Szene eher vertiefen als nur zu untermalen, wie auch unzählige Kleinigkeiten in der Personenführung und Charakterisierung der Figuren, sei es wenn Giovanna, die Gilda behüten soll, heimlich Geld nimmt, damit der Duca zu einem Stelldichein kommt, Marulo, einer der Höflinge, von Rigoletto dazu gebracht wird sich kurz zu demaskieren. Oder Rigoletto versucht sein Haus, das von den Höflingen, wie als Symbol für sein gesamtes Leben, zerstört wurde, wieder aufzurichten und vieles mehr. Homoki ist im Jahr 1994 wirklich eine Umsetzung gelungen, die Musik und Handlung gerecht wird.
Der Musik nicht ganz zu 100 Prozent gerecht wurden die Blechbläser des Philharmonischen Staatsorchester Hamburg mit den ersten Tönen der Ouvertüre und an einigen wenigen Stellen gelang es Roberto Rizzi Brignoli nicht, die Lautstärke seiner Musiker den Sängern anzupassen. Doch abgesehen davon, sorgten Dirigent und Orchester für ein dynamisches, dramatisches Musikerlebnis.

( frühere Aufführungsserie)
Die Herren des Chors der Hamburgischen Staatsoper bildeten die bis zur Lächerlichkeit kratzbuckelnden Höflinge des Ducas di Mantua und konnten so nicht nur stimmlich, sondern auch durch ihre Spielfreude überzeugen.
Ähnliches gilt für Hubert Kowalczyk als betrogener und vor allen bloßgestellter Graf Ceprano wie auch die beiden Mitglieder des Internationalen Opernstudios Sujin Choi als seine Gattin und Seungwoo Simon Yang als kriecherisch beflissener Höfling Borsa. Als dritte im Bunde des Opernstudios hatte Kady Evanyshyn als Page ihren kurzen, aber schönen Auftritt und Han Kim vervollständigte als Usciere das Quartett.
Des Weiteren imponierte Martin Summer als wütender, stimmgewaltiger Monterone. Chao Deng überzeugte als Marulo, Jana Kurucová bezauberte auch stimmlich als verliebte, selbstsichere Maddalena und Katja Pieweck als Giovanna bewies, dass sie auch aus kleinen Partien viel machen kann. Nur Tigran Martirossian zeigte als Sparafucile an diesem Abend unüberhörbare stimmliche Ermüdungserscheinungen.

Copyright: Staatsoper Hamburg
Ihren Rollen in wirklich jeder Beziehung gerecht wurden die drei Protagonisten Ioan Hotea (Duca), Nadezhda Pavlova (Gilda) und Andrzej Dobber (Rigoletto). Sie sorgten jeder auf seine Weise alleine oder gemeinsam für Gänsehautmomente.
Ioan Hotea, der bereits in vergangenem Jahr als Des Grieux in Jules Massenets Manon und gerade erst als Edgardo in Donizettis Lucia di Lammermoor große Anerkennung und Sympathie bei den hiesigen Zuschauern errang, ist schon dank seiner jugendlich jungenhaften Erscheinung als Duca perfekt besetzt. Hinzu kommt seine Bühnenpräsenz und die Fähigkeit, den Duca als gewissenlosen, selbstverliebten Dandy darzustellen, der aber doch über diese gewisse Portion nice guy-bad boy Charme verfügt, der frau einfach nicht widerstehen kann. Stimmlich weiß er mit seinem lyrischen (fast Spinto)Tenor den Höhen Strahlkraft und Sicherheit und der Mittellage Schmelz, den Piani Sanftheit zu verleihen. Seine Duett/Cabaletta –Szene im ersten Akt mit Gilda Gilda È il sol dell’anima, la vita è amore/ Addio … speranza ed anima vereinigt zwei wunderschöne Stimmen, deren Inhaber zu berühren und auch mitzureißen wissen.

Copyright: Staatsoper Hamburg
Nadezhda Pavlovas( Gilda) lang erwartetes Hausdebüt war von so hoher Qualität, dass es die Vorfreude auf ihre Donna Anna in Wolfgang Amadeus Mozarts Don Giovanni (26.2., 3, 5.,11.3.) noch steigert. Sie liebt und leidet voller Zärtlichkeit und Intensivität. Nicht nur ist ihr Caro nome von zarter Sinnlichkeit, auch in allen anderen Szenen und Duetten zeigt sie alle Facetten, die eine Gilda berührend und authentisch machen. Ihre Stimme ist in jeder Lage von großer Klarheit und ohne jegliche Schärfe. Lagenwechsel meistert sie mühelos und lässt uns auch so an Gildas Gefühlswelt in jeder Minute teilhaben.
Als besonders intensivempfand ich ihre Szenen mit Rigoletto Andrzej Dobber. Dobber glänzte als Hofnarr, der seine Sonderstellung am Hofe zu nutzen weiß, ebenso wie als zu allem entschlossener Rächer und als liebender, schließlich völlig verzweifelter Vater. Es gelingt ihm, das Publikum mit ihm empfinden zu lassen. Denn in seinem Cortigiani, vil razza dannata mischen sich, selbst ohne den Worten zu lauschen, hörbar Wut, Verzweiflung und Flehen. Im Finale des zweiten Akts vom Duett Tutte le feste al tempio bis zur Cabaletta Sì, vendetta, tremenda vendetta zieht er alle Register an Emotionen, unterstützt von kleinen, intensiven Gesten und auch dadurch, dass er zu Gunsten von Intensität des Ausdrucks bewusst auf reine Töne verzichtet, sondern sie stattdessen spricht oder beinahe weint. Kurz: Er lieferte eine beindruckende, bewegende Leistung.

Copyright: Staatsoper Hamburg
Fazit: Ein schöner Opernabend mit Giuseppe Verdis Rigoletto, einem Werk, das viel mehr zu bieten hat als nur seichte Melodien. Rigoletto lebt besonders auch von den vielen dramatischen, wie musikalisch äußerst emotionalen Szenen, werden sie so umgesetzt, wie in dieser vom Publikum mit viel Applaus honorierten Vorstellung.
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 11.2.2022