Wolfgang Amadeus Mozarts Oper Cosi fan tutte nimmt die Treue der Menschen im Allgemeinen und die der Frauen im Besonderen unter die musikalische Lupe. So nun auch wieder an der Staatsoper Hamburg, mit der herausragenden Rollendebütantin Narea Son als Despina und fünf weiteren ebenfalls beeindruckenden Kollegen: Julia Kleiter, Serena Malfi, DovletNurgeldiyev, Alexey Bogdanikov und Pietro Spagnoli.
Die Schule der Liebenden
Cosi fan tutte ist neben Le nozze de Figaro und Don Giovanni die dritte und letzte Oper von Mozart zu der Lorenzo Da Ponte das Libretto verfasste. Zur Entstehungszeit galt dieses Werk als umstritten aufgrund der auf den ersten Blick wirklich albernen, oberflächlichen Handlung und der damals recht freizügig wirkenden Texte.
Erzählt wird die Geschichte der beiden Schwestern Fiordiligi und Dorabella deren Verlobte Ferrando und Guglielmo sich auf eine Wette mit dem etwas zwielichtigen Don Alfonso einlassen. Er behauptet keine Frau könne treu sein, was die beiden Liebhaber empört, die die Rollen, bzw. das Objekt ihrer Leidenschaft tauschen, so dass eine Rollentausch- Verwechslungskomödie entsteht. Alfonso benutzt die Zofe Despina dazu, die beiden Schwestern zu überzeugen, den Liebesbekundungen der beiden um sie werbenden „Fremden“ nachzugeben.
Dorabella tut dies bereitwilliger als Fiordiligi. Trotz allem sind die Paarungen nach der Auflösung der Wirrungen wie am Anfang, unabhängig von den neu entfachten Gefühlen. Im Finale dann verkünden alle Protagonisten in strahlendem Dur, dass doch am glücklichsten ist, wer das Leben (die Liebe?) nimmt wie es ist und in allem etwas Gutes sieht. Schließlich ist der Untertitel des Werkes, das im Jahr 1790 gut ein Jahr vor Mozarts Tod uraufgeführt wurde, den Untertitel: La scuola degli amanti/Die Schule der Liebenden.

Schrill und neonbunte Commedia dell‘Arte Adaption
Wo zum Beispiel die Inszenierung der letztjährigen Salzburger Festspiele durch Schlichtheit und zeitlose Kostüme besticht, schwelgen Herbert Fritsch (Bühnenbild und Regie) und Victoria Behr (Kostüme) in grellen neonschrillen Farben. Das Bühnenbild aus Kunststoffelementen und die geschickte Beleuchtung schenken dem Zuschauer Momentaufnahmen, die entfernt an Kunstwerke des Kubismus‘ erinnern,
Bereits in meinem Bericht über die Premiere am 08.09.2018 schrieb ich in etwa, dass mich die Gesamtaussage der Produktion an eine, wenn auch modernisierte, Form der Commedia dell‘Arte erinnert. Nicht allein durch die exaltiert wirkenden Kostüme, zum Beispiel der beiden Herren in ihrer Verkleidung, in der sie auf übertriebene Art exotisch wild wirken oder jene der beiden Schwestern, die mich an stilisiert Porzellanpuppen erinnern, doch auch durch die Personenführung. Zum einem sind da die Abgänge nach einer Arie oder einem Duett, wenn die Ausführenden noch einmal keck, auf unterhaltsame Art und Weise um Beifall heischend, um die Bühnenecke spähen. Dann sind viele Bewegungen puppenhaft mit Don Alfonso als, nicht nur im übertragenen Sinne, virtuosem Strippenzieher, der nicht nur die Herren tanzen lässt, sondern auch ein Cembalo dazu bringt, wie von Geisterhand geführt zu spielen.

Dirigent wie Bufforollen perfekt besetzt
Musikalisch hat der GMD des Theaters Bonn Dirk Kaftan das Heft fest in der Hand. Einfühlsam begleiten er und das Philharmonische(s) Staatsorchester Hamburg Arien wie Ferrandos Un Aura amoroso oder Fiordiligis Per pietà, ben mio. Auch gelingt es ihm, Alfonsos Parlando Stil und Despinas vor Fröhlichkeit sprudelnden Szenen entsprechend zu untermalen und den Esprit und die Leichtigkeit von Mozarts Melodien zum Klingen zu bringen. Melodien, die bezaubern und dieses Spätwerk inzwischen von seinem anfangs umstrittenen Ruf befreiten.
Pietro Spagnoli ist stimmlich wie auch darstellerisch perfekt für die Rolle des Don Alfonso, der für mich ein Äquivalent zu dem hinterhältig verschlagenen Brighella aus der Commedia dell‘Arte ist. Er strahlt Gelassenheit, Überlegenheit und auch eine Prise Frivolität aus und die Bewegungen seiner Hände, mit denen er alles und jeden dirigiert und manipuliert, haben etwas künstlerisch Tänzerisches. Humor und Ironie liegen ihm im Blut, wie er bereits in Calixto Bietos Inszenierung von Giuseppe Verdis Falstaff bewies. Sein Bass ist wohltönend und, wie in der Rollenbeschreibung verlangt, ist er wirklich Meister des Sprechgesangs, des Parlando.

Foto: Marco Kim
Narea Son debütierte als Despina und war für mich die schönste Überraschung an diesem Abend! Ihre Rollengestaltung war wirklich die herausragende dieser Vorstellung, ohne die Leistung der anderen in irgendeiner Weise schmälern zu wollen. Ihr jugendlicher, im wahrsten Sinne des Wortes leichtfüßig kecker, Charme lässt lächeln. Sie erinnert, um einen weiteren Vergleich zu den Figuren der Commedia dell‘Arte zumachen, an die pfiffige, lebenslustige Colombina. Und ebenso mühelos und bezaubernd wie ihre Darstellung ist auch ihr Gesang. Ihre Töne, besonders jene in den hohen Lagen, lassen vergessen wieviel harte Arbeit dahintersteckt.
Auch sie ist einfach eine perfekte Besetzung für ihre Partie und scheint soviel Spaß an Gesang und Rolle zu haben, wie sie verbreitet.
Vier Künstler, zwei Paare: Viele Facetten von Emotionen
Alexey Bogdanikov, der erst vor kurzem erst als Eugen Onegin in Tschaikowskys gleichnamiger Oper und auch als Lord Enrico Ashton in Donizettis Lucia di Lammermoor erfolgreich auf der Bühne der Staatsoper Hamburg stand, zeigt hier als Gugliemo statt seiner dramatischen seine überzeugend humorvolle Seite. Mir gefällt seine, früher unsichere, aber inzwischen einfach gekonnt doch zurückhaltende Art, mit der er seine schöne Baritonstimme auch hier einsetzt, wenn auch, anders als in seinen anderen Partien, in der von Rollen gewollten Art eines Buffos. Guglielmos und Ferrandos gemeinsame (Gesangs)Szenen gestaltet er zusammen mit Nurgeldiyev (Ferrando), lustig, augenzwinkernd und stimmschön.

Serena Malfi verfügt über einen Mezzosopran mit ungewöhnlicher Färbung, doch sie füllt die Rolle der Dorabella mit stimmlicher Kraft und Präzession in allen Lagen und bewältigt auch die Übergänge ohne Schwierigkeiten. Köstlich ihr Spiel, ihr Humor und ihre kleinen Gesten. Sie strahlt Freude an der Rolle aus, deren Charakterisierung, wie auch die anderen, von Überzeichnung lebt.
Auch Dovlet Nurgeldiyev nahm bereits in der Premiere das Publikum als Ferrando für sich ein. Leider war es, nicht nur Pandemie bedingt, lange – zu lange – still um ihn. Doch nun ist er wieder da, zeigte erst in der Premiere von Mozarts Die Entführung aus dem Serail im September und zeigt nun als Ferrando in Cosi , dass sein wunderschön lyrischer Tenor wie gemacht ist für Mozarts Musik. Nicht allein sein Un aura amorosa zeugt von absolut sicherer Stimmführung und der Fähigkeit, mühelos zu berühren und Zärtlichkeit wie auch Sehnsucht zu vermitteln. Wie jedes Mal, sieht man Nurgeldiyev nach längerer Zeit wieder auf der Bühne, fällt auf, dass er nie aufhört sich weiterzuentwickeln. Das gilt auch für sein Spiel, das, anders als zu seinen Anfangszeiten, immer mehr an Intensität der Emotionen und auch an Mut zu auffälligem Humor gewinnt. Vor allem aber erstaunt und besticht immer wieder, dass er zu jenen gehört, deren Aussprache, egal in welcher Sprache, stets völlig verständlich ist. Wie schön, dass er im nächsten Monat auch als Don Ottavio in Wolfgang Amadeus Mozarts Don Giovanni zu hören sein wird.

Julia Kleiter wurde, unter anderem, hier an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg von Prof. William Workman ausgebildet. Workman war in den späten 1960 frühen 1970ger Jahren Bariton an der Staatsoper Hamburg und faszinierte durch seinen Gesang ebenso wie durch sein Spiel. Es scheint, als habe er Kleiter unteranderem vermittelt, wie beides zu einer Einheit wird, die einen Bühnencharakter zum Leben erweckt. Ihr Sopran ist von klarer Reinheit, beweist die Schönheit und Ausdruckskraft von Mozarts Arien und Szenen und auch sie bringt dem Zuschauer den Charakter und die Emotionen und die Zerrissenheit ihrer Figur nahe. Besonders eben in ihrer großen Szene im zweiten Akt. Wie schade, zumindest diese Spielzeit ist Cosi fan tutte die einzige Oper, sie hier an der Staatsoper Hamburg zu erleben.
Fazit: Manchmal, so musste ich schon mehrere Male feststellen, ändert sich der Eindruck, den eine Produktion beim ersten Sehen machte, mit der Zeit. Das ist hier nicht der Fall. Für mich bleibt diese Cosi Unterhaltung voller Elemente, die hart an der Grenze zum Klamauk vorbeischrammen, und tieferer Deutungen,die das subtil bissige Sittengemälde eher unterschwellig vermitteln. Doch Lachen befreit ja nicht nur in diesen Zeiten, die wir alle so leid sind. Und die Musik und alle Darsteller verzauberten auf jeden Fall einmal mehr, was sich in Applaus und Jubel zeigte.
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 20.01.2022
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https://www.pietrospagnoli.net/
https://www.serenamalfi.com/
https://www.operabase.com/artists/narea-son-31262/de
https://www.operabase.com/artists/dovlet-nurgeldiyev-4468/de